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Diana Golze (Die Linke) (l), Brandenburgs Gesundheitsministerin, und ihre Staatssekretärin Almuth Hartwig-Tiedt (Die Linke).
© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa
Update

Pharmaskandal in Brandenburg: Nichts gewusst, nichts gehört, nichts gesehen

Immer deutlicher wird, wie groß das Versagen der Brandenburger Behörden im Skandal um unwirksame Krebsmedikamente war. Jetzt hat sich Brandenburgs Gesundheitsministerin Golze im Landtag erklärt.

Im Pharmaskandal um möglicherweise unwirksame Krebsmedikamente muss sich am Mittwoch Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) im Landtag erklären. Um 10 Uhr kam der Gesundheitsausschuss zu einer Sondersitzung zusammen. Golze soll erklären, warum die Behörden erst spät auf Hinweise reagiert haben, wonach die Firma Lunapharm mit Sitz im brandenburgischen Mahlow mit in Griechenland gestohlenen und vermutlich auch unwirksamen Krebsmedikamenten gehandelt haben soll. CDU und Grüne hatten die Sondersitzung des Ausschusses beantragt.

Der Pharmaskandal: Was bisher geschah

- Die Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt wegen Hehlerei und Verstößen gegen das Arnzeimittelgesetz. Zudem wird geprüft, ob gegen zwei Mitarbeiter des Landesgesundheitsamtes, darunter ein früherer Referatsleiter, der Chefaufseher für Arzneimittel, Ermittlungen wegen Bestechlichkeit aufgenommen werden. Golze hat bereits Versäumnisse und Fehler eingeräumt.

- Das Ministerium war Ende 2016 von den Behörden in Polen und in Griechenland über den Fall und im Frühjahr 2017 von der Staatsanwaltschaft über Ermittlungen informiert worden. Doch das Ministerium schritt nur zögerlich ein. Lunapharm konnte weiter Geschäfte machen.

- Das ARD-Magazin "Kontraste" hatte den Skandal vor zwei Wochen aufgedeckt. Erst versuchte das Ministerium den Verdacht zu zerstreuen, musste dann jedoch eingestehen, bei der Arzneimittelaufsicht im Fall Lunapharm versagt zu haben. Erst am vergangenen Freitag wurde dem Unternehmen die Betriebserlaubnis entzogen, am Sonntag beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Unterlagen und Medikamente.

- Für die Medikamente kann das Ministerium die Unbedenklichkeit nicht mehr bescheinigen. Deshalb startete Golze vergangene Woche einen Rückruf. Die Medikamente sind seit Sommer 2015 in elf Bundesländer, darunter Berlin, geliefert worden.

- Die Präparate sind längst verbraucht. Unklar ist, wieviele möglicherweise unwirksame Krebsmedikamente seit 2013, als der Arzneidiebstahl in Griechenland begonnen hat, in den Umlauf kamen. Die Behörden in Griechenland gehen davon aus, dass die Medikamente nicht ordnungsgemäß gelagert wurden und unwirksam sein könnten

Behördenversagen: Was das Ministerium nun dem Parlament erklärt

Nichts gewusst, nichts gehört, nichts gesehen: Im Brandenburger Pharmaskandal um mutmaßlich gestohlene und möglichweise unwirksam Krebsmedikamente kommt immer mehr zu Tage, wie groß das Versagen der Brandenburger Behörden war.

Der Präsident des für die Arzneimittelkontrolle zuständigen Landesgesundheitsamts, Detlev Mohr, musste vor dem Gesundheitsausschuss im Landtag einräumen, dass er über den seit Ende 2016 schwelenden Fall bis zu einem Beitrag des ARD-Magazins "Kontraste" vor zehn Tagen nicht informiert war. "Der Präsident war von der Kommunikation völlig ausgeschlossen", sagte Mohr über seine eigene Rolle in dem Fall.

Ende 2016 wurde das Landesgesundheitsamt 2016 erstmals darüber informiert, dass in Polen Krebsmedikamente, die über das Brandenburger Unternehmen Lunapharm geliefert wurde, gefunden wurden. Die Vertriebswege der Medikamente, die von einer griechischen Behörde stammten, seien aufzuklären. Der zuständige Referatsleiter im Landesamt meldete das weder an die Abteilungsleitung, noch an den Präsidenten, geschweige denn an das Ministerium.

Die Behördenleitung war nicht informiert

Im März 2017 gab es ein Amtshilfeersuchen der griechischen Behörden wegen in Krankenhäusern in Griechenland gestohlener und in Deutschland gehandelter Medikamente. Die Amtshilfeersuchen wurde dem Referatsleiter vom LKA persönlich überbracht wurde. Auch da erfolgte: nichts. Eine Meldung an die übergeordneten Ebenen habe nicht stattgefunden. "Ich bin hier außen vor gewesen", sagte der Präsident. 

Dass es sich um "fachliches Versagen" handle, sei schwer vorstellbar, erklärte Gesundheitsministerin Golze, die wie Mohr über ein Jahr lang überhaupt nicht informiert war über den Fall. Das ließe sich wohl nur mit "Vorsatz" erklären. Der betreffende Referatsleiter und eine Mitarbeiterin sind von Mohr nun angezeigt worden. Die für Korruptionsfälle zuständige Staatsanwaltschaft Neuruppin prüft die Aufnahme von Ermittlungen wegen Bestechlichkeit.

Bereits im März 2017 hätte eine anlassbezogene Inspektion bei Lunapharm stattfinden und die noch bei der Firma befindlichen Medikamente sichergestellt werden müssen, räumte Golze nun am Mittwoch ein. Der Entzug der Betriebserlaubnis müsse bei dem bloßen Verdacht erfolgen, dass Medikamente gestohlen oder gefälscht seien. Stattdessen gab es eine Wochen vorher angekündigte Inspektion von einer Mitarbeiterin, gegen die nun ermittelt wird.

Diese Mitarbeiterin informierte ihre Behörde auch nicht darüber, dass sie bereits im Frühjahr 2017 vom Landeskriminalamt vernommen wurde. Eigentlich wäre auch eine Auskunftsgenehmigung des Behördenleiters nötig gewesen. Doch die gab es nicht. Warum nur eine Sachbearbeiterin befragt und nicht die Behördenleitung vom LKA informiert wurde, diese Frage konnten die Regierungsvertreter am Mittwoch nicht beantworten.

Entzogen wurde die Handelserlaubnis dem Unternehmen erst vergangenen Freitag. Auch ein Rückruf der Medikamente wäre bereits im März 2017 gerechtfertigt gewesen, sagte Golze. Erfolgt ist der Rückruf in der vergangenen Woche am Dienstag, also zu einem Zeitpunkt, als die Medikamente mutmaßlich bereits verbraucht waren. Die Versäumnisse seien "ein großer Fehler" gewesen, erklärte die Ministerin. 

In der Arzneimittelüberwachung fehlten Fachleute

Für die Patienten wird sich möglicherweise auch nie mit Gewissheit sagen lassen, ob ihnen schädliche Medikamente verabreicht wurden. Bislang sind durch den Rückruf keine Medikamente zurückgekommen - da sie vermutlich bereits alle verbraucht sind. Die Medikamente sind sehr teuer, 5000 Euro pro Ampulle, und werden nicht auf Vorrat bei Apotheken gelagert, sondern auf Rezept an Praxen ausgegeben - und dann sofort an die Patienten verabreicht.

Am Wochenende hat das Landesgesundheitsamt bei Lunapharm weitere Rückstellproben der Medikamente beschlagnahmt, die nun in verschiedenen Laboren auf ihre Wirksamkeit hin beprobt werden. Aber, wie Gesundheitsstaatssekretärin Almuth Hartwig-Tiedt am Mittwoch erläuterte: "Wir müssen bei Lunapharm davon ausgehen, dass grundsätzlich nicht regelgerecht gehandelt wurde."

Das Beproben der Rückstellproben sei "hochsuspekt" und bringe vermutlich nichts, machte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Ursula Nonnemacher, deutlich.: "Wie wollen Sie ausschließen, dass ein Unternehmen, dem hohe kriminelle Energie vorgeworfen wird, nicht in der Lage ist, die Rückstellproben auszutauschen und einwandfreie Ware ins Lager zu stellen?"

Offenbar gab es im Gesundheitsministerium, das von Golze seit 2014 geführt wird, große Lücken und einen Mangel an Fachpersonal für die Überwachung von Medikamenten. In einem Papier für den Gesundheitsausschuss hat das Landesgesundheitsamt schon vor zwei Jahren davor gewarnt. Das Schreiben vom Januar 2016 trägt den Titel „Bedeutung der Überwachung der Apotheken, Arzneimittel und Medizinprodukte für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung“.

Verfasst wurde das Schreiben von jenem leitenden Arzneimittelüberwacher des Landes, der nun unter Korruptionsverdacht steht. In dem Schreiben heißt es: „So verfügt das Land derzeit für die Wahrnehmung bestimmter Überwachungsaufgaben nur über eine einzige Person mit der entsprechenden Fachkenntnis.“ Wegen der Vergütung im öffentlichen Dienst und wegen des Fachkräftemangels, „war es in der Vergangenheit äußerst schwierig, das notwendige Fachpersonal zu akquirieren.“

Indes melden sich immer mehr betroffene Patienten bei der vom Ministerium eingerichteten Hotline. Bis Dienstagabend waren es 600 Anrufe. Die Sorge ist groß. Seit Freitag versucht Tina M. – Name von der Redaktion geändert – Informationen zu bekommen. Es dauert Tage, unzählige Telefonate und Emails, bis die Berlinerin erfährt, ob sie möglicherweise Präparate für die Chemotherapie bekommen hat, die unwirksam waren. „Man kommt als Patient nicht an die nötigen Unterlagen“, sagt Tina M. Dienstag. „Ich will Gewissheit. Es macht mich fertig, dass mir niemand etwas sagen kann.“

Zwar hatte Golze am vergangenen Freitag eine Hotline einrichten lassen. Noch bis Wochenbeginn bekam Tina M. dort Auskunft. Doch dann wurde sie plötzlich abgeblockt. Die Hotline des Brandenburger Gesundheitsministeriums sei nicht mehr für sie zuständig. Sie solle sich jetzt an das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) wenden. Doch warum wurde dann die Hotline in Potsdam eingerichtet? Zumal die Präparate nach Auskunft des Ministeriums gar nicht an Patienten in Brandenburg geliefert wurden.

Die 50-Jährige war an Brust- und Eierstockkrebs erkrankt. Seit Oktober 2017 wurde sie mit einer Chemotherapie behandelt. Die letzte Behandlung war am 6. Juli – danach erlitt sie einen Herzstillstand und bekam einen Herzschrittmacher. Ob ein Zusammenhang mit der Chemotherapie besteht, kann ihr niemand sagen. Vor der Chemotherapie war ihr Herz umfassend untersucht worden – ohne Befund. Ob ein Zusammenhang besteht mit möglicherweise unwirksamen Medikamenten - diese Ungewissheit bleibt, sagt Tina M. Den Verdacht, die Angst kann ihr über Tage niemand nehmen.

Tina M. hat auch die Berliner Apotheke ausfindig gemacht, von der ihr Onkologe die Präparate bekommt. Die 50-Jährige wollte die Chargennummern der Präparate bekommen, die ihr verabreicht worden sind. Die Apotheke teilte ihr mit, sie habe das Medikament nicht von der Firma Lunapharm im brandenburgischen Mahlow bezogen.

Später faxt die Apotheke eine Liste mit den Chargennummern an den Onkologen, der Tina M. behandelt hat. Die Nummern sind handschriftlich eingetragen. Dabei ist ihr noch von der Hotline des Brandenburger Gesundheitsministeriums gesagt worden, dass die Präparate mit einem Klebchen, einem Etikett, versehen sein müssten, die dann in die Patientenakten geklebt werden.

Auf der Liste stehen auch der Hersteller und der Händler. Und genau dieser Händler hat nach einem Bericht des Branchendienstes „Apotheke adhoc“ mit Lunapharm zusammengearbeitet. Demnach hat Lunapharm als Logistikpartner für den Händler Bestellungen aufgenommen, die Waren gelagert und ausgeliefert.

Als Tina M. bei dem Hersteller anruft und die von der Apotheke aufgelisteten Chargennummern vorliest, bekommt sie eine beunruhigende Auskunft: Bei einzelne Nummern fehle etwas, einzelne Zahlen oder Buchstaben. Schlimmer, sagt Tina M., kann die Verunsicherung nicht sein. Zusätzlich zum Krebs. Der Hersteller teilt ihr mit: "Die qualitätsgesicherte Lagerung und Lieferung kann durch uns nur beurteilt werden, wenn die Lieferkette lückenlos nachvollzogen werden kann."

Golze: "Wir haben uns zu lange auf Informationen verlassen"

Erst am Mittwochvormittag bekommt Tina M. vom Berliner Lageso die erlösende Nachricht: Ihre Apotheke sei nicht mit dem Mittel aus Griechenland beliefert worden, mit dem Tina M. behandelt worden war. Die Ermittlungsbehörden hätten alle Unterlagen in der Apotheke gesichtet. Doch die bisherigen Rückruflisten reichen nur bis 2015 zurück. Was in der Zeit davor, seit 2013 geliefert und verabreicht wurde, ist noch nicht geklärt.

Vom Lageso bekommt Tina M. noch eine weitere Auskunft: Nur Patienten, die die Mittel zur Chemotherapie bekommen haben, die aus kriminellen Geschäften in Griechenland und Mahlow stammen, werden informiert. All jene Patienten, die nicht betroffen sind von möglicherweise unwirksamen Mitteln, werden von den Behörden, Apotheken und Ärzten nicht aktiv informiert. Das sei nicht zu leisten, wird Tina M. vom Lageso mitgeteilt. Es gehe um tausende Patienten. Ihnen bleibt nur die Ungewissheit.

Zu den Anrufer bei der Hotline sagt Staatssekretärin Hartwig-Tiedt: Die Mitarbeiter würden sich Zeit nehmen und aufklären. In der Regel bedankten sich die Patienten. "Aber es ist nicht auszuschließen, dass es zwischendurch Ärger bei einigen gab." Aber sie gehe davon aus, dass die Hotline für die Patienten eine gute Anlaufstelle ist.

Gesundheitsministerin Golze hat sich am Mittwoch im Ausschuss erneut entschuldigt. "Offensichtlich kriminelle Energie" sei nicht durchschaut und verhindert worden. „Wir haben uns zu lange verlassen auf Informationen, die wir bekommen haben.“ Sie werde die Aufsichtsbehörde im Hinblick auf Kommunikations- und Entscheidungswege „auf den Kopf“ stellen, damit sich solch ein Kontroll- und Behördenversagen nicht wiederholt.

Golze kündigte grundlegende Veränderungen bei den Überwachungs- und Aufsichtsbehörden an. Der Skandal sei im Ministerium und den nachgeordneten Behörden „ein bisher einmaliger Vorgang“, sagte Golze. Sie bedauere zutiefst, dass die Aufsichtsstrukturen in dem Fall nicht funktioniert hätten und ihr Haus eine solche „offensichtlich kriminelle Energie, die vorhanden war, nicht durchschaut“ habe.

Und doch hat Ministerin Golze, deren Zukunft als Spitzenkandidatin der Linke für die Landtagswahl 2019 nun ungewiss ist, noch lange nicht alle Fragen beantwortet. In vier Wochen gibt es die nächste Sondersitzung des Gesundheitsausschusses.

Für die CDU steht fest: Golze hat die Kontrolle über Ministerium und Behörde verloren. Die Linke lobt Golze: Sie werde weiter aufklären. Und in der rot-roten Koalition, in der Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bereits auf Distanz gegangen war, bringen die Sozialdemokraten Golzes Rücktritt indirekt ins Spiel: Die Frage nach der politischen Verantwortung könne man erst bewerten, wenn klar sei, ob behördliche Fehler oder kriminelle Machenschaften Grund für das Versagen waren.

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