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Draufsicht. Auf der Baustelle am BER gibt es noch immer zahlreiche Probleme.
© Patrick Pleul/dpa

Flughafen Berlin-Brandenburg: Platz- und Zeitnot: Am BER wird es eng und enger

Neue TÜV-Gutachten, strittige Passagierprognosen, dazu eine Personalie und die Frage nach dem Weiterbetrieb Tegels - mancher ruft schon nach einer Luftbrücke für das BER-Projekt.

Wenn es am BER nur die Kabel wären: Nun tritt der „Mister BER“ aus Brandenburg ab. Nach mehrfacher Verlängerung wird Rainer Bretschneider, der bisherige Flughafenstaatssekretär aus Potsdam, nun endgültig in den Ruhestand versetzt. Und zwar Ende Juni, wie der Tagesspiegel aus Kreisen rot-roten Landesregierung erfuhr.

Der 69-Jährige soll nach aktuell laufenden Vorabstimmungen unter den BER-Eignern als Pensionär weiterhin Chefaufseher der Flughafengesellschaft Berlins, Brandenburgs und des Bundes (FBB) bleiben. Dafür sollen die Regularien so verändert werden, dass dem Aufsichtsratsvorsitzenden für das Milliardenprojekt eine Aufwandsentschädigung – es geht um etwa 3000 Euro im Monat – gezahlt wird. Wer neuer Flughafenkoordinator in Potsdam wird, ist offen.

Bretschneider war im Frühjahr 2017 nach dem Rückzug von Berlins Regierendem Michael Müller (SPD) im Frühjahr 2017 Aufsichtsratsvorsitzender geworden. Er mache seine Sache besser als sein Vorgänger, heißt es. Gerade jetzt kann die Flughafengesellschaft kaum auf Bretschneiders Fähigkeiten als Krisenmanager, Strippenzieher, Konfliktschlichter und Kommunikator – Standardspruch: „Alles wird gut“ – wohl kaum verzichten. Denn am BER drohen weiter Turbulenzen, ob wegen der Eröffnung, die Finanzen oder des Erweiterungsprogramms.

Der BER, seit 2006 Baustelle, war von Beginn an zu klein konzipiert. Das führte zu nachträglichen Umplanungen während der Bauzeit, was als eine Ursache für die mehrfach verschobenen Eröffnungen gilt. Doch nun wiederholt die Flughafengesellschaft diesen Fehler – mit dem von Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup im Sommer 2017 vorgestellten Masterplan „BER 2040“.

Denn entgegen den offiziellen Verlautbarungen von FBB, Senat und Brandenburger Regierung ist es nach Tagesspiegel-Recherchen unwahrscheinlich, dass mit diesem Programm rechtzeitig die Kapazitäten in Schönefeld bereit gestellt werden, die wegen des absehbare Passagierwachstums nötig wären. Dabei geht schon die Passagierprognose, das entscheidende Fundament, von zu geringen Zahlen aus.

Die Passagierzahlen werden stark wachsen

Mit dem Masterplan sollen im „Midfield“ zwischen den beiden Start- und Landebahnen einfache Abfertigungsgebäude gebaut werden, so dass 2040 in Schönefeld 55 Millionen Passagiere jährlich abgefertigt werden können. Doch 2017 flogen bereits 33,3 Millionen Passagiere von und nach Berlin. Die offizielle FBB-Prognose vom Londoner Unternehmen SDG (Steer Davies Gleave) geht davon aus, dass es 2020 – zum geplanten BER-Start – 37 Millionen, 2025 dann 42 Millionen Passagiere, 2030 rund 47 Millionen, 2035 etwa 51 Millionen Passagiere sein werden.

In einem internen Masterplan-Papier vom November 2017 heißt es dazu: „Demnach erreicht das Passagiervolumen am BER bis 2040 etwa 55 Millionen ankommende und abfliegende Passagiere, was einem jährlichen Wachstum von 2,1 Prozent ab 2017 entspricht.“ Andere Szenarien mit höheren Wachstumsraten – in der Industrie üblich – wurden gar nicht erst gerechnet. Dabei gab es von 2002 bis 2016 Berlin auf den bisherigen Flughäfen Tegel und Schönefeld ein jährliches Passagierwachstum von 7,4 Prozent, höher als in München, deutlich über dem deutschen Durchschnitt. Eigentlich könnten die Verantwortlichen darauf setzen, dass das starke Wachstum anhält.

Das erwartet auch Markus Schubert, Geschäftsführer der Münchener Firma Intraplan, spezialisiert auf solche Prognosen, die auch für die FBB viele Jahre gearbeitet hat. Berlin sei eine dynamische Metropole, bis 2040 werde die Bevölkerung überproportional wachsen, sagte Schubert im Tagesspiegel-Gespräch. Gleiches gelte auch für die Wirtschaft: Die Hauptstadt hole Entwicklungen anderer deutscher Großstädte nach. Zudem bleibe Berlin beliebtes Touristenziel. Deshalb müsse man bei den Passagierzahlen von Wachstumsraten über dem deutschen Durchschnitt ausgehen, auch über 2030 hinaus, sagt Schubert. Während die FBB mit jährlich zwischen 2,1 und 2,7 Prozent kalkuliert, rechnet er jährlich mit 3 Prozent „plus X“. Berlin werde überproportional wachsen.

Der BER wird voraussichtlich nicht genügend Kapazitäten haben

Für die deutschen Flughäfen rechnet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln – 8000 Mitarbeiter, Milliardenetat, unabhängig – bis 2020 mit einer mittleren Wachstumsrate von 4,25 Prozent, bis 2025 von 4,21 Prozent und bis 2040 mit 4,04 Prozent. Basis ist ein Modells des DLR-Instituts für Flughafenwesen. Es sind zwar Zahlen für Deutschland insgesamt, doch DLR-Institutsleiter Johannes Reichmuth sagt: „Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, wenn die Rahmenbedingungen stabil bleiben, dann wird das Passagierwachstum in Berlin über dem deutschen Durchschnitt liegen.“

Dafür spricht auch, wie schnell die Pleite von Air Berlin überwunden wurde. Nach einem Rückgang von November 2017 bis Februar 2018 wurden in Tegel und Schönefeld schon im März 2018 etwa 4,8 Prozent Passagiere mehr abgefertigt als im Jahr zuvor.

Genau darauf müsste ein Masterplan ausgerichtet sein, damit er nicht wieder von der Realität eingeholt wird. Doch bei einem Passagierwachstum von 4 oder gar 5 Prozent zeigt sich, dass er – entgegen einer von Planern des Flughafens Zürich für die FBB erstellten „Second Option“ – die nötigen Kapazitäten voraussichtlich nicht bereitstellen kann. Nicht nur 42 Millionen Passagiere müssten dann 2025 am BER abgefertigt werden, sondern mindestens 46 Millionen. Im Jahr 2030 wären die 55 Millionen erreicht, die der Masterplan zehn Jahre später vorsieht, 2040 wären es weit über 60 Millionen.

Im Terminal wird es eng

Somit wird es wohl schon zum BER-Start 2020 eng: Mit dem Hauptterminal (22 Millionen bis 24 Millionen), dem alten Schönefelder Airport (8 Millionen) und dem für 6 Millionen Passagiere vorgesehenen neuen Terminal für Billiglinien (geplante Fertigstellung Sommer 2020) können 36 bis 38 Millionen Passagiere abgefertigt werden: 37 Millionen Passagiere erwartet die Flughafengesellschaft, bei einem Wachstum von 4 Prozent wären es aber 38 Millionen, bei 5 Prozent fast 39 Millionen. In den Folgejahren verschärft sich das Problem, die die Kapazitätslücke könnte wachsen.

Ein Ausweg wäre, Tegel für eine Übergangszeit parallel zum BER weiter in Betrieb zu lassen. Das hält selbst der vom rot-rot-grünen Senat beauftragte Gutachter, der frühere Bundesverwaltungsrichter Stefan Paetow für möglich und nötig, wenn am Standort Schönefeld nicht der gesamte Luftverkehr der Hauptstadtregion abgewickelt werden kann. So erklärte es Paetow jüngst auf einer Anhörung im Abgeordnetenhaus: Sollten die Kapazitäten in Schönefeld nicht reichen, dann wäre es nach seiner Einschätzung allenfalls eine BER-Teilinbetriebnahme, und damit wäre die Vorgabe des Landesentwicklungsplans für den Single-Standort nicht erfüllt. Es genüge nicht, wenn es gerade so reiche. Man müsse einen Puffer einplanen.

Davon kann im Masterplan schon gar keine Rede sein. Hinzu kommt ein juristisches Risiko für den Fahrplan. So soll 2025 das zweite große Hauptterminal (T3) stehen, um dort 12 Millionen Passagiere abfertigen zu können. Das Problem: Der BER-Planfeststellungsbeschluss ging davon aus, dass in Schönefeld in der Endstufe einmal 30 Millionen Passagiere jährlich abgefertigt werden können. Nun werden es schon zur Eröffnung 38 Millionen sein.

In der Anhörung im Abgeordnetenhaus waren sich alle drei Gutachter einig, ob von der Opposition benannt oder der Koalition, dass für den Masterplan BER 2040 insgesamt ein Planfeststellungsverfahren zwingend wäre - was Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup bisher nicht für nötig hält. Und dann ist da noch die ungeklärte Logistik: Da die Ausbauten zwischen beiden Start- und Landebahnen erfolgt, müsste der Baustellenverkehr über die normalen Zufahrttrassen zum BER abgewickelt werden - bei laufendem Betrieb und Staugefahr auf den Straßen. Man werde, so spottet man selbst in der FBB, dafür „eine neue Luftbrücke“ brauchen.

Mit der Eröffnung wird es eng

Nach der vorigen Aufsichtsratssitzung Anfang Mai hatte Lütke Daldrup öffentlich erneut bekräftigt, dass die geplante Inbetriebnahme im Oktober 2020 „sicher" sei, und man „auskömmliche Puffer“ habe. Doch nach Tagesspiegel-Informationen sind die Reserven auf zwei Monate geschrumpft. Das Ende der Bauarbeiten und der Mängelbeseitigung im Hauptterminal wurde bereits auf März 2019 verschoben. Und es drohen weitere Verzögerungen. Aktuell große Probleme machen die im BER-Terminal komplett ausgetauschten Kabel.

Laut einem Bericht der „Bild am Sonntag“ hält sie der TÜV für nicht für abnahmefähig. Zwar sprach der Flughafen von einem alten Stand, man habe gegengesteuert. Doch die Probleme sind größer. Nach Tagesspiegel-Informationen hat der TÜV Rheinland bei einer Prüfung der „Sicherheitstechnischen Gebäudeausrüstung“ im Fluggastterminal gravierende Probleme festgestellt – wie bereits im Mainpier Nord vorigen November. Laut dem Bericht vom 14. April 2018 gibt es „wesentliche Mängel“ bei Lüftungs-, Rauchabzugs-, Sprinkler-, und Brandmeldeanlagen, der Sicherheitsstromversorgung und Beleuchtung. Diese seien vielfach auch systemische Mängel und können auf noch ungeprüfte Anlagen bzw. Bereiche des Fluggastterminals übertragen werden.“

Danach gibt es weitere Verzögerungen. „In Teilbereichen ergibt sich aus den eingetretenen Risiken ein Planungs- und Bausoll“, heißt es. In einigen Anlagengruppen sei die Terminverzögerung kritisch, etwa bei de Entrauchungsanlage oder den Brandmeldern. So seien die ihm Rahmenterminplan eingestellten Prüfzeiten bereits völlig ausgeschöpft, die Auswirkungen auf den Terminplan würden „als äußerst kritisch“ bewertet. In der vertraulichen Präsentation für den BER-Sonderausschuss des Brandenburger Landtages am 7. Mai ist für all diese Anlagen nach wie vor vom „kritischen Pfad“ die Rede, was dem Dauerzustand des BER entspricht.

Nach dem Aufsichtsrat hatte Lütke Daldrup seinen Optimismus auch auf neue verbindliche Pauschalverträge – inklusive Terminverpflichtungen – mit Bosch und T-Systems gestützt. Und er hatte von einer aktuellen Zusage des Siemens-Konzerns gesprochen, die Software für die Entrauchungssteuerung im BER-Terminal bis zum Jahresende zu liefern.

Das war allerdings nur die halbe Wahrheit. Denn Siemens hat diese Zusage daran gekoppelt, dass dafür bislang fehlende Planungsunterlagen der Flughafengesellschaft vorliegen müssen, was – Stand Mitte Mai – nicht der Fall war. In der Präsentation für den BER-Sonderausschuss findet sich dazu ein versteckter Hinweis, dass Siemens noch gar nicht richtig loslegen kann: „Die für die Umsetzung der Leistungen wesentlichen Eingangsgrößen/Grundlagen seitens der Planungspartner befinden sich in der Finalisierung.“ Wie der BER, seit Jahren.

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