Vorkauf gescheitert: Neukölln verpasst wichtige Frist um wenige Minuten
Im September übte der Berliner Bezirk das Vorkaufsrecht für ein Wohnhaus aus. Erst später stellte sich heraus: Der Bescheid kam nicht rechtzeitig an.
Mitte September hatte der Bezirk Neukölln das Vorkaufsrecht für das Haus in der Leinestraße 8 zu Gunsten der landeseigenen Degewo geltend gemacht. Die Freude fand jedoch ein rasches Ende: Wie die Kiez und Kneipe zuerst berichtete, war der Käufer, die „Aramid GmbH“, mit einem Widerspruch gegen das Vorkaufsrecht erfolgreich.
Hintergrund ist ein Verfahrensfehler: Der Bescheid des Bezirksamtes erreichte die „Aramid“ wenige Minuten nach Ablauf der Frist. Laut den gesetzlichen Regeln muss der neue Käufer innerhalb von zwei Monaten über die Vorkaufsabsicht informiert werden, und zwar innerhalb dessen Geschäftsöffnungszeiten. Dass die Frist nicht bis 24 Uhr, sondern in dem Fall bis 18 Uhr galt, war dem Bezirksamt bis dahin nicht bekannt – wie Stadtentwicklungsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) auf Anfrage einräumt.
Wie Biedermann erklärt, habe die Zustimmung der Degewo erst im Laufe des letzten Tages der Ausübungsfrist vorgelegen. „Die Kolleg*innen haben dann so schnell es geht, den Ausübungsbescheid fertiggestellt und einem Boten übergeben, der auch unverzüglich zugestellt hat. Wie wir im Nachhinein feststellen mussten, war das leider trotzdem zu spät“, teilte Biedermann auf Anfrage mit.
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Und weiter: „Wir sind zutiefst enttäuscht, dass wir unser Vorkaufsrecht durch einen solchen Fehler nicht rechtswirksam ausüben konnten. Gleichzeitig ist dieses Mittel sehr fehleranfällig, wenn nicht alle Beteiligten an einem Strang ziehen und wir deshalb gezwungen sind, auf den letzten Drücker auszuüben. Ich bedauere sehr, dass es nicht geklappt hat, weil viel Zeit und Kraft von Bewohner*innen, Zivilgesellschaft und Politik wie auch vom Stadtentwicklungsamt und mir selbst drinsteckt.“
Biedermann selbst befand sich zu diesem Zeitpunkt offiziell in Elternzeit, war aber dennoch am Verfahren beteiligt. Die einzig gute Nachricht sei, so Biedermann weiter, dass mit dem Käufer eine Abwendungserklärung geschlossen werden konnte, die etwa die Umwandlung in Eigentumswohnungen untersagt.
Verfahren für Vorkaufsrecht erneut überprüft
Gleichzeitig habe er den Fehler zum Anlass genommen, das komplette Verfahren zur Ausübung des Vorkaufsrechtes noch einmal zu überprüfen, teilt Biedermann weiter mit. Dadurch sollen in der Zukunft ähnliche Fehler vermieden werden. Außerdem sei es wichtig, künftig gar nicht erst in die Situation zu kommen, dass alle notwendigen Unterlagen erst am letzten Tag vorliegen.
Die Mieter selbst zeigten sich bereits im November in einem Facebookpost „enttäuscht, fassungslos und wütend“. Gegenüber der „taz“ hatten Biedermann und auch Mieter der Leinestraße 8 darauf verwiesen, dass die Verzögerungen mit dem Mietendeckel zusammenhängen könnten. „Uns wurde signalisiert, dass Degewo und Gewobag den Vorkauf mit dem kommenden Mietendeckel als Vorwand ablehnen“, zitiert die „taz“ eine Mieterin. Degewo und Gewobag wiesen dies jedoch zurück.
Vorkaufsrecht für zwei Häuser rechtssicher
Bessere Nachrichten gibt es hingegen für die Mieter der Häuser am Kottbusser Damm 78 / Pflügerstraße 82 sowie in der Sonnenallee 154. In beiden Fällen hat das Bezirksamt das Vorkaufsrecht rechtssicher zugunsten der städtischen Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ ausgeübt. In beiden Fällen enden damit Monate der Unsicherheit: Das Vorkaufsrecht wurde bereits im März 2018 beziehungsweise Januar 2019 ausgeübt. Die ursprünglichen Käufer hatten allerdings Widerspruch eingelegt, in einem Fall wurde laut Angaben des Bezirksamtes auch Klage eingereicht. Die Verfahren wurden beigelegt.
Damit hat das Bezirksamt Neukölln mittlerweile neun Häuser rechtssicher vorgekauft, in vier Fällen läuft noch ein Widerspruchsverfahren. Zwei Widerspruchsverfahren (inklusive der Leinestraße 8) waren bislang erfolgreich. Käufer unterzeichneten seit 2017 zudem 30 Abwendungsvereinbarungen. „Käufer*innen wie Verkäufer*innen zweifeln immer seltener an der Rechtmäßigkeit des Vorkaufsrechts“, teilte Bezirksstadtrat Biedermann dazu mit. Und weiter: „Wir werden auch in Zukunft jeden Hausverkauf in Milieuschutzgebieten prüfen. Ich hoffe, dass auch die weiteren schwebenden Verfahren bald zum Abschluss kommen und so Klarheit für die Mieter*innen hergestellt werden kann.“