Aeham Ahmad aus Flüchtlingslager Jarmuk: Pianist: "Statt Hilfe bekomme ich Preise"
Als Musiker im Palästinenserlager wurde Aeham Ahmad weltweit bekannt. Jetzt spielt er in Berlin. Aber er will mehr sein als "der Flüchtling, der so toll Klavier spielt".
Seit der Bombenexplosion hat er eine Narbe über dem rechten Auge und einen Splitter in der Hand. Und dennoch spielt Aeham Ahmad Klavierkonzerte. Auch jetzt, in Berlin. Der 27-Jährige wuchs im palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk in Damaskus auf. Jarmuks Einwohnerzahl sank in den vergangenen Jahren von 150000 auf 16000 Menschen – die Menschen verhungerten in dem belagerten Camp, flohen oder wurden getötet im Bürgerkrieg. Aeham Ahmad machte es sich zur Aufgabe, in dieser Zeit Hoffnung zu spenden, und zog mit einem Klavier auf Rollen durch die Trümmerstadt. Die Videos davon, wie er auf den Straßen für die Überlebenden spielt und singt, landeten in den sozialen Netzwerken und machten ihn weltberühmt.
Nachdem die Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Frühjahr 2015 Jarmuk eroberte, floh Ahmad. Über die Türkei und die Balkanroute kam er nach Deutschland. „Meine Familie hole ich nach“, sagt er, „ich habe so viele sterben sehen auf meinem Weg, die Flucht wäre zu gefährlich.“ Aeham Ahmad hätte nie gedacht, dass seine Musik so viele Zuhörer findet. Die Lieder schreibt er selbst. Sie handeln von Auswanderung, dem Leben in Jarmuk, vom Warten und von Hoffnung. „Hoffnung war das einzige, was uns blieb. Ich wollte nicht nur den Überlebenden Hoffnung schenken – sondern mich auch dran festhalten“, sagt er.
Als Konzertpianist hat er sich aber nie gesehen. „Das wurde bis jetzt immer falsch dargestellt, ich wollte nie der berühmte Pianist werden. Ich spiele Erinnerungen und teile sie hier, ich spiele für mein Palästina und eine bessere Welt“, sagt er. In den Videos sind auf seinem Klavier die palästinensische Flagge und das Zeichen der Intifada zu erkennen. „Meine Lieder entstanden aus meinem Leid, ich bin kein Held, der furchtlos durch die Straßen zog“, sagt Ahmad. „Es blieb einfach nichts anderes übrig, als Musik auf der Straße zu spielen – wo denn sonst? Es ist alles zerstört“, sagt er.
Klavier spielen - ein Zeichen des Widerstandes
Aeham Ahmad fing also an zu spielen und versuchte so, die Realität zu ändern, ihr einen neuen Schein zu geben, das Eingesperrtsein, die Aussichtslosigkeit zu überspielen. „Es war auch ein Zeichen des Widerstands und nicht nur eins der Hoffnung. Es war mein Protest“, erklärt er. „Die Angst vor dem Tod aber war immer dabei.“
2015 erhielt Ahmad den erstmals verliehenen Internationalen Beethovenpreis für Menschenrechte, Frieden und Freiheit. Seit er in Wiesbaden lebt, kann er sich vor Interviewanfragen kaum retten. Auch der US-amerikanische Fernsehsender CNN begleitete ihn eine Woche lang. „Und alle fragen mich: Wie war das, als dein Klavier abbrannte? Und schreiben schließlich in ihre Zeitungen, ich hätte einen Freund‘ in dem Instrument gesehen und sei am Boden zerstört. Dabei war mir der Verlust so egal, wirklich scheißegal. Syriens Kinder brennen und ihr fragt mich nach einem Klavier? Schämt euch“, sagt Ahmad. „Sie legen mir Wörter in den Mund, die ich nie sagte, oder verstehen mich falsch“, beschwert er sich. Froh ist er, dass das Tagesspiegel-Interview auf seiner Muttersprache Arabisch geführt wird: „Ich fühle mich viel wohler, habe keine Angst, die Wahrheit zu sagen oder missverstanden zu werden.“ Die Wahrheit, das heißt für ihn: „Ich stehe für den Widerstand ein und bin kein zerstörter Pianist“.
Hochrangiges Publikum
Und das wichtigste: Er möchte endlich seine Familie bei sich haben. Aeham Ahmads Asylantrag wurde zehn Monate lang bearbeitet, den Antrag auf Zusammenführung der Familie darf er erst im November 2017 einreichen. Er ist kurz still und reibt sich die Stirn. „Ich dachte, dass wenn ich hier spiele und die Medien sich so draufstürzen, meine Familie nachgeholt wird. Aber anstatt Hilfe bekomme ich Preise“, sagt er und gestikuliert mit leeren Händen. Ahmad spielte bereits vor dem Bundespräsidenten Joachim Gauck und dem Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Er war bei Markus Lanz zu Gast, musizierte mit Grönemeyer, spielte vor Vertretern von Amnesty International. Auch ein Konzert für Bundeskanzlerin Angela Merkel steht bevor. „Auf der Bühne bitte ich jedes Mal um Hilfe, aber es passiert nichts, alle freuen sich nur, dass der Flüchtling‘ so toll Klavier spielt und singt“, erklärt Ahmad und lacht. „Das Leben aber kann nicht nur aus Musik bestehen, wenn Kinder sterben“, ergänzt er dann leise.
Sein Name Aeham Ahmad bedeutet steigender Berg. Auch er ist standhaft geblieben. „Die Intifada hat ja auch nicht aufgegeben“, sagt er.
In Berlin ist Aeham Ahmad an folgenden Tagen zu hören: 5. Juni, 20 Uhr im Sonntags-Club, Greifenhagener Straße 28; 10. Juni, 18 Uhr in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche mit Studierenden der Universität der Künste und anderen internationalen Gästen. Der Eintritt ist frei
Simin Jawabreh