Gefängnisausbruch in Charlottenburg: Mit Hammer und Flex - so gelang den Inhaftierten in Plötzensee die Flucht
Vier Gefangene entkamen durch einen aufgebrochen Lüftungsschacht einer Werkstatt. Die Opposition im Abgeordnetenhaus spricht von „unglaublichem Vorfall“
Am Donnerstagmorgen sind vier Männer, unter ihnen ein Gewalttäter, Seriendiebe und Einbrecher, mit Hilfe schwerer Werkzeuge aus der JVA Plötzensee in Charlottenburg geflohen. Das bestätigten Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) und Anstaltsleiter Uwe Meyer-Odewald. Die vier Häftlinge arbeiteten ab 6.30 Uhr mit anderen Gefangenen in der Autowerkstatt der Anstalt, wo sie von drei Justizangestellten bewacht wurden.
Die Ausbrecher öffneten zunächst eine mit einem Sicherheitsschloss versehene Tür. Im Heizungsraum dahinter brachen sie mit einem Hammer den Betonpfosten zwischen den schmalen Lüftungsschlitzen aus der Verankerung. Mehrere in den Pfosten eingegossene Stahlarmierungen durchtrennten sie mit einem Trennschleifer.
Die Werkzeuge gehören zur Ausstattung der Werkstatt, der elektrische Schleifer wurde an einen Gefangenen gegen Quittung ausgegeben – nicht aber an einen der vier Flüchtigen. In drei Minuten zwängten sich die Männer kurz vor 9 Uhr durch die entstandene Öffnung von rund 60 mal 30 Zentimetern. Auf dem Rasen vor dem Haus überwanden sie einen mit Stacheldraht gesicherten Zaun. Anders als zunächst vermutet kletterten sie nicht drüber, sondern hoben das Drahtgeflecht an, um untendurch zu entweichen. Die Flucht wurde von einer Kamera an einer Gefängnispforte gefilmt, die Bilder lösten aber keinen Alarm aus, und die Justizangestellten in der Alarmzentrale sahen den Ausbruch nicht. Das Fehler der Männer wurde gegen 9.30 Uhr in der Werkstatt bemerkt - nach 35 Minuten.
Der Ausbruch wird auch das Berliner Abgeordnetenhaus beschäftigen. Behrendt sagte am Donnerstag, er werde dem Parlament zu dem Vorfall „Rede und Antwort stehen“.
CDU: Senat trägt Schuld für Ausbruch
Nach den Männern, die zwischen 27 und 38 Jahre alt sind, wird gefahndet. Zwei sind deutsche Staatsbürger, zwei stammen aus Nahost und werden unter „ungeklärte Staatsangehörigkeit“ geführt. Die Haftzeit der Männer hätte zwischen 2018 und 2020 enden sollen. Wie üblich werden Familie, Freunde, Ex-Komplizen überprüft. Bedauerlicherweise habe Senator Behrendt zufolge kein Passant auf der Straße den Ausbruch bemerkt oder das Aufbrechen bemerkt.
Die oppositionelle CDU-Fraktion forderte eine gemeinsame Sondersitzung von Innen- und Justizausschuss, sie sprach von einem „unglaublichen Vorfall“ und gibt dem rot-rot-grünen Senat die Schuld für den Ausbruch. Die Flucht der vier Männer sei ein „Super-GAU“ für Justizsenator Behrendt, erklärte die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „In früheren Zeiten haben Justizsenatoren bei solchen Ereignissen ihr Amt zur Verfügung gestellt.“
Auch unter CDU-Justizsenatoren brachen immer wieder Häftlinge aus. Zuletzt gelang zwei Männern im Jahr 2014 die Flucht aus der Justizvollzugsanstalt Moabit, bis sie nach einigen Wochen gefasst wurden. Der damalige Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) musste zugeben, dass lose Drähte am Gebäude, verpasste Videoaufzeichnungen und ein Häftlingshandy es den Ausbrechern wohl leichter gemacht hätten.
Im aktuellen Fall geht es um Hammerschläge, Trennschleifer, unbeobachtete Überwachungsmonitore – der Flucht der vier Männer aus der Haftanstalt in Plötzensee dürften wochenlange Ermittlungen folgen. Wie gelang den Gefangenen die Flucht während der Arbeitszeit aus einer Gruppe an Mithäftlingen? Zunächst hatten die vier Ausbrecher die Werkstatt verlassen und die erwähnte Tür geöffnet, die mit einem Sicherheitsschloss versehen war. Möglicherweise, so ein Verdacht, war die Tür nicht korrekt abgeschlossen. Die Werkstatt, das sagte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), sei in einem Altbau untergebracht, unübersichtlich und verwinkelt. Die niedrige Zahl von drei Bediensteten, die an diesem Morgen die arbeitenden Häftlinge bewachten, bezeichnete Behrendt als „nicht unüblich“. Ob sich die vier Flüchtigen, zwischen 27 und 38 Jahren alt, schon vor der Haft kannten, sei unklar. Zwei von ihnen haben zuvor schon im Gefängnis gesessen. Drei waren gemeinsam in einer Teilanstalt untergebracht.
Bewacher überfordert – sie müssen 30 Monitore im Blick behalten
In der Werkstatt herrscht viel Lärm. Die Hammerschläge und der Trennschleifer, mit denen die Männer nebenan einen Lüftungsschacht nach draußen freibrachen, dürften so nicht gehört worden sein. Vor dem Gebäude, auf den davor befindlichen Stacheldrahtzaun gerichtet, gibt es Überwachungskameras. Die Beamten in der Zentrale müssen 30 Monitore im Blick behalten, auf denen abwechselnd 60 Kameras zugeschaltet werden – was dazu geführt haben könnte, dass sie die vier Männer, die zügig aus der Wand kamen und geschickt den Zaun hochbogen, nicht bemerkten. Auf den Kamerabildern, hieß es, seien keine Helfer zu erkennen.
Die Anstalt in Plötzensee habe einen mittleren Sicherheitsstandard, sagte Behrendt. Höher ist er in den Gefängnissen in Tegel, wo Schwerkriminelle einsitzen, und in Moabit, wo viele Untersuchungshäftlinge untergebracht sind. Die Polizei fahndet nach den Männern, wie üblich werden Familie, Freunde, Ex-Komplizen überprüft. Die meisten Gefangenen werden nach Ausbrüchen zwar gefasst. Zahlen, die einen akkuraten Überblick geben könnten, stellte die Justizverwaltung nicht zur Verfügung.
Flucht ist straffrei
In Deutschland ist die Flucht straffrei – sie wird als natürlicher Freiheitstrieb eingestuft. Ausbrecher begehen, um fliehen zu können, meist dennoch Straftaten: Im aktuellen Fall dürfte es sich um Sachbeschädigung handeln. Oft kommen Diebstahl von Gefangenenkleidung oder Körperverletzung gegenüber Bediensteten dazu. Unabhängig von Strafgesetzen stellt eine Flucht ein Disziplinarverstoß gegen die Hausordnung der Anstalt dar. Dem könnten verschärfte Haftbedingungen folgen. Zudem dürfte sie sich bei der Frage nach vorzeitiger Entlassung schlecht auswirken.
In dem Gefängnis in Berlin-Charlottenburg sind 362 Gefangene inhaftiert. Rund 100 Männer davon verbüßen eine Ersatzfreiheitsstrafe, weil sie eine Geldstrafe nicht gezahlt hatten. Die meisten anderen sitzen Freiheitsstrafen von zwei bis sieben Jahren ab – so wie die am Donnerstag entwichenen Männer.