Aufrüstung mit Barrieren im Straßenverkehr: Noch mehr Poller? Auf keinen Fall!
Poller sind die neue Allzweckwaffe der Berliner Politik. Wobei, so neu ist das gar nicht. Umso schlimmer! Ein Kommentar.
Poller, sie sprießen überall in der Stadt aus dem Boden. Wobei, eigentlich werden sie versenkt. In Kreuzberg, so heißt es, ein bisschen tiefer als anderswo. Damit sie am ersten Mai nicht als Wurfgeschosse dienen. Poller. Schon das Wort klingt nach Widerstand. Tatsächlich wird der Poller gerade – kaum widerständig – zur Allzweckwaffe der Berliner Landesregierung. Ein stadtpolitisches Maggi: Wird schon helfen.
Ob am Dahlemer Weg in Lichterfelde und an der Hauptstraße in Schöneberg, wo sie Fahrradfahrer vor dem Autoverkehr abschirmen sollen. Ob im ruhigen Friedenau, wo sie Autos von den Fußwegen fernhalten. Ob auf der Admiralbrücke, wo Biere auf ihnen geleert und hinterlassen werden. Oder ob am Breitscheidplatz und im Regierungsviertel, wo sie als Schutz vor Terror dienen sollen. Der Poller ist einer, der alles kann.
Ästhetisch sind sie ein Graus. Doch das Durch- und Gegeneinander der wachsenden Stadt sollen sie ordnen. Eine Neuheit ist das nicht wirklich. Seit den 1980er Jahren wurden in Berlin im großen Stil die hüfthohen, kanonenförmigen „Wellmann“-Poller in den Fußwegen verbaut. Autofahrer wollte man so von den Fußwegen fernhalten. Der Vorteil, so dachte man, sei, dass die Poller zwar abgrenzen, aber durchlässig blieben für den Fußgänger, die Fahrradfahrerin.
Deutschlands wohl einziger Pollerforscher, der Berliner Autor Helmut Höge, schrieb schon 1990 in der „Zeit“ gegen noch mehr Poller seiner Stadt an. Übergriffe der Autofahrer auf das Fußgänger-Terrain sollten die Poller verhindern. Doch letztlich manifestierten sie den verkehrlichen Status Quo: „Ein Drittel für die Fußgänger, zwei Drittel für die Autofahrer.“ So wurde es damals festgepollert.
Das immerhin ändert sich heute. Den größten Ärger lösen Straßen voller Pföstchen heute aus, wenn es um den Radverkehr geht, Straßenraum also umverteilt werden soll. „Vollpfosten“-Radweg nennen die einen ein Modellprojekt in Dahlem. Die anderen empfinden die Poller als Lebensversicherung.
500 Kunststoffpfosten stehen dort dicht an dicht und scheinen den Weg zu weisen in die Zukunft des verkehrlichen Miteinanders, wie es sich die grüne Verkehrsverwaltung ausmalt: Gebietskonflikte werden wieder durch Grenzanlagen gelöst. Besonders dort, wo der Raum enger wird.
Es ist nur ein Modellprojekt. Genau, wie der neugestaltete Breitscheidplatz, Ort des schrecklichen islamistischen Anschlags im Dezember 2016. Der Senat hat den Stadtplatz für 2,5 Millionen Euro zu einer Art Trutzburg umbauen lassen. Er ist versehen mit Lkw–Sperren, Bodenschwellen und: Pollern. Ungemütliche Ungetüme aus Stahl. Das sieht bedrohlich aus, schüchtert ein und soll doch die Stadt sicherer machen.
Die gefühlte Sicherheit, von der dieser Tage allerorten die Rede ist, werden sie nicht steigern und eher den Angstpredigern in die Hände spielen, die statt der „Verpollerung“, hässliches Wort, geschlossene Grenzen fordern. Die Berliner Innenverwaltung hat das mittlerweile eingesehen und verspricht denen, die es wissen wollen, einen „stadtverträglicheren“ Schutz des Platzes.
Zurück nach Kreuzberg, wo die Poller etwas tiefer liegen als anderswo. Der Bezirk, in dem ja alles oft etwas anders läuft, hatte eine Idee: Auch in der Begegnungszone Bergmannstraße werden Menschen jetzt von Pollern getrennt.
Damit sie sich noch besser begegnen können. Poller-Dialektik à la Kreuzberg. Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer sollen so vor schlimmerem bewahrt bleiben. Es ist der komplette Vertrauensentzug. Die Politik schlichtet nicht, sie spielt Kindermädchen. Geht das nicht anders?
Es scheint, als zwängen sich die kleinen Pfähle geradezu auf, als zögen sie Politiker an wie die Henne den Fuchs. Vergessen wird, dass sie gerade für Ältere, Menschen mit Behinderung und Familien mit Kinderwagen schnell zum Ärgernis werden.
Wer weniger mobil ist, den hindert jeder Gehweg-Poller. Senioren- und Behindertenvertretungen kritisieren das seit Jahren. Ein Papier für ein barrierefreies Berlin des Senats sprach deshalb bereits 2007 davon, Poller auf Gehwegen zu vermeiden. Passiert ist kaum etwas.
Stattdessen wird fleißig aufgerüstet. Ob im Friedrichshainer Samariterkiez, der Kreuzberger Bergmannstraße oder vor den Spandauer Arkaden. Es scheint, als fehlten die Ideen, anderweitig zu verhindern, dass sich die Berliner an die Gurgel gehen. Bloß: Der Poller, er steht für das Werkeln an Symptomen, statt für ein progressives politisches Programm. Er bewahrt, statt zu entwickeln.
Allein deshalb dürfte die Frage, wie es Berlin mit noch mehr Pollern halte, eigentlich nur eine Antwort kennen: „Auf keinsten!“ Einen Sticker mit diesem Spruch hat jemand auf einen der neuen Poller in der Bergmannstraße geklebt. Es klingt nach Widerstand.
Julius Betschka