Maskenmann-Prozess: Gerichtsmediziner zweifelt an der Aussage des Opfers
Hat sich der Entführte Stefan T. tatsächlich selbst befreit und ist geflohen? Ein ärztlicher Gutachter sieht dafür nur „geringe Anzeichen“.
Fast zwei Monate nach dem Beginn des Prozesses gegen den mutmaßlichen „Maskenmann“ reichen Fotos und Zeichnungen vom Tatort nicht mehr aus. Zu groß sind die Widersprüche zwischen den Aussagen des Entführungsopfers und jenen des ärztlichen Gutachters. Der Vorsitzende Richter Matthias Fuchs hat jetzt ein polizeiliches Video vom vermeintlichen Fluchtweg des Berliner Investmentbankers Stefan T. am Ufer des Storkower Sees südöstlich Berlins in Auftrag gegeben. Falls auch dieser Film nicht alle Fragen klärt, schließt der Richter sogar einen Ortstermin aller Prozessbeteiligten am See nicht aus, bestätigte ein Gerichtssprecher.
Dies würde eine größere Polizeiaktion erforderlich machen, wird doch der mutmaßliche Entführer Mario K. schon im Frankfurter Gerichtssaal stets von mindestens sieben Justizbeamten bewacht. Der 46-jährige gelernte Dachdecker soll im Sommer 2011 zwei Überfälle auf eine Unternehmerfamilie in Bad Saarow verübt und dabei einen Wachmann lebensgefährlich verletzt haben. Im Herbst 2012 soll er den Manager T. aus dessen Haus am Storkower See entführt und 32 Stunden auf einer Schilfinsel gefangen gehalten haben. Der wegen seiner Tarnung als „Maskenmann“ bezeichnete Angeklagte wollte laut Anklage eine Million Euro von Familie T. erpressen.
Der Gerichtsmediziner hat erhebliche Zweifel
Ausschlaggebend für den Videoauftrag des Richters war das ärztliche Gutachten des Gerichtsmediziners Harald Voß. Er untersuchte das Entführungsopfer zwar erst drei Monate nach der Tat, bezog in seine Analyse aber Angaben des Notarztes ein. Dieser hatte T. wenige Stunden nach der vom Opfer beschriebenen Selbstbefreiung aus den Fesseln auf der Schilfinsel in Augenschein genommen. Dabei stellte er keinerlei Anzeichen schwerster Unterkühlungen oder Verletzungen fest. „Es gibt nur geringe Anzeichen für den von T. geschilderten Tatablauf“, fasste der Gutachter zusammen. Zu diesem Urteil kam er nach einem Selbstversuch an dem vom Entführungsopfer geschilderten Tatort. „Eine Befreiung aus diesem sumpfigen Gelände erfordert erhebliche Kraftanstrengungen“, sagte Voß. Zumindest im Gesicht, an den Händen und an den Fußsohlen hätte Herr T. Kratzer, Abschürfungen oder andere Hautwunden haben müssen, sagte er.
Stefan T. dagegen hatte seine „gute körperliche Verfassung“ in jenen Oktobertagen 2012 unterstrichen. Ihm habe es nichts ausgemacht, mehrere Stunden mit den Händen über dem Kopf an einen Baum gefesselt zu sein. In einem günstigen Moment habe er sich befreien können. Der Banker klingelte bei einem Rentnerehepaar in Wendisch Rietz, das die Polizei verständigte.
Das Ehepaar schilderte seine Eindrücke vor Gericht ziemlich plastisch: „Ein fremder, durchnässter Mann stand vor der Tür. In verdreckten Socken, einem schmutzigen Jogginganzug und ohne Schuhe sowie mit Schlammspuren im Gesicht und an den Händen.“ Der Anwalt von Stefan T. wies die Erklärung des Gerichtsmediziners als „zweifelhaft“ und „unglaubwürdig“ zurück. Es seien falsche Tatsachen berücksichtigt worden, andere Faktoren aber dafür außer Acht geblieben.
"Vor Gericht steht der Falsche" - sagt der Anwalt
In dem Indizienprozess verfolgt die Verteidigung von Anfang an die Strategie, den Angeklagten als unschuldig hinzustellen. „Vor Gericht steht der Falsche“, hatte Anwalt Axel Weimann schon am ersten Prozesstag gesagt. Demonstrativ war er kürzlich zu einer öffentlichen Vermessung des Angeklagten mit einem Zollstock angetreten. „1,86 Meter ohne Sportschuhe“, verkündete Weimann. Der Zeuge T. dagegen hatte seinen Entführer mit einer Körpergröße „zwischen 1,70 und 1,75 Metern“ beschrieben.
An den nächsten Prozesstagen werden Zeugen gehört, die den Angeklagten vor den Taten in Bad Saarow und am Storkower See mit dem Rad, zu Fuß oder mit einem Kanu gesehen haben wollen. Sie hatten sich nach Aufrufen der Polizei gemeldet. Vielleicht hat deshalb Mario K. sein Aussehen in dieser Woche verändert. Statt mit Vollbart erschien er glatt rasiert im Gerichtssaal.