Rabbiner zusammengeschlagen: "Das war eine Attacke auf die Religionsfreiheit"
Sie fragten "Bist du Jude?" - und schlugen zu. Vier Jugendliche haben am Dienstagabend in Friedenau einen Rabbiner im Beisein seiner Tochter brutal attackiert. Der Regierende Bürgermeister Wowereit und Innensenator Henkel verurteilten die Tat scharf.
„Bist du Jude?“ Das soll einer der vier Jugendlichen am Dienstagabend den Rabbiner gefragt haben. Als der 53 Jahre alte Rabbiner, der eine Kippa trug und mit seiner sechsjährigen Tochter in Friedenau unterwegs war, die Frage bejahte, prügelten die jungen Männer auf ihn ein, beleidigten ihn und bedrohten seine Tochter: „Ich bringe deine Tochter um“, sagte einer, bevor die vier flüchteten. Der Rabbiner wurde im Gesicht verletzt und kam ins Krankenhaus. Seine Frau berichtete, dass er am Mittwochabend wegen eines gebrochenen Jochbeines operiert wurde. Kamerateams sammelten sich vor seinem Wohnhaus. Der Staatsschutz ermittelt – er geht von jungen Männern arabischer Herkunft aus. Der Angriff fand gegen 18.20 Uhr in der Beckerstraße statt, die zum „Malerviertel“ in Friedenau gehört. Hier, wo die Straßen nach Künstlern wie Cranach und Rubens benannt sind, lebt der Rabbiner mit seiner Frau und zwei kleinen Töchtern. Die Nachbarn, die im gleichen Haus wohnen, sind entsetzt. „Wir sind schockiert über diese Tat“, sagt ein 68-Jähriger. „Und dann auch noch vor den Augen seiner kleinen Tochter.“ Das Viertel sei gutbürgerlich, aber es gebe gewisse Probleme mit einer „Anhäufung arabischer Jugendlicher", die in einem Neubaublock am nahen Dürerplatz leben. Im Wohnblock am S-Bahnhof Friedenau lebten arabische Familien, deren Kinder „in Gruppen häufig aggressiv“ wären. Vor einigen Jahren sei das schlimmer gewesen, daraufhin hätten sich Anwohner zu einer „Bürgerinitiative Dürerkiez“ zusammengeschlossen, um den Kiez um den Platz zu verschönern.
„Seit der Wohnblock saniert worden ist, wurde es besser", sagt der Rentner. Vor zwei Jahren habe sich die Initiative aufgelöst. Der Besitzer der Trattoria in der Beckerstraße, in der Rabbiner Stammgast sei, bestätigt, dass es Probleme mit arabischen Männern gebe. „Der Rabbiner ist ein friedfertiger, ruhiger, höflicher Mann. Wo leben wir denn, wenn einer wegen seines Glaubens verprügelt wird?“, fragt der italienische Wirt wütend. Am Abend habe er vor seinem Restaurant gesessen und zur fraglichen Zeit „arabische Jugendliche vorbeigehen sehen, die sich alle gerade eine Zigarette anmachten“. Von dem Angriff habe er nichts mitbekommen, weil eine Hecke die Sicht versperrt. „Der Rabbiner ist zu mir gelaufen, er war im Gesicht verletzt“, sagt Gastwirt. Eine Straße weiter geht es zum Dürerplatz, der von der S-Bahn-Unterführung, einem Aldi-Markt und pastellfarbenen Wohnblöcken eingerahmt ist.
132 antisemitische Taten im vergangenen Jahr
Ein junger Mann, deutscher Herkunft, aufgewachsen am Dürerplatz, sitzt auf einer Bank. Er ist entsetzt als er von dem Angriff auf den Rabbiner hört. „Wenn das Araber gewesen sein sollen, wie die Polizei vermutet, dann verstehe ich das nicht: Die dürfen doch auch ihre Religion frei ausleben", sagt der Mann. Der Dürerplatz sei jedenfalls abends immer voller Jugendlicher. „Wir sind entsetzt über diese neue Dimension von Gewalt“, sagt die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler (SPD): „Seit längerem ist für den kommenden Sonnabend ein großes Fest der Integration am Dürerplatz geplant. Da werden viele Menschen noch einmal ganz klar machen, dass Antisemitismus bei uns nichts zu suchen hat.“ Antisemitische Taten werden bei der Polizei unter politisch-motivierter Kriminalität erfasst, beim Landeskriminalamt ist dafür der Staatsschutz zuständig. Als antisemitisch wurden im vergangenen Jahr 132 Taten eingestuft, 20 Fälle weniger als im Vorjahr 2010. Meist waren es Beleidigungen und Drohungen. Kenner gehen davon aus, dass es wie in anderen Fällen von Hasskriminalität eine hohe Dunkelziffer gebe. Zur Hasskriminalität gehören Rassismus, Antisemitismus, Gewalt wegen sexueller und religiöser Orientierungen.
Der Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit (SPD) und Innensenator Frank Henkel (CDU) verurteilten den Angriff. Wowereit erklärte: „Das war eine Attacke auf die Religionsfreiheit.“ Die Solidarität der Stadt gelte dem Rabbiner, sagte Benedikt Lux, Innenexperte der Grünen. Der Rabbiner war bis 2010 für die Synagoge der Jüdischen Gemeinde zu Berlin tätig. Der neue Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde der Stadt, Gideon Joffe, sagte am Mittwoch: „Die verbale Aggression gegen Juden hat zugenommen.“
Die Jüdische Gemeinde Berlin plant Joffe zufolge, ab 2013 eine eigene Datenbank zur Erfassung antisemitischer Vorfälle einzurichten. Dort sollen dann nicht nur Übergriffe dokumentiert werden, sondern etwa auch an Juden gerichtete abwertende Sprüche. Antisemitismus sei ein gesamtgesellschaftliches Problem – „egal, ob er von arabischen Jugendlichen ausgeht, von rechtsextremen Opas oder der sogenannten Mitte der Gesellschaft“ ausgehe, sagte Susanna Harms, die für die Amadeu-Antonio-Stiftung zu Antisemitismus arbeitet. Der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses erklärte in Brüssel, nächste Woche werden sich Vertreter jüdischer und muslimischer Gemeinden treffen. Er hoffe, dass es eine gemeinsame Verurteilung von Gewalt geben werden.
Auch junge Muslime reagierten auf die Attacke empört. "Ich verabscheue die Tat gegenüber dem Rabbiner zutiefst. Ich lehne sie mit aller Vehemenz ab", schreibt Betül Ulusoy von dem Projekt "JUMA - jung, muslimisch, aktiv" in einer Stellungnahme.
Nachbarn des Rabbiners in Friedenau haben sich gestern getroffen und Geld gesammelt. Und der Familie Blumen gebracht – als Zeichen der Unterstützung.