Der MacGyver der JVA Tegel: „Maskenmann“ baute sich einen Wurfanker
Ein umgebauter Rasierer, ein chemisches Gemisch und ein Wurfanker aus Tisch- und Stuhlbeinen – wie ist Mario K. der Ausbruch aus der Zelle gelungen?
Neue Details zum spektakulären Fluchtversuch von Mario K.: Der auch als „Maskenmann“ bekannte Häftling, der in der Nacht zu Montag aus der JVA Tegel flüchten wollte, hatte sich einen Wurfanker aus Tisch- und Stuhlbeinen in seiner Zelle gebaut. Mit dem Anker und einem Seil aus Bettlaken habe er wahrscheinlich die Außenanlagen überwinden wollen, sagte Justizverwaltungssprecher Sebastian Brux am Dienstag.
Laut Brux war das ein aussichtsloses Unterfangen: „Er hätte es nur bis zum Freigelände geschafft, auf das er sowieso jeden Tag darf.“ Die Anlage aus Zaun und Mauer sowie Stacheldraht hätte er damit nicht überwinden können.
Den Anker habe er auf ein Vordach fallen lassen – möglicherweise, um ihn auf der Flucht mitzunehmen. An dem Seil sei außerdem ein Haken befestigt gewesen, den er offenbar aus einem Tischbein geschweißt hatte, so Brux.
Mit einem chemischen Gemisch hatte der 52-Jährige die Gitterstäbe seiner Zelle aufgeschweißt und sich an der Fassade der Teilanstalt V der JVA Tegel abgeseilt. Beamte fassten den Mann, bei dem es sich nach Tagesspiegel-Informationen um den „Maskenmann“ Mario K. handelt.
„Der Fluchtversuch ist keine Frage von Personalnot“, so Brux. „Die Teilanstalt V war voll besetzt, ein Bediensteter hat ihn entdeckt.“
Irritiert zeigte sich die für die Strafvollstreckung von K. zuständige Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder). Sie erfuhr aus den Medien, wer da fliehen wollte. Aus Sicht der Behörde wäre der Ausbruchsversuch ein Vorfall, der ihr gemeldet werden müsste. Das sieht Berlins Justiz anders: „Wenn ein Gefangener nicht ausbricht, gibt es auch keinen Grund, die Vollstreckungsabteilung zu informieren, dass ein Gefangener nicht fehlt“, sagte Brux.
„Keine Frage von Personalnot“
Mario K. war 2015 in Frankfurt (Oder) wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er soll 2011 einen Überfall auf eine Millionärsfamilie in Bad Saarow (Oder-Spree) verübt, dabei einen Wachmann niedergeschossen sowie 2012 auf spektakuläre Weise einen Banker am Storkower See entführt haben. K. selbst hatte die Taten stets bestritten und erklärt: „Ich bin der Falsche.“
Das Maskenmann-Verfahren war höchst umstritten, es gab bei den Ermittlungen zahlreiche Pannen. Zweifel an der Schuld von K. konnten nie ausgeräumt werden. Im Maskenmann-Prozess hatte das Landgericht geurteilt, K. habe versucht, durch die Entführung Lösegeld zu erpressen. Dabei gab es keine direkten Beweise und Zeugen, mit denen K. die Schuld nachgewiesen werden konnte.
Nun gibt es weitere Erkenntnisse zu den Mitteln seiner Flucht: Wie berichtet, nutzte K. eine Thermitreaktion, wie sie auch beim Schweißen von Eisenbahnschienen angewendet wird: Bei der gemeinsamen Entzündung von Aluminiumpulver und Eisenoxidpulver entstehen extrem hohe Temperaturen, die der Dachdecker sich offenbar zunutze machte, um das Metall zu schmelzen.
Unklar ist, woraus er das Gemisch zusammensetzte
Laut Brux fanden sich in seiner Zelle nur Gegenstände, die er legal beziehen durfte – abgesehen von einer Rolle Paketklebeband. Unter anderem wurden auch Zitronennetze, Putzmittel und Backzutaten gefunden.
„Ob er aus den Zitronen Zitronensäure gewonnen hat, das wissen wir nicht“, so Brux. Die Kriminaltechniker vom LKA untersuchen nun, mit welchem Gemisch es ihm gelang, die Reaktion hervorzurufen.
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Zur Frage nach den Konsequenzen aus der Aufklärung sagte Brux: „Das hätte zur Konsequenz, dass wir darüber reden, ob wir einzelne Substanzen in Berliner Gefängnissen verbieten. Und wir werden andere Haftanstalten darüber informieren, dass ein findiger Gefangener aus dieser Kombination Metall schmelzen kann.“
Um die Reaktion hervorzurufen, hat der Mann nach Angaben des Justizsprechers außerdem Strom hinzugefügt – und zwar so, dass der MacGyver-Vergleich, den einige Medien anstellen, nicht völlig übertrieben erscheint: „Er hat die Netzteile von Rasierern umgebaut und hat damit Strom an Netze und Gitter gelegt“, so Brux. Auch Batterieblöcke seien angeschlossen gewesen. Es seien jedoch Mutmaßungen, ob er darüber den Strom reguliert habe. „Wie er es gemacht hat, wissen wir nicht“, betonte Brux. Doch auf irgendeine Weise muss es ihm gelungen sein. „Und zwar so reguliert, dass die Sicherung nicht rausgeflogen ist“, so der Sprecher.
Unklar ist, ob andere Gefangene den Fluchtversuch bemerkten. Informiert worden sei man nicht, so Brux. Der Mann befindet sich nun in der Abschirmstation des Gefängnisses.
Laut Chemie-Professor Ulrich Abram von der Freien Universität Berlin ist es nur „schwer vorstellbar“, dass der Gefangene mit diesen einfachen Zutaten Metall zum Schmelzen brachte. Im Handel seien aber Substanzen erhältlich, mit denen man Metall einfach erhitzen könne. (mit dpa)