Flüchtlingsunterbringung in Berlin: "Nicht jedes Haus muss ein Unikat sein"
60 Modulbauten sollen in Berlin entstehen, um Flüchtlinge unterzubringen. Führt das zu Gettos, verschandelt es die Stadt? Das diskutierten Politiker und Architekten bei einer Veranstaltung in der Urania.
Engelbert Lütke Daldrup spricht erst noch zurückhaltend, aber dann bricht es aus ihm heraus. "Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass jedes Haus ein Unikat sein muss! Es gibt Objekte, die man durchaus öfter bauen kann. Typisierung macht die Dinge schneller!"
Wir befinden uns im vollen Kleist-Saal der Urania, bei einer Veranstaltungsreihe von Tagesspiegel und Architektenkammer, es geht mal wieder um Flüchtlinge, aber nicht nur. Auch um Städtebau. Dass nicht jedes Haus ein Unikat sein muss, hören Architekten schonmal gar nicht gerne. Doch Baustaatssekretär Lütke Daldrup sieht keine Alternative. Es würden 100.000 Wohnungen in den nächsten Jahren benötigt, und um das zu schaffen, müsse man die "Verkrustungen im Denken" eben auflösen. "Und wir können es auch nicht fünf Mal im Parlament diskutieren und dann noch drei Mal im Hauptausschuss", wettert er.
In der Stadt müssen alle ihren Platz finden, und an Platz mangelt es derzeit. Es würde sogar schon ohne die Flüchtlinge eng hier, denn seit fünf Jahren wächst Berlin plötzlich, nach Jahren der Stagnation, und zwar kräftig. Rund 40.000 Menschen ziehen jedes Jahr hierher, sie allein haben den Wohnungsmarkt schon ausgelastet, doch nun kommen auch noch die Flüchtlinge dazu, rund 80.000 im vergangenen Jahr, und auch für dieses Jahr wird mit einer ähnlichen Größenordnung gerechnet.
Kürzlich gab es Wirbel, weil der Senat eine Liste mit Standorten für 60 Modulbauten veröffentlichte, die in der ganzen Stadt errichtet werden und Platz für 30.000 Menschen bieten sollen - zunächst für die Flüchtlinge, mittelfristig aber auch für den Normalbürger. Weitere 15.000 sollen in Containern untergebracht werden. Die Durchmischung der Quartiere führe schneller zur Integration, waren sich die Diskutanten einig. Mareike Geiling von der Initiative "Flüchtlinge willkommen" berichtete davon, wie viel besser die Integration funktioniere, wenn "Beheimatete" - also Einheimische - sich kümmern. Dafür muss man aber auch welche kennenlernen.
Vielleicht profitieren die Einheimischen auch vom Handlungsdruck
Ob man keine Konkurrenz mit einheimischen Wohnungssuchenden fürchte, wollte Tagesspiegel-Redakteur Gerd Nowakowski als Moderator wissen, doch Sozialstaatssekretär Dirk Gerstle betonte auch die Chancen: "Es könnte sein, dass der Druck, für die Flüchtlinge zu bauen, für alle Bürger ist gut, weil dadurch vieles, das ohnehin nötig war, schneller gebaut werden kann." Denn auch für die wachsende Stadt werden ja Schulen und Kita-Plätze und weitere Infrastruktur benötigt. Lichtenbergs Stadtentwicklungsstadtrat Wilfried Nünthel (CDU) erinnerte daran, dass man noch vor wenigen Jahren Schulen und Kitas abgerissen habe, weil sie leer standen. Jetzt brauche man neue, und dafür konkurriere man um genau die Flächen, die auch für die Flüchtlingsunterbringung im Gespräch seien. "Städtebau spielt jetzt nicht so die große Rolle", sagte Nünthel.
Das können Architekten so nicht teilen. Sie treibt nun auch die Ästhetik um. Landschaftsarchitekt Eike Richter saß zwar nicht als Diskutant auf dem Podium, gab aber ein Eingangsstatement ab. Er verwies auf ein Containerdorf in Zürich-Leutschenbach als gelungenes Beispiel. Dort sind die Container versetzt angeordnet, so dass Laubengänge und ein Innenhof entstehen, trotzdem ist das Dorf auch geöffnet zur Umgebung und dazu farblich gestaltet. Und: Braucht man sie nicht mehr, können die Container sehr leicht wieder abgebaut werden. Richter und die Architekten stören sich nämlich an den geplanten Modulbauten, die ja gerade nicht als Provisorien gedacht sind. Mindestens 100 Jahre sollen sie halten, hatte Senatsbaudirektorin Regula Lüscher Ende Oktober auf eine kleine Anfrage der Grünen geantwortet. Das bedeutet für die Architekten nun aber, mit den aus Betonfertigteilen zusammengesetzten Komplexen werde die Stadt regelrecht "verbaut", und das auf Dauer.
"Verwaltung ist nicht krisenfest"
Andererseits mangelt es an Alternativen. Nünthel berichtete, in Lichtenberg befänden sich sämtliche 5700 Plätze für Flüchtlinge in ehemaligen Gewerbeobjekten, die zuvor leer standen. "Es gibt dabei welche, da möchten Sie nicht drin wohnen", sagte Nünthel. Es werde jetzt aber trotzdem gemacht, weil es nicht anders gehe.
Immerhin bröckeln hier nun die eingangs erwähnten "Verkrustungen im Denken", wenn auch nur langsam. Mareike Geiling beklagte, wie starr die Strukturen seien. Kürzlich sei sie in der Sozialverwaltung gewesen, und dort seien die Mitarbeiter bass erstaunt gewesen, dass es die Initiative überhaupt gebe - sie hatten davon noch nichts gehört. "Kleine Organisationen übernehmen Aufgaben des Staates und der Kommunen", sagte Geiling.
"Das sind alles Mittzwanziger, die Wohnungen, Jobs und Studienplätze für Geflüchtete besorgen." Das musste auch Staatssekretär Gerstle einräumen: "Verwaltung ist nicht krisenfest" sagte er. Einig waren sich alle, dass sich hier etwas ändern muss Oder, wie es Engelbert Lütke Daldrup, einmal in Fahrt, nannte: "Es geht um die Integration der Berliner Verwaltung in das wirkliche Leben. Die Welt hat sich verändert, und das verändert auch uns. Nicht nur die Flüchtlinge müssen sich anstrengen, sondern auch wir."