Besetzung in Neukölln: Nicht der Leerstand ist das Problem in Berlin
Die kuriosen Besetzungen am Pfingstwochenende sind vor allem ein Indikator für den Grad der Verzweiflung über die Berliner Wohnungssituation. Ein Kommentar.
Berlin hat schon viele Hausbesetzungen erlebt, aber selten eine so kuriose wie am Pfingstwochenende in Neukölln: Aus zwei von drei Koalitionsfraktionen, denen der Grünen und der Linken, gab es nicht nur klammheimliche Freude, sondern offene Unterstützung; und auch eine politische Ebene darunter, in den Bezirken, wurde Zustimmung signalisiert. So erklärte Grünen-Baustadtrat Florian Schmidt aus Friedrichshain-Kreuzberg, es sei „gut, dass nun Zeichen gesetzt werden“, und die Landesvorsitzende der Linken, Katina Schubert, forderte: „Verhandlungen müssen ernsthaft geführt werden.“
Nur an der Stadt selbst, in der Wohnungen knapp sind und immer teurer werden, ging die Aktion weitgehend vorbei. Worüber sollten Verhandlungen auch ernsthaft geführt werden?
Hier Regierungspolitiker, die eine illegale Besetzung als legitime Kritik an den von ihnen zu verantwortenden Zuständen begrüßen, dort unter Druck geratene Bewohner der Stadt, die eine vermeintlich auch in ihrem mittelbaren Interesse liegende Inanspruchnahme von brachliegenden Räumen kalt lässt – auch das ist Berlin 2018.
Die Erklärung für die Diskrepanz liegt auf der Hand: Nicht der spekulative Leerstand ist das größte Problem der Berliner Stadtentwicklungspolitik, sondern die Stadtentwicklungspolitik selbst ist das Problem. Durch Besetzungen können Einzelinteressen befriedigt werden, mehr aber nicht, denn den behaupteten massenhaften Leerstand gibt es nicht. Zwar hat der Senat keinen sicheren Überblick mehr über die Zahl ungenutzter Wohnungen, seit die Energieversorger keine Verbrauchsdaten mehr übermitteln (was früher ein sicherer Indikator war). Aber die meisten der den Bezirken oder in Internetforen wie dem „Leerstandsmelder“ angezeigten Räume oder Gebäude sind entweder nur kurzzeitig ungenutzt, oder es sind unbrauchbare Schrottimmobilien wie alte Gewerberäume – und es sind insgesamt viel zu wenige, um den Wohnungsmarkt spürbar entlasten zu können.
Zwischen Konservatismus und Futurismus
So ist die jüngste Besetzung sowie die prompte Räumung und die politische Diskussion darüber, die Züge folkloristischer Schuldzuweisungen trägt, vor allem ein Indikator für den Grad der Verzweiflung. Doch um den zu dokumentieren, hätte es die Besetzung nicht noch gebraucht. Die Stadtentwicklungspolitik unter Rot-Rot-Grün oszilliert zwischen Enteignungswünschen und Neubauwundern, zwischen linkem Konservatismus und linkem Futurismus, und sie ist auf beiden Seiten stark ideologisch geprägt. Pragmatismus hat es da schwer.
Angesichts der relativ wenigen leerstehenden Wohnungen und vor dem Hintergrund der ironischen Volte, dass hier, in der Neuköllner Bornsdorfer Straße, nicht etwa ein raffgieriger Spekulant am bösen Leerstandswerk war, sondern ausgerechnet die mit einer zügigen Sanierung überforderte landeseigene Wohnungsgesellschaft „Stadt und Land“, wäre auf allen Ebenen etwas mehr Konzentration auf das Wesentliche wünschenswert.
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