Kiezleben: Neuköllner Nachbarn kämpfen um ihr Treppenhaus
Konzerte, Theater, Treffpunkt: Die Bewohner eines Hauses in der Warthestraße wollen keinen Aufzug, sondern ihren Freiraum auf fünf Etagen.
Schon vor der Tür hört man die Musik: Veronika Otto sitzt im Treppenhaus und spielt auf ihrem Cello, der offene Raum trägt den Klang bis in die oberen Stockwerke. Überhaupt, die Akustik! Ihr Spielort ist ein schmucker Altbau in der Neuköllner Warthestraße 49, mit einzigartigem dreieckigen Treppenhaus. „Das ist hier wie ein Theater mit fünf Emporen“, schwärmt die Musikerin, die das Parterre bewohnt.
Von ihr stammte die Idee, die Treppe in eine Bühne zu verwandeln, als Spielraum für Musik und Theater zu verwenden. Seit 2008 veranstaltet die Hausgemeinschaft regelmäßig Events, etwa im Rahmen des Kulturfestivals 48 Stunden Neukölln. Die Bewohner verwandelten das Haus in den Klangkörper eines riesigen Cellos, spannten leiterartige Xylophone quer über die Treppe und stellten Märchen auf den Stufen nach.
Doch mit diesen Aktionen könnte es schon bald vorbei sein: Der Eigentümer will mitten im Treppenhaus einen Fahrstuhl installieren. Die Bewohner meinen: Dadurch wird nicht nur der Raum, die Akustik, das einzigartige Treppenhaus zerstört – sondern auch die gewachsene Hausgemeinschaft gefährdet.
Wer darf über die Gestaltung des Hauses entscheiden?
Hausverwalter Claus Clausnitzer hält dem entgegen, dass das Haus „an zeitgemäße Anforderungen“ angepasst werden müsse. Das besondere Treppenhaus bietet eben nicht nur eine ideale Voraussetzung für Kulturaktionen, sondern auch für den Fahrstuhl: Durch die Form könnten sechs Mietparteien pro Etage erreicht werden, auch die Umlage pro Mietpartei sei dementsprechend verhältnismäßig niedrig.
Der Streit um das Treppenhaus wird so zu der Frage: Wer darf über die Gestaltung des Hauses entscheiden – die, denen das Haus gehört, oder jene, die darin teils seit Jahrzehnten wohnen?
Einst anonymes Wohnhaus, heute eine Heimat in der Großstadt
Das Treppenhaus ist nicht nur das Herz des Hauses, es ist für viele Bewohner eine Art erweitertes Wohnzimmer. Seit Angelika-Benedicta Hirsch und Lothar Köster das Buch „Ein Haus in Neukölln. Fast eine Liebeserklärung“ über die Bewohner der Warthestraße 49 schrieben, kennt man sich im Haus.
Die regelmäßigen gemeinsamen Kunstaktionen verstärken das Gemeinschaftsgefühl. „Ich weiß, dass ich jederzeit bei meinen Nachbarn klopfen kann, sei es, weil mir Eier für den Kuchen fehlen oder für einen kurzen Plausch“, erzählt etwa Britta Zellweger, die seit 18 Jahren in dem Gebäude lebt.
Auch Veronika Otto sagt: „Wenn ich abends nach Hause komme, habe ich zu jedem Licht im Fenster ein Gesicht vor Augen.“ Aus einem anonymen Wohnhaus wurde über die Jahre eine feste Hausgemeinschaft, aus einer Mietswohnung die Heimat, die viele in der Großstadt vermissen.
Ende Januar sollen nun die Arbeiten im Treppenhaus beginnen. Bereits im April 2017 legten die Mieter Einspruch gegen den Bauantrag ein. Das Bezirksamt sah jedoch keinen Widerspruch zu den Regelungen des Milieuschutzes und verwies laut Hausverwaltung vor allem auf Verbesserungen für jene Mieter, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Der Bauantrag wurde genehmigt, doch die Mieter gaben nicht auf.
Bewohner gegen Eigentümer
Mathias und Britta Zellweger kontaktierten etwa das Denkmalamt, um den Fahrstuhl zu verhindern. Das Gebäudeensemble wurde jedoch als nicht denkmalwürdig beurteilt. „Wir hatten eigentlich immer ein sehr gutes Verhältnis zu den Vermietern, deswegen haben wir auch alle bisherigen Sanierungen akzeptiert“, sagt Britta Zellweger.
Sie hätten mehrfach versucht, mit der Hausverwaltung in Kontakt zu treten – diese sei jedoch auf Gesprächsangebote nicht eingegangen. Auch auf zwei gemeinsame Briefe der Mieterschaft habe es nur verhaltene Reaktionen gegeben.
Die Mieter fühlen nun nicht nur ihre Gemeinschaft, sondern auch ihr Wohnumfeld bedroht: „Als die Warthestraße noch mitten im Brennpunktkiez lag, war die Hausverwaltung immer stolz auf unsere aktive Hausgemeinschaft und unsere Aktionen“, sagt Britta Zellweger. „Langsam macht sich jedoch der Eindruck breit, dass wir nicht mehr gut genug sind.“
„Langfristige Betrachtung möglicher Wertverbesserungen“
Hausverwalter Clausnitzer wiederum zeigt sich in einer schriftlichen Stellungnahme enttäuscht von dem „erkennbaren Versuch einiger Mieter, den in der Öffentlichkeit gern propagierten (und sicher in vielen Fällen zutreffenden) Vorwurf der Gentrifizierung dazu zu nutzen, ihre Vorstellungen von der weiteren Nutzung des Treppenhauses ohne Aufzug durchzusetzen.“
Der Eigentümer, dem das Haus seit 40 Jahren gehört, hätte etwa in der Vergangenheit teilweise auf Mieterhöhungen verzichtet, die nach Sanierungen rechtlich möglich gewesen sein. Eine Verdrängung der Mieter sei nicht beabsichtigt, eine „langfristige Betrachtung möglicher Wertverbesserungen“ allerdings notwendig.
Die Bewohner hoffen nun, dass sich die Bauarbeiten wenigstens um ein paar Wochen verzögern – im offiziellen „Jahr des Cellos“ wollen sie ihr Treppenhaus noch ein letztes Mal in ein Big Cello verwandeln.