S-Bahnhof Olympiastadion: Behinderter Hertha-Fan fast erwürgt - Polizei sucht Zeugen
Neun Tage nach dem Spiel Hertha gegen Dresden wird ein schockierendes Verbrechen bekannt: Ein behinderter Fan mit Down-Syndrom ist von Unbekannten auf dem S-Bahnsteig schwer misshandelt worden. Mangels Videoüberwachung sucht die Polizei nun Aufnahmen von Fans.
Drei Gewalttaten gegen alte und behinderte Menschen schockieren Berlin. Nach der am Donnerstag bekannt gewordenen Messerattacke von Jugendlichen auf eine 80-Jährige hat die Polizei am Freitag zwei brutale Angriffe auf Behinderte gemeldet: Am Donnerstagabend haben zwei Unbekannte in Altglienicke eine Rollstuhlfahrerin überfallen und beraubt. Die 33-Jährige wurde in der Normannenstraße Ecke Grünauer Straße aus dem Rollstuhl gerissen und geschlagen; einer der Männer verdrehte ihr so lange den Arm, bis sie ihr Geld herausgab. Vor der Flucht stießen die Täter die Frau zu Boden, das Opfer musste in ein Krankenhaus.
Erst mit zweiwöchiger Verzögerung wurde am Freitag ein zweiter brutaler Angriff auf einen geistig und körperlich Behinderten bekannt. Demnach wurde kurz nach dem Zweitligaspiel Hertha BSC gegen Dynamo Dresden ein Hertha-Anhänger von Unbekannten fast erdrosselt. Bundespolizisten fanden den 31-Jährigen fast bewusstlos auf dem Bahnsteig an der Station Olympiastadion. Unbekannte hatten den Mann mit Down-Syndrom zunächst geschlagen und ihm dann seinen Hertha-Schal würgend um den Hals verknotet. Wegen seiner Behinderung konnte sich das Opfer nicht selbst davon befreien. Als sein Zustand erkannt wurde, war er „bereits stark benommen“, wie das Präsidium mitteilte. Wie lange der 31-Jährige ohne Hilfe dort sitzen musste, ist unklar. Dem Vernehmen nach haben die zahlreichen auf dem Bahnhof eingesetzten Bundespolizisten das Opfer für einen betrunkenen Fan gehalten und ihn ignoriert.
Das Berliner Landeskriminalamt ermittelt wegen versuchter Tötung. Da es auf S-Bahnsteigen in Berlin keine Videoüberwachung gibt, sucht die Polizei nach Aufnahmen von Fußballfans, die zwischen 19.45 Uhr und 20.05 Uhr am S-Bahnhof Olympiastadion möglicherweise zufällig und ohne es zu bemerken Zeugen dieser Tat wurden. Das Fußball-Kommissariat im LKA hatte die Ermittlungen erst mit mehrtägiger Verspätung übernehmen können, da die Bundespolizei den Fall erst Anfang dieser Woche an die Berliner Behörden übermittelte. Dass nun die frühere „Soko Hooligan“ ermittelt, gilt als Indiz, dass die Täter in Fankreisen vermutet werden. In beiden Lagern hieß es am Freitag jedoch gleichlautend, dass dies kaum vorstellbar sei: „Behinderte sind tabu.“ Zudem hieß es bei Dresdener Fans, dass keine Rivalität zu Hertha bestehe, anders als bekanntlich zu Union.
Beim Spiel der Herthaner am Freitagabend gegen 1860 München hingen Fahndungsaufrufe im Stadion, die Polizei wollte zudem Handzettel an die Fans verteilen. Hertha-Geschäftsführer Ingo Schiller sprach von einem „ungeheuerlichen Vorfall“. Schiller kündigte an, dass dem Opfer Hilfe angeboten werden solle. Dem Vernehmen nach, war die Befragung des Opfers wegen seiner Behinderung schwierig. Unklar ist zum Beispiel, ob der 31-Jährige allein oder in einer Gruppe beim Spiel war.
Im Fall der am 28. September in einem Park in Weißensee niedergestochenen 80-Jährigen ist die Polizei zuversichtlich, dass sich die Täter entweder stellen oder schnell ermittelt werden. Am Donnerstag waren Videobilder einer Überwachungskamera veröffentlicht worden. Die Täter sollen etwa 15 bis 16 Jahre und Deutsche sein.
Jörn Hasselmann