Prenzlauer Berg: Israeli von Arabisch sprechendem Mann mit Gürtel verprügelt
Am Dienstagabend ist ein 21-jähriger Mann mit Kippa am Helmholtzplatz angegriffen worden. In Berlin hat sich die Zahl der bei der Polizei gemeldeten antisemitisch motivierten Taten seit 2013 verdoppelt.
- Hannes Heine
- Laura Hofmann
- Alexander Fröhlich
Wieder ein antisemitischer Vorfall, wieder schlägt der Täter zu, wieder vor Zeugen mitten in Berlin. Wie das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) berichtete, sind zwei Kippa tragende junge Männer am Dienstagabend in Prenzlauer Berg von einem auf Arabisch schreienden Mann angegriffen worden. Die Polizei bestätigte den Fall am Mittwoch, der Staatsschutz ermittelt - die Täter konnten fliehen.
Aus einer Gruppe von drei jungen Männern heraus attackierte ein junger Mann einen 21-jährigen Israeli mit einem Gürtel. Dabei rief er "Yahudi" - das ist Arabisch für "Jude" und auch in Berlin immer öfter als Beleidigung gemeinter Ruf zu hören.
Die Opfer konnten offenbar mit einem Handy ein verwackeltes Video von dem Vorfall anfertigen. Der Clip ist im Netz zu sehen, das Opfer lud ihn nach Angaben des JFDA in einer Facebook-Gruppe hoch. Der Clip zeigt, wie der schreiende Mann den jungen Studenten aus Israel mit einem Gürtel schlägt und ihn wiederholt als „Yahudi“ bezeichnet. In dem Video ist auch zu hören, wie das Opfer dem Schläger nachruft: "Jude oder nicht Jude - du musst damit klarkommen!"
Levi Salomon vom JFDA teilte dazu noch in der Nacht mit: „Es ist unerträglich anzusehen, dass ein junger jüdischer Mann auf offener Straße im gut situierten Berliner Stadtteil Prenzlauer-Berg angegriffen wird, weil er sich als Jude zu erkennen gibt. Das zeigt, dass jüdische Menschen auch hier nicht sicher sind. Nun sind Politik und Zivilgesellschaft gefragt. Wir brauchen keine Sonntagsreden mehr – es muss gehandelt werden.“
Der Vorfall ereignete sich nach Polizeiangaben gegen 20 Uhr in der Raumerstraße nahe dem Helmholtzplatz. Das 21-jährige israelische Opfer war in Begleitung eines 24-jährigen Deutschen. Sollte die Fahndung nach den Tätern erfolglos bleiben, könnte das Videomaterial auf Anordnung eines Richters für die Suche genutzt werden. In dem veröffentlichten Film wurden die Angreifer unkenntlich gemacht.
"Jüdische Berliner fühlen sich bei uns nicht mehr sicher"
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) erklärte: "Wenn junge Männer bei uns attackiert werden, nur weil sie eine Kippa tragen, ist das unerträglich. Juden dürfen sich bei uns nie wieder bedroht fühlen. Wir tragen Verantwortung dafür, uns schützend vor jüdisches Leben zu stellen."
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) verurteilte "diese erneute antisemitische Attacke auf das Schärfste. Antisemitismus gehört nicht zum Berlin, in dem wir leben wollen." Er sei dankbar, sagte Müller, dass jüdisches Leben in Berlin Stadt wieder sichtbar sei und einen wichtigen Beitrag zur Vielfalt der offenen und toleranten Metropole leiste. "Berlin ist die Stadt der Freiheit. Für diese streiten wir tagtäglich, indem wir uns klar positionieren, aufklären und uns Antisemitismus, Rassismus und Hass aktiv entgegenstellen."
Mike Samuel Delberg, Repräsentant der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, äußerte sich auf Twitter zu dem Angriff: "Wenn wir jetzt nicht beginnen resolut durchgreifen, dann schreiten wir auf eine Zukunft zu, in der sich Juden in Deutschland nicht mehr auf die Straßen trauen werden!", schrieb er.
Zahl antisemitischer Straftaten steigt in Berlin seit Jahren
Erst im Dezember war der Betreiber eines israelischen Restaurants in Schöneberg beschimpft und bedroht worden. Die Zahl antisemitischer Straftaten in Berlin steigt seit Jahren. Im Jahr 2017 waren bei der Polizei 288 antisemitisch motivierte Taten registriert worden – was einer Verdopplung seit 2013 entspräche. Im Jahr 2016 waren 197 antisemitisch motivierte Fälle erfasst worden, 2013 waren es 149 Taten.
Unklar ist, weshalb es zu einer Steigerung kam; ebenso wenig ist in vielen Fällen bekannt, wer die Täter sind: Genaue Analysen dazu fehlen. Von Lehrern, Polizisten und Sozialarbeitern heißt es, man nehme an, die Steigerung der Vorfälle hänge auch damit zusammen, dass in der Stadt nun mehr Einwanderer aus dem Nahen Osten lebten.
Deutlich mehr Fälle als die Polizei hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) registriert. Sie hat 2017 in Berlin insgesamt 947 antisemitische Vorfälle erfasst - das ist gegenüber 2016 ein Anstieg um 60 Prozent. Darunter seien 18 Angriffe, 23 Bedrohungen, 42 Sachbeschädigungen und 679 Fälle verletzenden Verhaltens - davon 325 online.
Betroffen waren 245 jüdische und nichtjüdische Einzelpersonen und in 461 Fällen jüdische oder israelische Institutionen und zivilgesellschaftliche Initiativen. Die Zahl der betroffenen Einzelpersonen ist 2017 gegenüber 2016 um 55 Prozent gestiegen. 2016 hatte RIAS 405 Fälle registriert. Allein an Berliner Bildungseinrichtungen seien 30 antisemitischen Vorfälle erfasst worden. Damit habe sich die Zahl im Vergleich zu 2016 (14) verdoppelt.
Große Sorge in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin
Für den Anstieg gebe es mehrere Gründe: Das noch immer im Aufbau befindliche Meldenetzwerk werde von Jahr zu Jahr bekannter. Es sei davon auszugehen, dass 2017 mehr Menschen von der Meldemöglichkeit bei RIAS wussten und entsprechend davon Gebrauch machten. Zudem könne RIAS wegen neuer und erweiterter Kooperationen zusätzliche Quellen und Auswertungen in die Statistik einzubeziehen. So seien für 2017 und zusätzlich rückwirkend für 2016)antisemitische E-Mails und Postzuschriften an jüdische und. israelische Institutionen in Berlin ausgewertet worden. Ein tatsächlicher Anstieg antisemitischer Vorfälle im Jahr 2017 könne nicht ausgeschlossen werden.
Der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, erklärte, innerhalb der jüdischen Gemeinschaften in Berlin sei die Sorge vor einem Anstieg des Antisemitismus groß. "Ob in der Schule, am Arbeitsplatz oder auf der Straße – fast alle haben schon einmal in ihrem Alltag Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht. Es ist außerordentlich wichtig, dass diese Erfahrungen und Perspektiven wahrgenommen werden."
Politik verurteilt Attacke
Der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, hat den antisemitischen Angriff scharf verurteilt. Damit sei erneut eine rote Linie weit überschritten worden, sagte Schuster am Mittwoch in Berlin. Er sei erschrocken und erschüttert gewesen, als er von dem Vorfall erfahren habe. Er hoffe, dass anhand des Videos, das einer der Betroffenen mit seinem Mobiltelefon machte, der Täter ermittelt werde.
Von der Justiz forderte Schuster ein klares und eindeutiges Zeichen, dass es sich bei dem Vorfall nicht einfach nur um Körperverletzung handele: „Kein Mensch wird als Antisemit geboren“, sagte Schuster am Rande einer Tagung, auf der eine neue Internetseite mit Schulmaterialien über das Judentum vorgestellt wurde.
Schuster sagte weiter, sollte der Täter gefasst werden, sollte auch dessen Hintergrund ausgeleuchtet werden, um herauszufinden, warum es zu dieser antisemitischen Handlung kam. Mit Blick auf Antisemitismus unter muslimischen Migranten sagte Schuster, hier hätten die Islamverbände eine besondere Verantwortung, das Thema in ihren Gemeinden klar zu benennen.
Das American Jewish Comittee (AJC) erklärte, der Vorfall reihe sich in eine lange Liste von Übergriffen ein, die nicht selten einen muslimischen Täter-Hintergrund haben. „Wir dürfen die Augen vor dem immer häufiger auftretenden Antisemitismus in Teilen der arabischen und muslimischen Community nicht verschließen“, forderte AJC-Direktorin Deidre Berger. Sie kritisierte, dass in der offiziellen Polizeistatistik noch immer 95 Prozent des Antisemitismus dem Rechtsextremismus zuordnet werde. Dagegen sprächen die Erfahrungen von 80 Prozent der Betroffenen. „Wenn wir das Problem ernsthaft angehen wollen, brauchen wir ein besseres Lagebild“, sagte Berger.
Auch Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke), der als Vorsitzender der Kultusministerkonferenz zusammen mit Schuster die Tagung eröffnet hatte, verurteilte den Angriff. Er forderte null Toleranz gegenüber antisemitischen Tätern. Es müsse klar gemacht werden, dass bestimmte Dinge nicht zu Deutschland gehören, sagte Holter.
Bezirksbürgermeister Benn: "Wie sehr er uns sein Verhalten anwidert."
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) nannte den Übergriff "beschämend", derlei sei nicht hinzunehmen. "Nichts rechtfertigt Gewalt. In keinem Namen. Wir dulden keinen Antisemitismus. Die Menschen sollen in Berlin sicher leben, unabhängig von Glauben und Weltanschauung."
Die stellvertretende Berliner CDU-Fraktionschefin Cornelia Seibeld erklärte: „Wie lange will sich der Berliner Senat die steigende Zahl der antisemitischen Vorfälle noch ansehen. Nun wurde ein junger Mann wegen seiner Kippa mit einem Gürtel geschlagen. An Schulen werden Kinder jüdischen Glaubens gemobbt. Jüdische Berliner fühlen sich bei uns nicht mehr sicher.“
Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) erklärte: „Ich verurteile den gestrigen antisemitischen Angriff auf einen jungen Mann in Berlin ausdrücklich. Dieser Vorfall zeigt einmal mehr, wie wichtig die Arbeit gegen Antisemitismus in unserer Stadt ist. Antisemitismus darf in dieser Stadt nicht hingenommen werden."
Auch das Bezirksamt Pankow verurteilte den Angriff auf offener Straße. Der Bezirksbürgermeister Sören Benn teilte mit: "Die Regeln zivilisierten Zusammenlebens gelten ausnahmslos für alle. Dazu gehört nicht nur Gewaltfreiheit, sondern auch eine klare Absage an jede Form von Antisemitismus und der Kampf gegen die Ausbreitung von Antisemitismus." Der Täter werde hoffentlich schnell gestellt und zur Verantwortung gezogen. "Er sollte Gelegenheit bekommen, wahrzunehmen, wie sehr er uns sein Verhalten anwidert", sagte Benn. (mit epd)
Am späten Mittwochabend gab es Irritationen, weil das Opfer der Deutschen Welle sagte, er sei kein Jude, sondern in Israel in einer arabischen Familie aufgewachsen: Als Israeli mit einer Kippa durch Berlin zu laufen, sei ein Experiment gewesen. Ein Freund habe ihn gewarnt, man sei in Deutschland nicht sicher, wenn man eine Kippa trage. Das habe er nicht geglaubt, erklärte der Mann weiter. In einer früheren Version des Artikels hieß es, der betroffene Adam Armush sei Jude. Er selbst sprach von sich allerdings lediglich als Israeli, der eine Kippa trug.