Ernst-Reuter-Platz in Charlottenburg: "Natürlich hätte man den Täter vorher wegschließen können"
Der Mann, der eine junge Frau vor eine U-Bahn gestoßen hat, hätte weggesperrt werden können, sagt ein Berliner Betreuungsrichter. Hamburgs Justizsenator Till Steffen will dennoch keine Kritik hören.
Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne) hat nach dem tödlichen Angriff auf eine 20-Jährige in einem Berliner U-Bahnhof Kritik am Umgang mit dem mutmaßlichen Täter zurückgewiesen. „Ich finde es in solchen Fällen nicht hilfreich, solche voreiligen Schuldzuweisungen zu machen“, sagte Steffen am Donnerstag in Richtung des Berliner Innensenators Frank Henkel (CDU).
Dieser hatte am Mittwoch nach der Tat am U-Bahnhof Ernst-Reuter-Platz gesagt: „Es muss die Frage gestellt werden, warum dieser Mann mit seiner Vorgeschichte nicht frühzeitiger gestoppt wurde.“ Nach bisherigen Erkenntnissen sei der Mann zuvor in mehreren norddeutschen Ländern auffällig gewesen.
„Ich glaube, Herr Henkel hat es sich da ein bisschen einfach gemacht“, sagte Steffen. Jetzt gelte es zunächst, die Vorgeschichte zu der Tat des in Hamburg aufgewachsenen 28-Jährigen zu klären. „Wir sind gerade dabei, die ganzen Erkenntnisse zusammenzutragen.“ Bislang sicher sei nur, dass der Mann vor langer Zeit mit einer Jugendstrafe in Erscheinung getreten sei.
Nach Angaben der schwedischen Zeitung "Expressen" und der Zeitung "Aftonbladet" hatte die junge Frau, die auf dem U-Bahnhof Ernst-Reuter-Platz vor einen Zug gestoßen wurde, die schwedische Staatsbürgerschaft. Wie die Zeitung schreibt, sei das schwedische Außenministerium informiert. Auch die schwedische Kirche in Berlin-Wilmersdorf habe Hilfe angeboten. Die Frau soll auch die deutsche Staatsangehörigkeit gehabt und in Berlin gelebt haben. Dem Vernehmen nach lebt die Familie in Lichterfelde; die Schwester der getöteten Frau besucht die 8. Klasse eines Berliner Gymnasiums.
Nach dem tödlichen Angriff auf die 20-Jährige schweigt der mutmaßliche Täter. Gegen den psychisch kranken Mann erging am Abend ein Unterbringungsbefehl wegen Mordes. Er ist jetzt in einer psychiatrischen Klinik. Ein Gutachter hatte ihn sich angeschaut und war zu der vorläufigen Einschätzung gelangt, der Mann habe eine paranoide Schizophrenie und sei deshalb schuldunfähig. Der iranischstämmige 28-Jährige steht in Hamburg unter Betreuung. In einem Verfahren wegen Sachbeschädigung war er in Hamburg ebenfalls als schuldunfähig eingestuft worden.
Psychisch Kranke können gut simulieren, sie seien gesund
Häufig wird in Fällen wie diesem die Frage laut, warum ein offensichtlich gefährlicher, psychisch kranker Mann nicht eingesperrt werden konnte, bevor eine solche Tat geschieht. "Natürlich hätte man den Täter vorher wegschließen können", sagte ein Berliner Betreuungsrichter dem Tagesspiegel dazu. "Das ist im Endeffekt eine Einschätzungsfrage des Gerichts und der Ärzte." Er selbst habe es des Öfteren erlebt, dass psychisch Kranke sehr gut einen stabilen, in sich ruhenden Zustand simulieren könnten - nur um sich dann, kaum in Freiheit, vor die U-Bahn zu werfen. An den Berliner Amtsgerichten hat jeden Tag ein Betreuungsrichter Dienst, der über Anträge auf Einweisung in die Psychiatrie entscheidet. Der Täter im aktuellen Fall dürfte demnach ein typischer Kandidat für ein psychiatrisches Gefängnis sein, also das Krankenhaus des Maßregelvollzugs.
Zu der Attacke war es laut Staatsanwaltschaft gekommen, als der in Hamburg geborene und aufgewachsene Mann sich erst etwa zwei Stunden in Berlin aufgehalten habe. Der 28-Jährige habe vergeblich versucht, in einer Obdachlosenunterkunft unterzukommen. Auf dem Weg in eine andere Unterkunft sei es zu der Tat gekommen. Sein Opfer wählte er offenbar nicht bewusst aus: Die Polizei ging nach ersten Erkenntnissen davon aus, dass sich das Opfer und der mutmaßliche Täter nicht kannten. Das Motiv des Mannes war zunächst unklar. Auf dem U-Bahnhof hatten am Abend Trauernde Blumen abgelegt.