"Produktive Arbeit": Erinnerungen an ein Beschäftigungsprojekt in der DDR
In Marzahn-Hellersdorf gibt es ein Projekt, dass Jugendliche besser auf das spätere Berufsleben vorbereiten soll. Es ähnelt zwei Fächern, die für die sozialistische Erziehung in der DDR essentiell waren. Robert Ide, Leiter der Berlin-Redaktion, erinnert sich an diese Zeit.
Immer, wenn sich mein Lehrer zu mir umdrehte, sah ich Erich Honecker doppelt. Denn über der Werkbank von Herrn Wiehießergleichnochmal hing ein Bild des Staats- und Parteichefs. Und der sah tatsächlich genauso aus wie mein Lehrer, der uns im gleichnamigen Fach „Produktive Arbeit“ beibringen sollte und den wir einfach Erich nannten: glänzende Glatze, dahinter nach hinten gekämmte graue Haare, darunter die dicke braune Brille, und ganz unten die Lippen, geformt zum strichernen Lächeln. Genetisch gesehen war das produktive Arbeit.
In meiner Erziehung zu einer sozialistischen Persönlichkeit waren zwei Fächer so unabding- wie unabwendbar: PA und ESP, in Worten: Einführung in die sozialistische Produktion. Hier lernte ich also, wie die Planwirtschaft praktisch funktioniert – zumindest theoretisch. In ESP büffelten wir Plankennziffern und Rohstoffzusammensetzungen. Die Frage, warum es trotz ständig übererfüllter Pläne in Gemüseläden nicht immer Tomaten gab, verkniffen wir uns aber lieber im Staatsbürgerkundeunterricht. In ESP erwartete ich grundsätzlich gar keine Antworten: Denn ich verstand sowieso nichts.
Die Eltern waren stolz
Handfester war da schon PA, nicht nur wegen Lehrer Erich. Hier lernte man praktische Dinge wie das Feilen von Metall. In den ersten Wochen am Schraubstock feilten wir mal grob, mal fein, mal abwechselnd grob und fein. Irgendwann durften wir etwas für den produktiven Heimbedarf basteln: einen Flaschenöffner – diesmal aus Holz, das dazu natürlich gefeilt werden musste. Er hatte die Form eines Fischs und eine kleine Ausbuchtung für den Flaschenkopf. Der Korken blieb an einer Schraube hängen, die ich eigenhändig hereingedreht hatte. Meine Eltern waren stolz und öffneten sogar einige Flaschen damit.
Später ging es für uns Kinder in die Produktion. Alle zwei Wochen durfte unsere Klasse im Volkseigenen Betrieb bei der Planübererfüllung helfen. Wir waren bei den Maschinenbauern von Niles in Pankow, bei denen nur der echte Erich von der Wand lachte.
Mittendrin im großen Leben
Sie stellten Metallteile her – diese durften wir mit echten Bohrmaschinen an bestimmten Stellen durchlöchern. In den Pausen streifte ich über das Industriegelände und schaute mir die riesigen Maschinen an und auch manche Bauarbeiterin. Ich fühlte mich, obwohl noch ein Junge der siebten Klasse, mittendrin im großen Leben.
PA – irgendwie fand ich das produktiv. Und den Holzfisch zum Flaschenöffnen haben meine Eltern noch, irgendwo in ihrer Gartenlaube.
Robert Ide