Elternzeit im Amt: Kommunalpolitik und Familie? Schwierig!
Ein Neuköllner Stadtrat geht in Elternzeit. Längst noch kein Normalzustand. Aber auch für Berlins Bezirksverordnete sind Politik, Job und Familie schwer zu vereinbaren.
- Laura Hofmann
- Robert Kiesel
Am Donnerstag um 22.37 Uhr war es so weit: „Okay, jetzt aber wirklich #Elternzeit“, ließ Jochen Biedermann (Grüne) seine Follower auf Twitter wissen. Dazu: Fotos übereinandergestapelter Ausgangsmappen und eines blank geputzten Schreibtisches. In den kommenden zwei Monaten kümmert sich der Neuköllner Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Soziales und Bürgerdienste um seinen im Juni geborenen Sohn.
Die so wichtige Bindung zum Kind herzustellen, sei neben dem 60-Stunden-Job mit regelmäßigen Abendterminen schlicht nicht möglich, sagt Biedermann. Das soll sich nun ändern – zumindest übergangsweise.
Und auch wenn die Rückmeldungen auf Twitter ausnahmslos und im analogen Leben mehrheitlich positiv waren: Dass Bezirksstadträte wie Biedermann in Elternzeit gehen, ist eine seltene Ausnahme. Beispiele dafür lassen sich in den zwölf Berliner Bezirksämtern nur wenige finden.
Neben Oliver Igel (SPD) aus Treptow-Köpenick, der als erster Bezirksbürgermeister 2014 zwei Monate fürs Amt nicht zur Verfügung stand, um seinen Sohn zu betreuen, hat auch die Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksstadträtin Clara Herrmann vor Kurzem Elternzeit genommen. Viel länger ist die Liste aber nicht.
Woran das liegt? Herrmann erklärt es so: „Der Stadtratsposten ist ein Amt auf Zeit. In den fünf Jahren will man etwas bewegen, außerdem trägt man eine große Verantwortung für Budget und Personal.“
Was sie nicht sagt: Selbstverständlich haben Amtsinhaber in aller Regel ein Interesse daran, ihren Posten über die Legislaturperiode hinaus zu verteidigen. Ein allzu langer Ausfall aufgrund von Kinderbetreuung oder anderen Lebensumständen könnte diesen Plan durchkreuzen.
Sie, die selbst drei Monate nach der Geburt ihrer Tochter wieder ins Bezirksamt zurückgekehrt ist, sagt dazu: „Politik ist anstrengend und nicht mit familienfreundlichen Arbeitszeiten verbunden. Allerdings muss es auch in unserem Job möglich sein, ein Kind zu bekommen.“ Offiziell gilt die gesetzliche Elternzeitregelung auch für Stadträte. Doch sie sind darauf angewiesen, dass ihre Kollegen im Bezirksamt in dieser Zeit ihre Aufgaben übernehmen. Und Stadträte haben in der Regel auch so schon genug zu tun.
Nicht minder herausfordernd ist die Kinderbetreuung für all jene, die Kommunalpolitik im Ehren- und nicht, wie Biedermann, Igel oder Herrmann, im Hauptamt betreiben. Anders als im Abgeordnetenhaus ist eine Kinderbetreuung während der ausschließlich nach Feierabend tagenden Bezirksparlamente nicht Usus.
Bereits mehrfach hat es in allen Bezirken Fälle gegeben, in denen weibliche Bezirksverordnete ihr Mandat nach der Geburt eines Kindes abgegeben haben.
Eine, die gegangen ist, heißt Anett Vietzke. Da war ihr Sohn gerade schulpflichtig geworden. Als die Kulturschaffende, die sich von Projektvertrag zu Projektvertrag hangelt, die Möglichkeit bekam, mehr zu arbeiten, musste sie diese ergreifen, sagt sie. Am 21. Februar verabschiedete sich die Linken-Politikerin aus der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte.
Heute sagt sie: „Das war gar keine Entscheidung, ich konnte es nicht mehr machen. Arbeitszeiten und Familienarbeit waren nicht mehr mit den Sitzungszeiten abends und nachts zu vereinbaren.“
„Politik sollte nicht etwas sein, was man sich leisten können muss“, findet Behrends.
Vietzke wollte etwas hinterlassen, was die Vereinbarkeit von Kommunalpolitik, Familie und Job verbessert. Der letzte Antrag, den sie eingebrachte, forderte das Bezirksamt auf, zu prüfen, ob die Mittel, welche die BVV für Kinderbetreuung veranschlagt hat, auch für einen Babysitter zu Hause verwendet werden könnten. Der Antrag wurde angenommen, auch die FDP stimmte dafür. Dagegen votierte die CDU-Fraktion.
Einzige Ausnahme: Jenna Behrends. Die 29-Jährige hat schon eine Tochter im Grundschulalter und mittlerweile auch einen zwei Monate alten Sohn. Sie selbst kann sich auf ihren Partner und ihre Familie verlassen. „Gerade für Alleinerziehende, die wir in der Politik auch brauchen, wäre das aber wichtig“, sagt sie.
Als die BVV im September den neuen Haushalt beschloss und ihr Mann auf Dienstreise war, nahm Behrends ihr Baby mit ins Plenum. „Politik sollte nicht etwas sein, was man sich leisten können muss“, findet Behrends.
Das Bezirksamt Mitte befand: Es gebe zwar keine rechtliche Grundlage dafür, Geld für Kinderbetreuung bereitzustellen. Doch Stadtrat Ephraim Gothe (SPD) spricht von einer „salomonischen Antwort“, die Mittel sollten trotzdem beantragt werden können. Auch wenn es die Landesgesetze so nicht vorsehen.
Ob sie auch für Babysitter in den Wohnungen der Verordneten verwendet werden dürfen, ist allerdings noch nicht geklärt. In anderen Städten geht das: Konstanz bezuschusst die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen ihrer Verordneten (die dort Stadträte heißen) mit zehn Euro pro Stunde. Solange die Betreuung Privatsache ist, bleibt die Arbeit in der BVV ein ökonomischer Faktor.
„Man muss sich in der Kommunalpolitik Gedanken darüber machen, wen man mit diesem System, so wie es jetzt ist, ausschließt“, findet Vietzke. „Wer ist nicht dabei und warum? Und wer sollte dabei sein?“
Dabei sind jetzt vor allem Menschen ohne Kinder oder solche, deren Kinder schon aus dem Haus sind. Es sind mehrheitlich finanziell bessergestellte Menschen. Und in Relation zur Berliner Bevölkerung haben nur wenige Verordnete einen Migrationshintergrund.
Eine weitere Baustelle: Mutterschutz und Elternzeit gibt es für Bezirksverordnete offiziell nicht. Das bedeutet: Wird in einer Sitzung ein wichtiger Antrag abgestimmt, kann die Abwesenheit eines frischgebackenen Elternteils das Ergebnis womöglich entscheiden.
Andere Städte sind auch hier weiter: In Tübingen gibt es ein Pairing-System, das sicherstellt, dass das Fehlen von Eltern das Abstimmungsergebnis nicht beeinflusst. So etwas sollte auch das Bezirksamt Mitte prüfen, so wollte es zumindest die CDU-Verordnete Behrends. Doch die Bezirksverordnetenversammlung lehnte ihren Antrag mehrheitlich ab.
Bisher funktioniere es ja auch über kollegiale Absprachen, hieß es. Und dass man sich nicht zu sehr mit sich selbst beschäftigen wolle.
Auch Grünen-Landeschefin Nina Stahr hat ihr Kind mehrfach mit ins Plenum genommen, als sie von 2011 bis 2016 Mitglied der BVV Steglitz-Zehlendorf war. „Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich, teilweise wurde ich massiv angefeindet“, erzählt sie.
Als „Rabenmutter“ sei sie bezeichnet worden. Und auch heute noch müssen Frauen, die ihre Kinder mit ins Parlament bringen, „ein dickes Fell haben“, sagt Stahr.
Immerhin: Es bewegt sich was. In Tempelhof-Schöneberg, wo SPD und Grüne die stärksten Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung stellen, wurden die Redezeiten begrenzt, damit die Sitzungen nicht endlos ausufern und die Abwesenheit der Ehrenamtler von ihren Familien nicht überstrapaziert wird.
In der Geschäftsordnung findet sich die Soll-Bestimmung, wonach Sitzungen spätestens um 21.30 Uhr zu enden haben. Diese sei in den vergangenen Jahren aber häufig umgangen worden, berichtet Stefan Böltes (SPD), Vorsteher der BVV.
Beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Mandat verweist er auf zwei Anträge der Grünen-Fraktion, die sich seit knapp sechs Monaten im Parlamentsgang befinden und sich mit der Kinderbetreuung während der Sitzungszeiten beschäftigen.
Böltes war einst selbst von der Problematik betroffen. Zum Zeitpunkt der Geburt seiner jüngsten Tochter waren sowohl er als auch seine Ehefrau Mitglied der BVV. In den ersten beiden Lebensjahren nahmen die beiden das Kind häufiger mit in die Sitzungen, hatten aber das Glück, in den Abendstunden durch andere Familienmitglieder entlastet zu werden.
Der Vorschlag, Eltern durch Extrazahlungen für Kinderbetreuung während der Sitzungen zu unterstützen, wurde im Bezirk mittlerweile aber verworfen. Dafür sei die Aufwandsentschädigung da, die im Zuge der am Donnerstag durch das Abgeordnetenhaus beschlossenen Parlamentsreform von bislang 600 auf knapp 1000 Euro steigt.
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