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Sechzehntel-Note an Sechzehntel-Note: Das Weihnachtsoratorium ist eine große Herausforderung
© Kai Uwe Heinrich

Als Laie beim Berliner Weihnachtsoratorium: Probet, jauchzet, frohlocket!

Für Laienchöre bedeutet es die größte Herausforderung. Unsere Autorin singt im Mariendorfer Chor und erzählt von ihren Erfahrungen mit Bachs berühmtem Weihnachtsoratorium.

Was für eine Anmaßung! Bist du größenwahnsinnig geworden? – Das waren die ersten Gedanken, als ich vor mehr als fünfeinhalb Jahren das dicke blaue Notenbuch in der Hand hielt. Gerade hatte ich mich in einem Kirchenchor angemeldet, weil ich mal wieder im Ensemble singen wollte, was ich schon seit meinen frühen Jahren auf dem Gymnasium nicht mehr getan hatte. Dieser Chor also plante, in der Adventszeit das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach aufzuführen; und seine Mitglieder erwarteten jetzt, dass ich mitmachen und sie freudig unterstützen würde. Genau das tat ich. Es war anmaßend, es war größenwahnsinnig. Aber es funktionierte.

Zunächst war ich jedoch fest davon überzeugt, das nie, nie, nie zu können. Was ich sah in den Noten, war ehrfurchterregend, besser noch furchteinflößend. Koloraturen, die sich endlos lang über viele Takte hinwegziehen. Sechzehntel-Note an Sechzehntel-Note, jede Menge sehr, sehr hoher Töne, komplizierte rhythmische Anordnungen. Von den ineinander verschachtelten Stimmführungen gar nicht zu reden. Wer bei Bach nicht gut zählen kann, dann den Einsatz verpasst und rausfliegt, ist schnell verloren. Dass ich Noten lesen kann und den Stimmensatz problemlos verstehe, beruhigte mich damals in keiner Weise.

40 Konzerte in Berlin und Brandenburg

So geht es wahrscheinlich vielen Mitgliedern der Berliner Kirchenchöre, wenn sie das Kantatenbuch zum ersten Mal aufschlagen, um sich mit den Chorsätzen und Chorälen vertraut zu machen. Dennoch wagen sich Jahr für Jahr einige Dutzend Chöre in Berlin an das berühmte Werk Bachs, obwohl ihre Sängerinnen und Sänger keine ausgebildeten Stimmen, sondern einfach Spaß am gemeinsamen Singen haben. In diesem Jahr wird in rund 40 evangelischen Gemeinden in Berlin und Brandenburg das Weihnachtsoratorium aufgeführt.

Die Kirchenchöre werden meist begleitet und unterstützt von einem Orchester mit Profimusikern und ausgebildeten Sängern als Solisten. Für die Gemeinden ist ein Weihnachtsoratorium deshalb eine recht teure Angelegenheit, schon die Honorare kosten mehrere tausend Euro. Bei der Vielzahl der Oratorien ist es nicht leicht, das Geld durch Eintrittskarten wieder reinzuholen. Aber wert sind sie es allemal. Meist werden nicht alle sechs Kantaten des WO, wie Kenner abkürzen, aufgeführt, sondern nur die ersten drei, die damit auch die beliebtesten sind.

Wahre Fans. Wer als Hobbysänger Zeit und Mühe investiert, um Bachs Weihnachtsoratorium einzustudieren, muss wirklich musikbegeistert sein.
Wahre Fans. Wer als Hobbysänger Zeit und Mühe investiert, um Bachs Weihnachtsoratorium einzustudieren, muss wirklich musikbegeistert sein.
© Georg Moritz

Ich bin inzwischen Wiederholungstäterin. Mein Chor der Gemeinde Mariendorf-Süd hat sich in diesem Jahr für das Konzert dem Chor der Nachbargemeinde Mariendorf angeschlossen; beide Chöre haben Nachwuchsprobleme, und sangesfreudige Männer sind ohnehin rar. Aus vielen Kehlen gesungen klingt es einfach besser. An diesem Sonntag, dem zweiten Advent, singen wir in der Martin-Luther-Gedächtniskirche in Mariendorf.

"Die Furcht vor dem Werk ist bei mir verschwunden"

Die Furcht vor dem Werk ist bei mir verschwunden, die Ehrfurcht selbstverständlich nicht. Fangen wir direkt bei dem „Jauchzet, frohlocket!“ an. Das hat es in sich. Schon ganz am Anfang wird der Sopran gefordert. Er muss bereits nach wenigen Takten den höchsten Ton erreichen, der im Chorgesang verlangt wird, das hohe A. Für Feierabendsoprane wie mich, die sich an die Höhe rantasten müssen, eine gigantische Herausforderung, die leicht mal danebengehen kann. Jauchzen klingt eigentlich anders, denkt man dann. Frohlocken auch. Und macht unverdrossen weiter, bis es klappt.

Gleiches gilt für den sogenannten „Ehrenchor“, der über lange Koloraturen in ebenfalls schwierigste Höhen führt, sodass an schlechten Tagen der Gesang, der zu Ehren Gottes ertönen soll, eher mal ein wenig nach Katzenkonzert klingt. Oder, wenn mit schwacher Besetzung geprobt wird, nach kleinen Piepsmäusen.

"Der Chor wächst mit seinen Herausforderungen"

Ein richtig glockenhelles Stimmchen haben nur wenige. Aber die, die es haben, werden von ihren Mitsängerinnen heiß geliebt und schwer vermisst, wenn sie einmal fehlen. Auch die Kolleginnen und Kollegen von Alt, Tenor und Bass haben so ihre Probleme, die sie bewältigen müssen. Der Chor wächst jedoch mit seinen Herausforderungen; und die meisten nehmen das Proben ernst.

Das hört nicht im Gemeindesaal auf. Wozu gibt es CDs oder Musikdateien, mit denen ich meine Stimme überall üben kann? Zu Hause mit dem Laptop am Esstisch – oder ganz besonders gerne beim Autofahren. Aber nur wenn ich alleine bin. Dafür dann auch laut und deutlich. Bei meinem ersten Weihnachtsoratorium vor fünf Jahren habe ich mich noch leise durch die schwierigen Passagen geschummelt.

Wie weit man bei den Proben gekommen ist, wird einem das erste Mal richtig bewusst, wenn ganz zum Schluss der Probenzeit das Orchester und die Solisten mit dabei sind. Am allerschönsten ist es sowieso beim Konzert. Das steht jetzt kurz bevor. Bald erklingen in der Kirche als Erstes die Pauken: „Pam papa pam pa!“ Sofort ist sie dann da, die Freude auf den ersten Einsatz. Schon ist man mitten drin. „Jauchzet, frohlocket!“ Und ich sage Ihnen, es wird gut. Richtig gut.

Aufführungstermine in Berliner und Brandenburger Gemeinden kann man über die Seite http://www.presse.ekbo.de/kalender finden. Die Chöre Mariendorf und Mariendorf-Süd singen am heutigen zweiten Adventssonntag um 16 Uhr in der Martin-Luther-Gedächtniskirche, Riegerzeile 1. Karten 15 Euro.

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