Bilanz der Feuerwehr: Weniger Brände, mehr Einsätze: Wenn der Rettungswagen Verspätung hat
Die Berliner Feuerwehr kommt bei der medizinischen Notfallhilfe an ihre Kapazitätsgrenze. Nicht einmal jeder zweite Rettungswagen ist binnen acht Minuten beim Patienten. Nun wird reagiert.
Der Mangel bei der Berliner Feuerwehr wird für Notfallpatienten zunehmend lebensgefährlich. Denn der Rettungsdienst gerät immer stärker an seine Kapazitätsgrenzen. Binnen zehn Jahren nahm die Zahl der Alarmierungen um fast 50 Prozent zu, berichtete Landesbranddirektor Wilfried Gräfling, als er am Freitag gemeinsam mit Innensenator Frank Henkel (CDU) die Jahresbilanz der Feuerwehr vorstellte. 2014 stieg die Zahl der Einsätze um fast zehn Prozent gegenüber 2013. „Das hat uns schon erschreckt“, sagte Gräfling.
Erschrecken kann das auch die Berliner, denn die sogenannten Schutzziele, die die Zeit vom Notruf bis zum Eintreffen des Rettungswagens vorgeben, werden immer seltener erreicht. Laut einer Vereinbarung mit dem Senat soll die Feuerwehr in 75 Prozent der Fälle binnen acht Minuten beim Patienten eintreffen. Tatsächlich gelang ihr das aber nur noch in 39 Prozent der Fälle. An den weitläufigeren Stadträndern, speziell im Norden und Südosten, wird die Acht-Minuten-Frist nur für jeden zweiten Fall gefordert. Real erreicht wurde sie dort allerdings nur noch in jedem fünften.
Zwar betont Feuerwehrchef Gräfling, dass die Zahlen auch wegen einer besonderen Berliner Erfassungsmethode so schlecht seien: Nur hier laufe die Uhr bereits, wenn der Notruf eingeht, und nicht erst, wenn der Rettungswagen ausrückt. Trotzdem wird jetzt reagiert: Die vier für die Feuerwehr tätigen Hilfsorganisationen – Deutsches Rotes Kreuz, Arbeiter-Samariter-Bund, Malteser und Johanniter – haben zugesagt, bis Ende Juni je einen Rettungswagen zusätzlich in Betrieb zu nehmen. Zum Jahresende kämen weitere sechs sowie drei Feuerwehrwagen dazu, so dass Ende 2015 stadtweit „mindestens 13 zusätzliche Rettungswagen“ im Einsatz seien sollen – und zwar rund um die Uhr. Tatsächlich werden allerdings nicht alle 13 neuen Fahrzeuge samt Personal angeschafft, sondern auch durch Umorganisation bereitgestellt.
Der Feuerwehrchef sieht auch die Aufteilung der beiden Schutzzielklassen kritisch: Die zugehörigen Gebiete seien vor mehr als zehn Jahren definiert worden und inzwischen teils deutlich dichter besiedelt als damals. Gräfling stellte eine Überarbeitung der Kategorien in Aussicht – und versprach, dass es dabei „keine Taschenspielertricks“ geben werde.
Warum die Feuerwehr Oma Kasulke fürchtet
Mit 333 000 von insgesamt 400 000 Einsätzen macht der Rettungsdienst inzwischen den größten Teil der Arbeit aus, die die Feuerwehr leistet. Brände waren mit 6456 Einsätzen (Vorjahr: 7330) im Vergleich eher eine Nebenbeschäftigung. Hinzu kamen knapp 40 000 Fehlalarme beziehungsweise „Erkundungen“, sowie 20 000 technische Hilfeleistungen – vom Verkehrsunfall bis zum Sturmschaden. Auch die berüchtigte Katze auf dem Baum und der Terrier im Dachsbau sind in dieser Zahl enthalten. Wobei die Feuerwehr versucht, solche Einsätze von vornherein zu vermeiden oder wenigstens die – schnell vierstelligen – Gebühren einzutreiben.
Bei vielen ihrer Rettungseinsätze badet die Feuerwehr aus Gräflings Sicht die Mängel im Gesundheitswesen aus: „Wenn es Oma Kasulke schlecht geht und der Hausarzt nicht da ist, wird sie sich an die Feuerwehr wenden.“ Also werde sie von den Rettungssanitätern für viel Geld ins Krankenhaus und womöglich wieder nach Hause gefahren; schlimmstenfalls zulasten echter Notfälle. Auch das geplante Versorgungsstärkungsgesetz, das vorsieht, dass alle Krankentransporte künftig vorab von den Kassen genehmigt werden müssen, könnte zu noch mehr – eigentlich vermeidbaren – Rettungseinsätzen führen, sagte Gräfling auf Nachfrage.
Der demografische Wandel trifft die Feuerwehr von zwei Seiten: Einerseits werden die Menschen älter und kränker. Andererseits wird die Nachwuchssuche schwieriger. Noch gelinge es, trotz „deutlich verschlechterter Bewerberlage“ jährlich etwa 120 Feuerwehrleute in die Ausbildung zu holen. Perspektivisch müsse die rund 4000 Mitarbeiter starke Berufsfeuerwehr aber um etwa 500 Leute aufgestockt werden. Wie viele es tatsächlich werden, lächelte Innensenator Henkel mit Verweis auf laufende Haushaltsberatungen schweigend weg. Anstelle des Senators trumpfte die Opposition mit Zahlen auf: Um die aktuellen Rettungsziele einzuhalten, müsste Berlin jährlich 17 Millionen Euro investieren. Die könnten größtenteils über Gebühren wieder hereingeholt werden, erklärte Benedikt Lux, Innenexperte der Grünen. Hinzu kämen ein Sanierungsstau von 140 Millionen Euro bei den Wachen und ein jährlicher Fehlbetrag von sieben Millionen Euro für die Erhaltung des ohnehin nicht taufrischen Fuhrparks.