Maskenmann-Prozess: Polizist nährt Zweifel an Tatablauf
Der Prozess gegen den „Maskenmann“ wird immer abenteuerlicher: Ein hochrangiger Polizist äußert große Zweifel am geschilderten Tatablauf. Ein Verhandlungstag mit Ohropax, einem Selbstversuch und Luftmatratzen.
Im spektakulären Prozess gegen den „Maskenmann“ mehren sich die Zweifel, ob tatsächlich der richtige Tatverdächtige in Frankfurt (Oder) vor Gericht steht. Möglicherweise hat sich die Entführung eines Berliner Bankers im Storkower Ortsteil Hubertushöhe Anfang Oktober 2012 auch ganz anders als im Text der Anklageschrift gegen den 42-jährigen Mario K. abgespielt. Der Beschuldigte hat sich bislang immer noch nicht geäußert und nur durch seinen Anwalt verkünden lassen: „Ich bin der Falsche“.
Der Verteidigung lieferte am gestrigen 41. Verhandlungstag ein Kriminalhauptkommissar aus der Mordkommission zuvor kaum zu erwartende Argumente für eine Entlastung ihres Mandanten, der 2011 in Bad Saarow auch zweimal eine Unternehmerfamilie überfallen haben soll. Offensichtlich hat ein zu hoher Erwartungsdruck auf die Polizei, den in der Brandenburgischen Kriminalgeschichte bislang einmaligen Fall schnell aufzuklären, zu einseitigen Ermittlungen und zur Konzentration auf nur einen Tatverdächtigen geführt.
Polizist zeigt sich selbst an
Der Kriminalhauptkommissar Lutz B., seit 34 Jahren im Dienste der Polizei in Ostbrandenburg, wiederholte vor Gericht seine „erheblichen Zweifel“ und die „vielen Ungereimtheiten“ an dem vom Entführungsopfer geschilderten Tatablauf, die ihn bereits lange vor Prozessbeginn zu einem ungewöhnlichen Schritt veranlasst hatten. Er zeigte sich bei der Staatsanwaltschaft selbst wegen des „Verdachts der Strafvereitelung im Amt“ an. Die nach seiner Auffassung „einseitigen Ermittlungen der Polizeisonderkommission“ habe er nicht verantworten können. Er sei der Hoffnung gewesen, dass er mit der Selbstanzeige zur Wahrheitsfindung im Laufe des Prozesses betragen könne. Zumindest stehen die Verhandlungen schon seit dem Auftakt im Mai deshalb unter einer ganz besonderen Spannung.
„Ich habe mir selbst den Kopf mit Klebeband verklebt“, schilderte der Kommissar einen Selbstversuch vor einigen Wochen. „Es war äußerst schmerzhaft und nach zwei Stunden musste ich das Experiment abbrechen, zumal es mir auch nicht gelang, einen Plastikschlauch durch das Klebeband vor dem Mund zu schieben.“ Entführungsopfer Stefan T. will aber in diesem Zustand anderthalb Tage gefesselt im Sumpfgebiet des Storkower Sees verbracht haben, bevor ihm die Flucht gelungen war. Der Polizist hatte sich genau wie das Opfer auch Ohropax in die Ohren gesteckt, was zusätzliche Qualen ausgelöst hatte.
Rätsel um Ohropax
Dabei fiel im zusätzlich ein wichtiges Detail auf. Stefan T. hatte in der polizeilichen Vernehmung angegeben, dass er beim Schwimmen stets eine besondere Art von Ohropax verwende. Diese diene nicht dem Schutz vor Lärm, sondern schütze das Ohr vor dem Eindringen von Süßwasser. Stefan T. leidet unter einer Ohrkrankheit, die kein Süßwasser vertrage. „Lustigerweise gab mir der Täter genau diese Ohrstöpsel, die ich auch sonst verwende“, sagte das Opfer in einer Vernehmung nach der Entführung, deren Video-Aufnahmen im Gerichtssaal noch einmal für alle Beteiligten abgespielt wurden. Zuvor hatte er bereits ausgesagt, dass er vom Entführer mindestens eine Stunde durchs Wasser gezogen worden sei, zuerst hängend an einem Kanu und dann auf einer Luftmatratze. Dabei sei er mehrfach mit dem Kopf auch unter Wasser getaucht gewesen. „Woher wusste der Täter von der Ohrenkrankheit?“ fragte der Polizist. „Woher wusste er, dass er zur Entführung diese besonderen Ohropax-Stöpsel mitbringen musste?“
Auch die Angabe des Opfers, wonach der Entführer zum Aufpumpen der großen Luftmatratze nur schnelle „15 bis 20“ Luftstöße gebraucht habe, zweifelte der erfahrene Beamte an. „Das schafft nicht einmal ein Spitzensportler“, sagte er und verwies auf entsprechende Recherchen im Internet. Außerdem löste der Brief, auf dem Stefan T. die Erpressung von einer Million Euro an seine Frau formulieren musste, Argwohn beim Ermittler aus: „Der sollte in der nassen Hosentasche des Entführungsopfers gesteckt haben, wies aber überhaupt keine Wasser- oder Schmutzflecken aus?“
Wie groß war der Täter?
Wie berichtet, hatte der Chef der Sonderkommission kritische Fragen unter den Ermittlern nicht zugelassen und diese Praxis in seiner Aussage vor Gericht auch bestätigt. So fiel offensichtlich auch die Aussage der Frau von Stefan T. unter den Tisch. Diese hatte der Polizei gesagt, dass der Täter beim Überfall in ihrem Haus in Storkow „auf keinen Fall größer als ich selbst gewesen ist, also nicht größer als 1,72 Meter“. Seit einer öffentlichen Vermessung des Angeklagten Mario K. durch den Verteidiger im Gerichtssaal vor einigen Monaten aber wissen alle Prozessbeobachter dessen Größe: 1,86 Meter.
Stefan T., der als Nebenkläger an den Verhandlungen teilnimmt, registrierte die Aussagen des Kommissars ohne große Regung, nur ab und zu schüttelte er den Kopf. So wie er müssen sich alle Beteiligten auf einen langen Prozess einstellen. Gestern wurden Termine bis in den März nächsten Jahres hinein vergeben.