Behandlung an der Berliner Charité: „Pädophilie ist kein Verbrechen, sondern eine Diagnose“
Am Berliner Uniklinikum versuchen Mediziner, Menschen mit pädophiler Neigung zu therapieren. Nicht immer mit Erfolg, wie Statistiken belegen.
Einer der Kernsätze von Klaus Beier lautet: „Pädophilie ist kein Verbrechen, sondern eine Diagnose.“ Deshalb konzentriert er sich auf die Behandlung. Beier ist Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charite, und an der wurde 2005 das Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ gegründet. Seit einigen Jahren läuft es an elf Standorten in Deutschland, und es ist – sagt Beier – erfolgreich. Der Wissenschaftler ist Sprecher des Netzwerks. Ein Grundsatz der Arbeit ist unabänderlich: „Pädophilie ist nicht heilbar, aber behandelbar.“
In Berlin meldeten sich 2500 Menschen mit pädophiler Neigung freiwillig
Behandelt wurden im Netzwerk Hunderte mit pädophilen Neigungen. Insgesamt 7075 Menschen, ausnahmslos Männer, haben sich bis Ende September freiwillig gemeldet, 2298 wurden diagnostiziert, 1264 hatten ein Therapieangebot, 659 haben es angenommen, 251 haben die Therapie auch beendet. 265 Menschen befinden sich derzeit in Therapie. Allein in Berlin hatten sich 2500 Menschen gemeldet, 1000 wurden diagnostisch behandelt, rund 500 erhielten ein Therapieangebot, die Hälfte davon hat es angenommen. Nicht alle, die sich gemeldet haben, waren – aus verschiedenen Gründen – auch therapiefähig.
250 000 Menschen mit pädophilen Neigungen in Deutschland
Zahlen, die Beier am Dienstag öffentlich verkündete, Zahlen, die aber nur einen Ausschnitt der Gesamtsituation darstellen. Es gibt auch „unerfreuliche Zahlen“ (Beier). So haben von 53 Männern, die eine Therapie abgeschlossen haben, fünf innerhalb eines Jahres nach Behandlungsende einen Missbrauch an Kindern begangen. Zudem gibt es in Deutschland rund 250 000 Menschen mit pädophilen Neigungen, „davon haben wir nur 7000 erreicht“, sagt Beier. „Ein echtes Problem“, sagt der Sexualwissenschaftler auch, „ist der Umstand, dass viele Menschen, die eine Therapie absolviert haben, auch danach noch Missbrauchsabbildungen konsumiert haben. Wir konnten die Zahl nicht so sehr verringern wie erhofft.“ Der durchschnittliche Klient ist männlich und 37 Jahre alt. 75 Prozent der Freiwilligen sind berufstätig, 40 Prozent leben in einer Beziehung, haben also oft engen Kontakt zu Kindern.
Gründe sind vielseitig
Für Beier und seine Kollegen sind aber schon die 7075 Männer wichtig, die sich gemeldet haben. Denn bei vielen von ihnen besteht die große Chance, dass sie keinen realen Missbrauch begehen werden, weil sie von den Experten behandelt werden. „Die Nachuntersuchungen haben gezeigt, dass das Behandlungsprogramm geeignet ist, bekannte Risikofaktoren für sexuellen Missbrauch zu senken“, sagt Beier. Zu diesen Faktoren gehören Depressionen, Selbstisolation, das Gefühl von Stigmatisierung, soziale Vereinsamung. An diesen Faktoren setzt die Behandlung an, mit Verhaltenstraining, Gesprächstherapien und impulsdämpfenden Medikamenten.
Und es gibt bei der Nachbetrachtung der Therapien auch erfreuliche Zahlen. Eine zweite Untersuchung, als Männer fünf Jahre nach ihrer Therapie befragt wurden, ergab, dass von 23 Männern, die geantwortet hatten, keiner einen Missbrauch begangen hat. Allerdings, sagt Christine Wirtz, die Staatssekretärin im Bundesjustizministerium, „bleiben die meisten Fälle von Kindesmissbrauch unerkannt“. 12 000 Kindern und Jugendliche werden in Deutschland nach bisherigen Erkenntnissen jährlich Opfer von sexuellem Missbrauch. Die Dunkelziffer dürfte aber höher liegen.
Straßenumfrage ergab: 10 Prozent wünschen Menschen mit pädophiler Neigung den Tod
Bisher hat das Bundesjustizministerium das Präventionsprojekt unterstützt, ab Januar fördert das Bundesgesundheitsministerium das Netzwerk mit fünf Millionen Euro. Bisher betrug die Fördersumme jährlich rund 1,3 Millionen Euro. Ab 2017 sollen sich auch die gesetzlichen Krankenkassen an der Finanzierung beteiligen. Bis dieses Modell in allen Bundesländern problemlos funktioniert, übernimmt das Land Berlin eine Zwischenfinanzierung.
Beier, der Wissenschaftler, sagt auch analytisch nüchtern: „Ich würde jeden in Schutz nehmen, der eine pädophile Neigung hat, aber neigungsabstinent lebt.“ Der Mann und die Frau auf der Straße ist da weniger tolerant. Frustriert zitiert Beier die Ergebnisse einer Straßenumfrage: „40 Prozent der Befragten würden einen Menschen mit pädophilen Neigungen, der aber nichts gemacht hat, ins Gefängnis stecken. Zehn Prozent wünschten, er wäre tot.“