Jungstötter: "Nicht in Berlin verliebt - aber liebgewonnen"
Sein Spitzname: „deutscher Nick Cave“. Seine Sehnsucht: die Weite. Ein Spaziergang mit dem früheren Sizarr-Sänger Fabian Altstötter durch den Treptower Park .
Das sowjetische Ehrendenkmal im Treptower Park wirkt mit den kahlen Bäumen und dem grauen Himmel an diesem Tag fast dystopisch. Der Musiker Fabian Altstötter, ehemals Sänger der viel gelobten Band Sizarr, nun unter dem Namen Jungstötter solo unterwegs, passt in dieses Bild: mit seinem kurzen Topfschnitt, dem langen Mantel im Military-Look, der blassen Haut.
Mit der hageren Statur und den Hochwasserhosen wirkt er ein bisschen wie eines dieser russischen Vorstadtkids, die auf Instagram und in der Modebranche gerade so beliebt sind, eine Mischung aus Hipster und Asi, nicht wirklich zuordenbar, genau wie seine Musik. Auf die Frage, wie er diese beschreiben würde, antwortet Altstötter präzise: „Als sehr, sehr traurig“.
In jedem Fall ist sie schwer, klavierlastig, Altstötters Gesang klingt nach halb leergetrunkenen Rotweingläsern und Dielenboden und Rauchschwaden in einer Kreuzberger Altbauwohnung, aber auch nach alleine durch den Wald laufen oder durch den Regen. Kritiker bezeichneten den Künstler nach der Veröffentlichung seines ersten Soloalbums „Love is“ im Februar gerne mal als den „deutschen Nick Cave“.
Tatsächlich lässt sich Altstötters Sound mit den gleichen Worten beschreiben wie der Ort, den er sich als Treffpunkt ausgesucht hat: düster, ein wenig zu groß an manchen Stellen, auf jeden Fall mit viel Pathos – aber auch schön.
"Das Denkmal hat ja so etwas Raumschiffhaftes"
Das Ehrendenkmal sei sein Lieblingsort in Berlin, erzählt er, früher sei er oft zum Lesen hierhergekommen. „Zu der Zeit habe ich viele Sci-Fi-Romane gelesen, Stanislaw Lem, 'Solaris' zum Beispiel, das spielt auf der Forschungsstation eines anderen Planeten. Ich fand es gut, mich dazu an solche Orte zu begeben – das Denkmal hat ja so etwas Raumschiffhaftes.“
Ursprünglich kommt der 27-Jährige aus dem pfälzischen Landau, eine Region, die eher für große Weingläser bekannt ist, als für großen Ruhm. Ob das große Leid, nach dem Altstötters sonorer Gesang klingt, etwas damit zu tun hat, ist nur eine Mutmaßung.
Aber wer in der Kleinstadt aufwachsen musste, kann sich gut mit der bedeutungsschwangeren Verzweiflung identifizieren, von der die Songs auf „Love is“ geprägt sind – eine Verzweiflung, die bestimmt nicht nur, aber besonders gut in der ländlichen Langeweile zwischen Weinbergen, -festen und dem Rhein entsteht.
Nicht umsonst sang die Loreley die Schifffahrer in den Tod. Dabei ist Altstötter keiner von denen, die mit allem gebrochen haben, das außerhalb des Berliner Rings liegt. An der Pfalz vermisst er die Natur, die Hügel und Berge und dass man mal weiter in die Ferne schauen kann als hundert Meter.
„Aber für meine persönliche Entwicklung war es schon sehr wichtig, dass ich nach Berlin gekommen bin“, sagt er, die Stadt habe seinen Horizont erweitert. Nach Stationen in Mannheim und Leipzig zog er vor viereinhalb Jahren hier her, weil er sich in Berlin verliebt hatte. Also in die Stadt? – „Nein“, sagt er und lacht, „in jemanden in der Stadt. In Berlin habe ich mich nie wirklich verliebt, aber ich habe es liebgewonnen.“
Zehn Jahre im Musikgeschäft
Es geht weiter durch den Treptower Park, entlang der Spree in Richtung Insel der Jugend. Ein Hund rennt in aussichtsloser Jagd einer über dem Wasser fliegenden Ente hinterher. Hinter den Baumwipfeln im Südosten ragt das alte Riesenrad des Spreeparks empor. „Da haben wir mit Sizarr mal ein Musikvideo gedreht“, erinnert sich Altstötter.
„Das war die Hölle – den ganzen Tag draußen, mitten im Winter.“ Er hat mittlerweile zehn Jahre Erfahrung im Musikgeschäft, Sizarr löste sich nach zwei erfolgreichen Alben im letzten Jahr auf – nicht aus persönlichen Gründen, wie Altstötter versichert, sondern weil sie sich musikalisch in verschiedene Richtungen entwickelt haben.
Außerdem hätten sie damals, wie auch er jetzt mit seinem Soloprojekt Jungstötter, keine wirklichen Ambitionen, gehabt mit ihren Liedern im Mainstream-Kontext stattzufinden. Es sei fast schockierend, was für eine Leere dort herrsche - „das ist ein Kosmos, der nur von Geld angetrieben wird und wo ein künstlerischer Ansatz kaum Platz hat. Ich will Musik machen, die sich nicht anbiedert.“
Weiter über die kleine Brücke zur Insel der Jugend, wo Altstötter noch nie zuvor war, aber immer mal hinwollte. Er erzählt von einem Date auf einem der Tretboote, die man sich hier ausleihen kann, bei dem auf einmal ein Fisch mit einem „riesigen, mutantenhaften Ekzem“ am Kopf im Wasser aufgetaucht sei. Das Date sei irgendwie nicht so gut gelaufen.
Apropos Insel der Jugend: Was hat es eigentlich mit dem Namen Jungstötter auf sich? Eine verfrühte Midlifecrisis? Nein, sagt Altstötter und schlägt den Rückweg Richtung Westen ein, er wollte etwas Unverwechselbares und ihm gefalle, dass der Name nicht so bierernst sei.
Das Namensspiel – alt und jung in einem – passt gut zu ihm. Trotz seiner erst 27 Jahre und dem noch jüngeren Aussehens, wirkt Altstötter ein wenig, wie aus der Zeit gefallen, mit seiner Art, sich sehr gewählt, fast altmodisch, auszudrücken – er benutzt Worte wie „missfallen“.
Ihn schockiere der extreme Jugendwahn seiner Generation, die Angst vor Verantwortung. Er selbst habe vor dem Älterwerden gar keine so große Angst mehr – irgendwie sei doch immer alles nur besser geworden.
Mehr Neues aus Treptow-Köpenick und allen anderen Bezirken gibt es in unseren Leute-Newslettern. Hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de