Berliner Polizeigewerkschaftschef Norbert Cioma: „Opfer von Straftaten fühlen sich alleingelassen“
Die Polizei muss Schwerpunkte setzen, weil Personal fehlt – kritisieren Gewerkschafter. Ein Gespräch über aktuelle Probleme.
Der Tagesspiegel hat jüngst berichtet, dass es in der Direktion 5 – also Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln – nun auch an Hermannplatz und Hermannstraße Brennpunktstreifen gibt. Das ist der vierte Einsatzort – neben den kriminalitätsbelasteten Orten Warschauer Brücke, Görlitzer Park und Kottbusser Tor. Und offenbar ein erfolgreiches Konzept gegen die steigende Zahl von Straftaten. Was bedeutet das für die Arbeit der Polizei?
Wir können uns das erfolgreiche Konzept mit Brennpunktstreifen und Einsatztrupps nur erlauben, weil die äußerst engagierten Kollegen temporär eine enorme Belastung auf sich nehmen. Das gilt nicht nur für diejenigen, die dann nachts die kriminalitätsbelasteten Orte bestreifen, sondern alle Kollegen auf dem jeweiligen Abschnitt, weil diese zusätzliche Einheit Lücken reißt, für die es kein zusätzliches Personal gibt.
Sie fordern 3.000 Polizisten zusätzlich. Warum?
Wir haben festgestellt, dass wir aufgrund des Personalmangels einzelne Kriminalitätsbereiche nur noch sehr spärlich oder überhaupt nicht mehr so bearbeiten können, wie es die Bürger zu Recht erwarten. Die Berliner Polizei muss priorisieren, was dazu führt, dass immer mehr Menschen, die Opfer von Straftaten geworden sind, das Gefühl haben, sie werden alleingelassen. Sie müssen Polizei im Straßenbild wieder deutlicher wahrnehmen. Um aber derart wichtige Elemente wie den Kontaktbereichsbeamten wieder fest zu implementieren, bedarf es in der bald Vier-Millionen-Stadt mehr als 25.000 Polizisten.
Aktuell hat die Berliner Polizei nicht einmal 17.000 Stellen für Beamte im Einsatz. Bis 2021 sollen es wieder 18.000 Stellen sein, so hat es Innensenator Geisel angekündigt. Nämlich die alte Stärke wie im Jahr 2000. Warum reicht das nicht?
Fragen Sie mal den Innensenator, um wie viel Einwohner die Hauptstadt in diesem Zeitraum gewachsen ist. Es werden rund 400.000 Einwohner mehr sein. Wenn wir jetzt an den wachsenden Tourismus und noch an die Hauptstadt-bedingten Aufgaben denken, so ein typisches Berliner Wochenende mit Pokalfinale, Karneval der Kulturen und zahlreichen besetzten Häusern oder wie jetzt mit Versammlungen wie von der AfD und den Gegendemonstrationen, dann bedarf es keiner weiteren Erklärung.
Die Zahl der Polizeischüler wurde schon mehr als verdoppelt – von 500 auf 1200. Auch hier die Frage: Können damit 3000 Beamte mehr für die Polizei gewonnen werden?
Uns ist bewusst, dass wir nicht von heute auf morgen 3.000 Polizisten bekommen, aber wir müssen mal irgendwann anfangen. Dass die Ausbildungskapazitäten derzeit bis an die Grenze ausgereizt werden, ist richtig. Wenn der Senat das allein in seiner Legislaturperiode so beibehält, sind wir in fünf Jahren wesentlich besser aufgestellt.
Aber Achtung, es wird gern etwas außer Acht gelassen: Wir reden bei den 3000 Polizisten von der Besetzung neu geschaffener Stellen.
Hinzu kommen noch die sehr vielen vorhandenen unbesetzten Stellen und die in einigen Jahren beginnende Pensionierungswelle, die aufgefangen werden muss. Daher sind wir der Meinung, dass die Verdoppelung von Ausbildungskapazitäten nur der Anfang sein kann.
Die Polizeiakademie stößt schon jetzt an ihre Grenzen. Woher sollen die neuen Beamten kommen?
Wir reden nicht nur über Vollzugsbeamte, die drei bzw. zweieinhalb Jahre ausgebildet werden müssen. Die Hauptstadtpolizei braucht Spezialisten, Fachkräfte, die in den verschiedensten Bereichen Kenntnisse mitbringen, wie zum Beispiel für die Cybercrime-Kriminalität. Die Spezialisten könnte man nach ein paar Jahren verbeamten. Auch das sind Polizisten. Sie sehen, unsere Einsatzbereiche sind vielfältig. Das sollte dann auch der Personalkörper sein.
Weiteres Hindernis: Als Arbeitgeber ist Berlins Polizeibehörde nicht der attraktivste, bei der Besoldung Schlusslicht. Der Senat steuert jetzt nach, will aufholen. Sie sind offenbar nicht recht zufrieden damit.
Wie sollen wir damit zufrieden sein, dass die Hauptstadt Besoldungsschlusslicht ist? Die jahrelangen Nullrunden haben ihre Spuren hinterlassen. Wir sind der Meinung, dass sowohl der alte als auch der aktuelle Senat etwas aufgeholt haben, die Schritte aber bei der Haushaltslage anders hätten ausfallen müssen. Für Bewerber ist Geld nicht allein wichtig, aber es ist eines der tragenden Elemente, die bei der Entscheidung einfließen.
Die Wirtschaft brummt, die Steuereinnahmen sprudeln. Was ist, wenn es mal schlechter läuft – wie soll das alles bezahlt werden?
Es ist paradox, dass Politiker nahezu immer nur bis zum Ende der Legislaturperiode denken, beim Geld aber anscheinend langfristig planen. Wir wissen nicht, was in zehn Jahren ist. Aber natürlich sind wir nicht blauäugig und wissen, dass der Leitzins irgendwann steigen muss. Wir wussten aber auch, dass der arabische Frühling seine Folgen haben wird und dass das Internet eine wichtige Rolle spielen könnte. Ich frage mich, warum da niemand nach vorne schauen wollte und wir jetzt, im Jahr 2018, nach IT-Experten suchen.
Zum Abschluss: Seit mehr als einem Monat ist Barbara Slowik als neue Polizeipräsidentin im Amt. Wie schlägt sie sich?
Es wäre nicht fair, Frau Dr. Slowiks Arbeit nach ein paar Wochen zu bewerten. Natürlich wird sie irgendwann etwas vorzeigen müssen. Zunächst einmal geht es mir darum, dass sie sich gesprächsbereit zeigt. Wir haben bereits einige gemeinsame Bereiche gefunden, in denen unsere Meinungen nicht allzu weit entfernt liegen. Wenn sie ihrer bisherigen Linie treu bleibt, sie sich ein eigenes Bild der Probleme macht und auch mal Strukturen kritisch hinterfragt, sind wir auf einem guten Weg.
Brandenburg hat wegen der wachsenden Konkurrenz mit Bund und Ländern die Erschwerniszulage für SEK-Beamte angehoben – auf 300 Euro. Mit Bremen, Hessen und NRW ist das die höchste SEK-Zulage. In Berlin sind es nur 153 Euro. Die Bundespolizei baut in Berlin eine neue GSG9-Einheit auf. Wie stark hat Berlin damit zu kämpfen, dass Beamte und Spezialisten ins ruhigere Umland oder zum Bund wechseln oder abgeworben werden?
Wir haben ein Abkommen zwischen den Innenministern, dass kein Bundesland einen Polizisten in den Dienst nimmt, wenn dieser seinen bisherigen Arbeitgeber ohne Tauschpartner verlässt. Insofern ist dieser Weg im Regelfall nicht ganz so einfach. Beim Duell um geeigneten Nachwuchs aber sind wir aktuell auch in diesem Bereich in einer schlechten Ausgangsposition. Rot-Rot-Grün muss die Erschwerniszulagen wir angekündigt schnellstmöglich anheben, um ansatzweise konkurrenzfähig zu sein.
Norbert Cioma, 50, ist Kriminalhauptkommissar und seit Mitte April GdP-Landeschef. Der gelernte Betriebsschlosser ist seit 1993 bei der Polizei und war beim LKA Personenfahnder.