zum Hauptinhalt
Nicht immer klappt's. Ein Angeklagter diesen Juni in Frankfurt (Oder): Drei Mazedonier und zwei Serben sollen in Läden und Spielhallen eingebrochen sein. Die 30 bis 39 Jahre alten Männer müssen sich wegen schweren Bandendiebstahls verantworten.
© dpa
Update

Organisierte Kriminalität: Polizei ermittelt in 22 Ländern gegen 1900 Verdächtige

Mehr als 100 Millionen Euro Schaden - die Polizei kämpft europaweit gegen Organisierte Kriminalität. Der Fall polnischer Autoschieber, die in Berlin aktiv waren, zeigt die Arbeitsweise.

Am Anfang ist es Routine, täglich das Gleiche. In jedem Berliner Kiez, in fast jedem Brandenburger Ort werden Beamte abends oder morgens zu einer aufgebrochenen Wohnung oder einem leeren Parkplatz gerufen, auf dem das neue Auto fehlt. Dann müssen die diensthabenden Polizisten entscheiden: Sieht das nach Kleinkriminellen, Junkies, gelangweilten Jugendlichen aus? Oder ist es die Tat von Profis, reisenden Auftragstätern, Ausführenden straffer Netzwerke?

„Oft stehen hinter dem Diebstahl hochwertiger Wagen oder den Einbrüchen in Häusern zentral gesteuerte Täter“, sagte Ermittler Dirk Jacob am Donnerstag im Landeskriminalamt (LKA) Berlin. „Und die rechnen wir der russischsprachigen Organisierten Kriminalität zu.“ Damit ist also grob gesagt das gemeint, was der Volksmund gern Russenmafia nennt. Fest stehe, sagt Jacob, dass grenzüberschreitende Diebe, Schmuggler, Hehler und Räuber funktionierende Netzwerke brauchen, schon um Waren abzusetzen und Geld zu waschen. Und die Arbeitssprache dabei ist eben oft Russisch.

Beamte aus 22 Ländern ermitteln 1900 Verdächtige

Jacob leitet das Dezernat für Organisierte Kriminalität des Berliner LKA. Am Donnerstag stellte er die Ergebnisse 30-monatiger Ermittlungen vor, die sich um gewerbsmäßigen Autodiebstahl, internationale Hehlerei und systematische Einbruchsserien drehten – immerhin Phänomene, die den Ton in der öffentlichen Debatte rauer werden ließen. In Brandenburg bildeten sich Bürgerwehren, weil lokale Beamten den zielstrebigen Profi-Dieben wenig entgegensetzen konnten. Chefermittler Jacob lobte nun – und das überrascht vielleicht einige – die Kollegen in Polen, dem Baltikum, aber auch Griechenland, Rumänien und Georgien für die Zusammenarbeit. In gemeinsamen, grenzüberschreitenden Fahndungen konnten seit 2014 fast 1900 Verdächtige ermittelt werden – alles Männer und wenige Frauen mafia-ähnlicher Banden. Die Kooperation mit Beamten aus 22 Ländern sei möglich geworden, weil die Europäische Union die Treffen der Fahnder mit 586 000 Euro unterstützte.

Arbeitssprache: Russisch

Die Verdächtigen – meist aus Polen, Litauen, Georgien und Russland – denken durchaus in nationalen Kategorien. Doch wenn eine in Brandenburg arbeitende Clique polnischer Schieber gestohlene Autos verkaufen will, ist sie auf Kontakte in Russland angewiesen, die Fahrzeuge bis nach Asien schaffen können. Sortenreinheit gebe es bei der Organisierten Kriminalität nur begrenzt, sagte Jacob, weshalb verschiedene Banden über das verbreitete Russische kooperierten. Was nicht heißt, das immer alles glatt läuft: Ermittelt wird auch, weil Tatverdächtige offenbar Konkurrenten töten ließen.

Auch Autodiebstahl ist Feld der Organisierten Kriminalität - doch so, wie auf dem Bild gezeigt, werden moderne Wagen heute nicht mehr aufgebrochen.
Auch Autodiebstahl ist Feld der Organisierten Kriminalität - doch so, wie auf dem Bild gezeigt, werden moderne Wagen heute nicht mehr aufgebrochen.
© imago/Schöning

Beispielhaft sprachen die Kollegen um Chefermittler Jacob am Donnerstag von einem Fall aus dem Februar: Neun Autodiebe waren damals in Berlin verhaftet worden, was ruppig ausgegangen ist – der Fluchtwille der Täter soll ausgeprägt gewesen sein. Die acht Männer und eine Frau im Alter von 23 bis 40 Jahren waren seit langem in Ostdeutschland aktiv, aber auch Österreich. Weil einer der schon Verdächtigten einen Wagen mietete, erfuhren die Beamten von einer geplanten Tour. Die neun „Zielpersonen“ wurden schon in Polen, dann in Deutschland observiert. Ihre Telefone wechselten sie vor jeder Tour, in der jeweiligen Zielstadt operierten sie nur einige Stunden. An jenem Abend fuhren sie in drei Wagen aus Polen, wo sie vergleichsweise unauffällig wohnten, nach Berlin. Dort angekommen steuerten sie durch die Stadt und setzen je einen Mann an teuren, geparkten Wagen ab – alles Audis, weil die Verdächtigen die elektronische Wegfahrsperre dieser Marke hacken konnten.

Profi-Diebe teilen sich in Schlossknacker, Fahrer und Späher auf

Dieser als „Öffner“ eingesetzte Mann hatte also die technischen Möglichkeiten, die elektronischen Wagenschlösser zu knacken – und ist deshalb für das Team am wertvollsten. Er wurde nach dem Öffnen vom Tatort gefahren. Die Diebe trafen sich dann auf einem Parkplatz in Schönefeld und besprachen, wo welche Wagen auf den „Abholer“ warten. Dies sind dann diejenigen, die mit den Autos über die Grenze nach Polen fahren. Üblicherweise reisen jenen Fahrern die anderen Täter als Späher vor oder nach – so dass sie auf den Autobahnen nach Polen merken, wenn ihnen Beamte folgen. Die Clique soll Wagen im Wert von 1,6 Millionen Euro gestohlen haben. Offiziell wurden in Berlin vergangenes Jahr 35 113 Autos aufgebrochen – um sie zu stehlen oder Geräte aus ihnen zu entwenden. Rund 12 000 mal wurden in Wohnungen und Häuser eingebrochen.

Vorläufige Bilanz der europaweiten, EU-unterstützen Ermittlungen: 575 Haftbefehle, 382 Festnahmen – darunter ein Boss der zu Sowjetzeiten gegründeten russischen „Diebe im Gesetz“ –, 79 Verurteilungen. Neben Diebstahl ging es um Raub, Menschenhandel und Steuerbetrug. Die Schäden beliefen sich bundesweit auf mehr als 100 Millionen Euro.

Erst vor wenigen Wochen waren russischsprachige Verdächtige in Berlin und Brandenburg festgenommen worden. Sie hatten einen Pflegedienst geleitet, der mit falschen Behauptungen die Krankenkassen um viel Geld betrog. In bestimmten Milieus kasachischer, russischer, wolgadeutscher und ukrainischer Familien kam es immer wieder zu gewerbsmäßigem Abrechnungsbetrug. Dabei entstanden auch in Berlin mehrere Millionen Euro Schaden - zulasten der Krankenkassen und Sozialämter.

Zur Startseite