Palästinensisches Flüchtlingslager in Syrien: Ban Ki Moon warnt vor Massaker in "Todeslager" Jarmuk
"Wir können nicht einfach danebenstehen und zuschauen": Mit einem dramatischen Appell fordert UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ein Einschreiten in dem vom IS kontrollierten palästinensischen Flüchtlingslager. Dort wird die Lage immer katastrophaler.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat ein Einschreiten in dem von der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) eroberten Flüchtlingslager Jarmuk gefordert. "Wir können nicht einfach danebenstehen und zusehen, wie sich ein Massaker entwickelt", sagte Ban am Donnerstagabend in New York zur Lage in dem Lager im Süden von Damaskus. Das Flüchtlingslager beginne, einem "Todeslager" zu ähneln. "Im syrischen Horror ist das Flüchtlingslager Jarmuk die tiefste Hölle", sagte Ban mit ungewöhnlich drastischen Worten. Die rund 18.000 Flüchtlinge, darunter 3500 Kinder, seien "menschliche Schutzschilde" in den Kämpfen zwischen Rebellen und Regierungstruppen, die das Camp umstellt haben. Ban warnte explizit vor einem Sturm auf Jarmuk. Das wäre nichts anderes "als ein weiteres Kriegsverbrechen".
Ban forderte ein Ende der Kämpfe und Zugang für humanitäre Hilfe. Flüchtlinge, die das Lager verlassen wollten, müssten freies Geleit bekommen. Der IS hat das Camp in der vergangenen Woche von rivalisierenden Gruppen erobert. Die Dschihadistenmiliz nahm den Großteil des Viertels im Süden der syrischen Hauptstadt ein, das aus einem palästinensischen Flüchtlingslager hervorgegangen ist.
Zuvor hatte das Internationale Rote Kreuz (IRK) einen sofortigen Zugang zu dem Flüchtlingslager gefordert, um die dort eingeschlossenen Menschen versorgen zu können. Ihre Organisation appelliere an alle Kampfbeteiligten, einen sofortigen und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe zu ermöglichen, sagte die Leiterin der Syrien-Delegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuzes, Marianne Gasser, am Donnerstag. Es fehlten vor allem Wasser und dringend benötigte Notfallmedikamente. Die Menschen litten zudem unter Nahrungsmangel. Zivilisten müsse ermöglicht werden, das Lager zu verlassen, um in sicherere Gegenden zu ziehen. Das Rote Kreuz hat nach eigenen Angaben seit Oktober 2014 keinen Zugang mehr zu Jarmuk.
Die Menschen sind weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Nur sehr wenige Lieferungen könnten das Lager erreichen, sagte der Leiter der Hilfsorganisation Jafra Foundation, Wesam Sabaaneh, der Deutschen Presse-Agentur. Die syrische Regierung hatte die Blockade des Lagers 2013 begonnen, nachdem dort Rebellen Fuß gefasst hatten. Dutzende Menschen starben seitdem laut Menschenrechtlern an Hunger und Durst.
Syrische Armee bereitet sich auf Militäreinsatz vor
Die syrische Regierung bereitet sich unterdessen auf einen Militäreinsatz im Lager Jarmuk vor. Das Ziel sei, Bewaffnete und "Terroristen" aus dem Camp zu vertreiben, sagte der Minister für nationale Versöhnung, Ali Haidar, nach einem Treffen mit einem Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). "Unter den jetzigen Umständen ist eine militärische Lösung nötig", fügte er hinzu. Wann der Militäreinsatz beginnen könnte, sagte er nicht. Er deutete aber an, dass syrische Regierungstruppen daran beteiligt sein könnten.
Allerdings erklärte die PLO am Freitagmorgen in Ramallah, einen bewaffneten Kampf der Palästinenser für Jarmuk nicht unterstützen zu wollen. Die PLO wolle verhindern, dass die Palästinenser in den Bürgerkrieg hineingezogen werden. Die Mitteilung widerspricht Aussagen, die ein PLO-Abgesandter zuvor in Damaskus getätigt hat. Ahmed Madschdalani sagte dort, die Palästinenser wollten gemeinsam mit der syrischen Armee gegen die Extremisten vorgehen. Ziel sei es, den IS aus dem Lager zu vertreiben. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte Madschdalani zu Gesprächen nach Damaskus entsandt.
IS handelt nach wie vor mit Beutekunst
Die kanadische Luftwaffe griff erstmals einen IS-Stützpunkt in Syrien an. Zwei Kampfflugzeuge vom Typ CF-18 Hornet waren mit acht anderen Flugzeugen der US-geführten Koalition an dem Angriff auf eine IS-Garnison bei Ar Raqqah beteiligt, teilte das Verteidigungsministerium in Ottawa mit. Damit attackierten kanadische Kampfflugzeuge erstmals seit Erweiterung des Mandats für den Einsatz gegen den "Islamischen Staat" ein Ziel in Syrien. Das Parlament hatte erst vor zehn Tagen mit den Stimmen der konservativen Mehrheit einen Antrag der Regierung von Premier Stephen Harper angenommen, der Luftangriffe auf Stellungen des IS in Syrien autorisierte.
Im Oktober hatte das Parlament dafür gestimmt, dass sich Kanada an der US-geführten Koalition gegen den IS beteiligt, das Mandat aber auf sechs Monate und Angriffe auf Ziele im Irak begrenzt. Nun wurde der Einsatz bis März 2016 verlängert und auf Syrien ausgeweitet. Kanada beteiligt sich mit sechs Kampfjets. Gegenwärtig sind 600 Militärangehörige im Irak stationiert, darunter 69 Angehörige einer Spezialeinheit, die kurdische Peschmerga ausbilden.
Im Irak kann der IS offenbar kaum noch auf eine seiner wichtigsten Einnahmequellen zurückgreifen. Die Islamisten kontrollierten nach Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes "praktisch keinerlei Ölfelder mehr im Irak", berichteten die "Süddeutsche Zeitung" sowie NDR und WDR. Der IS könne somit kaum noch Öl verkaufen und habe sogar Mühe, die "Eigenversorgung" in dem von ihm ausgerufenen Kalifat aufrechtzuerhalten. Die Medien berufen sich auf einen Sonderbericht für die Bundesregierung. Der BND kommt demnach zu dem Schluss, dass der IS kaum noch "nennenswerte Ölexporte realisieren" könne, eine "seiner wichtigsten Einnahmequellen" sei "drastisch unter Druck".
Nach wie vor aber nimmt der IS vermutlich mit dem illegalen Handel von erbeuteten Kunstschätzen und Antiquitäten viele Millionen ein. Davon geht die US-Archäologin Deborah Lehr aus. Das ganze Ausmaß sei schwer zu bemessen, sagte die Gründerin des Verbands Antiquities Coalition. Recherchen des Verbandes hätten aber ergeben, dass alleine in Ägypten seit 2011 Stücke im Wert von drei Milliarden Dollar geplündert worden seien. "Wenn man das vergleicht mit dem Irak und Syrien, wo es viel größere Zerstörungen und viel mehr Plünderungen gab, muss man glauben, dass die Zahlen dort noch viel höher sind", sagte Lehr. (mit rtr/AFP/dpa)