Papst Franziskus und Abtreibung: "Wie aus dem letzten Jahrhundert"
Der Papst erlaubt seinen Priestern die Vergebung der Abtreibung. Katholiken in Deutschland sehen darin aber keinen Kurswechsel.
Die Revolution, wenn es überhaupt eine ist, kommt diesmal auf ganz leisen Sohlen aus Rom. Papst Franziskus hat verfügt, dass seine Priester Frauen vergeben dürfen, die abgetrieben haben. Diese Verfügung soll ein Jahr lang gelten, während des „Heiligen Jahres der Barmherzigkeit“ 2016. „Na und“, sagen deutsche Katholiken dazu.
Er wisse um den Druck, unter dem sich viele Frauen für eine Abtreibung entscheiden, schreibt Franziskus. „Ich bin sehr vielen Frauen begegnet, die in ihrem Herzen die Narben dieser leidvollen und schmerzhaften Entscheidung trugen“. Die Vergebung Gottes könne einem Menschen, der bereut, nicht versagt werden.
Das hört sich barmherzig an, doch außer dem Ton ändert sich nichts. Die Tötung eines ungeborenen Menschen bleibt für die katholische Kirche eine schwere Sünde. Eine Abtreibung sei „zutiefst ungerecht“, schreibt Franziskus. Das freut die Abtreibungsgegner, die gerne darauf hinweisen, dass der Papst nach wie vor auf ihrer Seite steht.
Abtreibung gilt nach wie vor als schwere Sünde
Ein elfjähriges Mädchen, das nach einer Vergewaltigung schwanger wird, wird also wohl auch künftig das Kind austragen müssen, wenn es das Pech hat, in einem stramm katholischen Landstrich in Lateinamerika aufzuwachsen. Denn auch sie ist nach katholischem Verständnis nach wie vor eine schwere Sünderin.
Den liberal denkenden Katholiken im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), beim Katholischen Deutschen Frauenbund oder beim Schwangerenberatungsverein Donum Vitae fällt zum neuen Papstbrief auch nicht viel ein. „Das ist alles so weit weg von der Realität selbstständig denkender Menschen, da kann man sich nur wundern“, sagt Barbara John, die Vorsitzende des Katholischen Frauenbunds in Berlin. „Das kommt einem vor wie aus dem letzten Jahrhundert, man kann es eigentlich gar nicht ernst nehmen.“
Abtreibende (auch Ärzte, die eine Abtreibung vorgenommen haben) werden bisher automatisch aus der Kirche ausgeschlossen. Die automatische Exkommunikation hebt Franziskus für 2016 auf. „Durch die automatische Exkommunikation wurden die Frauen bislang noch schlimmer bestraft als Mörder. Die werden nicht automatisch exkommuniziert. Jetzt stehen die Frauen auf einer Stufe mit ihnen. Soll man das Fortschritt nennen?“, fragt ein Mitglied des ZdK.
Für Deutschland ändert sich gar nichts
Nach katholischem Beicht- und Bußverständnis können Priester schweren Sündern vergeben, wenn sie aufrichtig bereuen und sich fortan bemühen, nicht erneut zu sündigen. Geht es um Abtreibung, dürfen in vielen Ländern aber nur Bischöfe die Beichte abnehmen und die Absolution erteilen. Mit dem neuen Schreiben verfügt Franziskus, dass 2016 überall auf der Welt Priester diese Handlung ausführen dürfen. Für arme Frauen in Indien oder Lateinamerika ist das eine Verbesserung. Sie bekommen einen Priester nur alle paar Wochen zu Gesicht und den Bischof so gut wie nie. Sie können hoffen, dass sie 2016 schneller Erleichterung für ihr Gewissen und ihre Seele finden. Für Deutschland ändert sich hingegen nichts. Hier dürfen Priester schon seit vielen Jahren auch Abtreibenden vergeben. Das haben die deutschen Bischöfe beschlossen. Das Kirchenrecht erlaubt da Ausnahmeregelungen.
„Ein echtes Signal wäre es, wenn man in Rom endlich aufhören würde, Frauen, die abgetrieben haben, mit Mördern gleichzusetzen“, heißt es im ZdK. Es deutet allerdings nichts darauf hin, dass Franziskus so etwas im Sinn hat, auch nicht langfristig. Sein Anliegen ist es, Gottes Barmherzigkeit zu den Menschen zu bringen, schneller und effektiver, als das bisher möglich ist. Dabei will er sich aber nur ungern mit den Bewahrern, Traditionalisten und Hardlinern anlegen. Viele ihrer Positionen teilt er ohnehin, wenn es ums theologisch Grundsätzliche geht. So hat Franziskus theologisch noch bei keinem Thema neue Wege beschritten. Seine große Leistung ist es, dass er einen menschenfreundlicheren Ton anschlägt und seine Priester ermutigt, in der Seelsorge neue Lösungen zu suchen.
Eine Verbesserung für Frauen in Indien
In einem Monat kommen die Bischöfe in Rom zur zweiten Synode zum Thema Ehe und Familie zusammen. Viele Katholiken im Westen erhoffen sich Veränderungen in der Sexualmoral und beim Umgang mit Menschen in zweiter Ehe. Franziskus wird vermutlich auch hier an keinem Dogma rütteln. Bestenfalls wird er größere pastorale Freiräume und regionale Ausnahmeregelungen ermöglichen. Diese Lösungen und Kompromisse werden innerkirchlich sicherlich als große Schritte gedeutet werden. Es könnte sein, dass sie viele Gläubige in Deutschland nicht mal mehr zu einem Schulterzucken veranlassen werden.