Modellprojekt in Berlin: Neukölln plant Aussteigerprogramm für Clan-Kriminelle
Neue Wege im Kampf gegen Organisierte Kriminalität: Ein Neuköllner Projekt könnte zum Vorbild für ganz Berlin werden.
Neukölln gilt seit längerem als Hochburg krimineller Clans. Anfang September wurde der Intensivtäter Nidal R. mit mehren Schüssen am Tempelhofer Feld getötet. Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) erklärte im Oktober, die „extreme Brutalität“ einiger Clans gefährde „den sozialen Frieden“. Nun experimentiert der Bezirk mit neuen Ansätzen, um der Clankriminalität zu begegnen.
Im Neuköllner Bezirksamt setzt man dabei vor allem auf die Vernetzung verschiedener Behörden. Eine ressortübergreifende Strategie soll den Austausch zwischen unterschiedlichen Ämtern erleichtern und die Kräfte bündeln.
Mit einem bezirkseigenen Aussteigerprogramm aus kriminellen Clanstrukturen will das Bezirksamt nun den Anfang machen. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) bat das Bezirksamt vergangene Woche in einem Entschluss, die Entwicklung eines entsprechenden Programmes schnellstmöglich zu starten. Hikel sagte bei der BVV, das Bezirksamt müsse nun endlich mit konkreten Aktionen voran gehen. Ein Aussteigerprogramm sei wichtig, da es den Menschen eine Perspektive jenseits der Clankriminalität aufzeigen würde.
Unterstützung erhielt er vom stellvertretenden Bezirksbürgermeister und Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU). Er gebe gerne zu, auch mit Blick auf seine eigene Partei, dass mit Blick auf die Clans zu lange zu wenig passiert sei, sagte Liecke. „Allerdings ist es auch nicht so, dass der Bezirk Neukölln erst gestern aufgewacht ist, um sich dem Thema Clankriminalität zu widmen.“ Neukölln sei in dem Gebiet schon lange Vorreiter und habe viele funktionierende Aktionen entwickelt, auch in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung.
Liecke selbst fordert seit längerem ein berlinweites Clankonzept und eine gerichtsfeste Grundlage für die Inobhutnahme von Kindern krimineller Familien. „Derzeit warten wir ab, bis auch der fünfte Sohn der Clans Intensivtäter ist. Das kann sich keine Gesellschaft auf Dauer leisten. Wir müssen diese Kinder vor ihren Familien schützen“, schreibt Liecke in einem Newsletter.
Bürgermeister: Ausstieg muss einfach und attraktiv sein
Das geplante Aussteigerprogramm soll Teil der ressortübergreifenden Gesamtstrategie sein. „Wir müssen einerseits den illegalen Weg so steinig wie möglich machen“, sagte Hikel bei der BVV. Andererseits müsse der Ausstieg aus diesen Strukturen aber auch so einfach und so attraktiv wie möglich sein. Der Rechtsstaat müsse die Menschen daher bei dem Schritt in die Legalität so gut es geht unterstützen.
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Mit der Entwicklung des Aussteigerprogramms werde sich das Bezirksamt nun in den kommenden Wochen befassen, teilt ein Sprecher mit. Wie genau dieses aussehen solle, sei derzeit noch nicht klar. Allerdings müsse es sich nach ersten Überlegungen insbesondere an Kinder, junge Menschen und Frauen richten. „Sie sind es, die aufgrund des innerfamiliären Drucks nur schwer aus kriminellen Clanstrukturen ausbrechen können“, so der Sprecher. Das Programm solle ihnen dabei helfen, sich ein Leben außerhalb dieser Strukturen – die ja auch ihre Familie sind – aufzubauen.
Das Fundament des Programmes könnten demnach verschiedene Strukturen und Netzwerke sein, die das Bezirksamt zusammen mit Landesbehörden seit einiger Zeit erprobt. Dazu zählen etwa die koordinierten Schwerpunkteinsätze, die das Ordnungs- und Gewerbeamt gemeinsam mit der Berliner Polizei durchführen. Neukölln verfügt seit 2015 als erster Berliner Bezirk über eine eigene Staatsanwaltschaft vor Ort. Im Jugendamt ist die AG Kinder- und Jugendkriminalität angesiedelt, mit der Sozialarbeiter, wie gestern berichtet, junge Menschen vor kriminellen Karrieren bewahren wollen.
Gesamtstrategie muss auf Landesebene entwickelt werden
In die Gesamtstrategie sollen alle staatlichen Stellen, auch über das Land Berlin hinaus, einbezogen werden, die Eingriffsmöglichkeiten in die Aktivitäten der organisierten Kriminalität haben. „Eine solche Strategie ist daher notwendigerweise nicht kommunal, sondern auf Landesebene zu organisieren“, heißt es aus dem Bezirksamt. Neukölln wolle jedoch „wie schon in der Vergangenheit mit gutem Beispiel voran gehen und Vorschläge unterbreiten. Wo das Bezirksamt von sich aus handeln kann, wird es das tun“, so der Sprecher.
Ansätze, die erfolgreich in Neukölln erprobt worden seien, könnten dann später auch auf weitere Bezirke oder ganz Berlin ausgeweitet werden. Dies gelte insbesondere auch für das Aussteigerprogramm. Neukölln will also künftig nicht nur als Hochburg krimineller Clans bekannt werden – sondern auch als Experimentierfeld und Modellprojekt für die Eindämmung ebendieser Kriminalität.