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Die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße strahlt mit ihrer goldenen Kuppel.
© imago/Jürgen Ritter

Berlin-Mitte: Neue Synagoge - eine überirdische Schönheit der Stadt

Am 9. November jährt sich die Reichspogromnacht. 80 Jahre später gilt die Neue Synagoge wieder als Symbol für das friedliche Miteinander aller Religionen.

Die Oranienburger Straße in der Berliner Mitte ist wieder da angekommen, wo sie schon einmal war. Sie hüllt sich in staubige graue Bauplanen, die wie Fetzen an den Fassaden hängen. Sie ist laut, schmuddelig, vernarbt. Die einstige Touristenmeile hat wenig, das einen Besuch lohnt: ein paar viel zu große Restaurants, die verschlossene Tacheles-Ruine inmitten einer Baubrache, ein unzugängliches Postfuhramt und, letztens am Abend, nur mehr ein einziges einsames zugängliches, mehr aus- als angezogenes Mädchen auf dem Bordstein.

Dennoch kommen die Leute aus aller Welt zu jenem Bauwerk, dessen vergoldete Kuppeln ein Teil der oberirdischen, ja, fast schon überirdischen Schönheit dieser Stadt und ihrer Mitte sind: Die Neue Synagoge.

„Zum Ruhme Gottes und zur Zierde der Stadt“

Fotos im Hoch- und Querformat. Selbstporträts („Selfies“) mit und ohne Kopf vor der Kuppel. Hier steht der vergoldete Stolz unserer Berliner Vorfahren: Am 5. September 1866 wurde das einstmals größte und schönste jüdische Gotteshaus Deutschlands eingeweiht. Es hatte 3200 Sitzplätze. Eine Zeitung schwärmte: „Ihre Ausschmückung ist ebenso reich als geschmackvoll und erinnert unwillkürlich an die Zauberräume der Alhambra und die schönsten Denkmäler der arabischen Architektur. Decke, Wände, Säulen, Bögen und Fenster sind mit verschwenderischer Pracht ausgestattet und bilden mit ihren Vergoldungen und Verzierungen einen wunderbaren, zu einem harmonischen Ganzen sich verschlingenden Arabeskenkranz von feenhafter, überirdischer Wirkung“.

Die Synagoge „zum Ruhme Gottes und zur Zierde der Stadt“ wurde zum Mittelpunkt des jüdischen Lebens in einer Stadt, die 1925 genau 172.672 Berliner jüdischen Glaubens zählte, das waren 4,3 Prozent der Bevölkerung. Heute, 152 Jahre später, strahlt, wie damals, das biblische Zitat aus Jesaja 26,2 über den Portalen: „Tuet auf die Pforten, dass einziehe das gerechte Volk, das bewahret die Treue“.

Ein Mischmasch aus alt und neu

Das gerechte Volk von heute liest in einem Flyer am Eingang, die Neue Synagoge sei „ein Symbol für das Selbstverständnis, deutsch, berlinerisch und jüdisch gleichermaßen zu sein“. Vielleicht trügt der Schein der breiten Front des polizeilich gut gesicherten Gebäudes, von dem man mehr erwartet als es vorzeigen kann. Jedenfalls keine feenhafte, überirdische Wirkung. Erst kommt eine Sicherheitsschleuse, wie auf Flughäfen üblich, dann werden sieben Euro fällig, für die das Haus besichtigt werden kann. Es fängt ganz oben an: Mit dem Fahrstuhl in den 3. Stock, von dort noch 40 Steinstufen – und dann sieht man, dem Kuppelgold ganz nah, das Berliner Leben rings um die „Oranienburger“: Ein Mischmasch aus Alt und Neu, Tempo hier, Gemächlichkeit da.

Es gibt Einblicke ins jüdische Leben einst und heute. Auf einer braunen Holzbank aus dem früheren Betsaal sitzend hört und sieht man in der neuen Dauerausstellung „Tuet auf die Pforten“ einen Film, in dem ein Rabbiner mit kräftiger Stimme inbrünstig jüdisches Liedgut zu Gehör bringt – sehr schön, sehr feierlich und sehr fremd. Der Gast fühlt sich dennoch plötzlich Teil einer Gemeinschaft schwarz gekleideter Männer. Doch der ehemalige Synagogenhauptraum ist verschwunden. Weggebombt 1943, gesprengt 1958. Geblieben ist eine Freifläche, die mit einer neuen Synagoge zu bebauen sich nicht lohnt, sagt Hermann Simon, der Gründungsdirektor der Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“.

Tempo hier, Gemächlichkeit da.
Tempo hier, Gemächlichkeit da.
© Doris Spiekermann-Klaas, Jürgen Ritter/imago, dpa/pa

Derzeit leben 28.000 Juden in Berlin

In Berlin verteilen sich derzeit 28.000 Juden auf verschiedene Gemeinden. Viele von ihnen sind zugewandert und sprechen Russisch, das monatliche Gemeindeblatt „Jüdisches Berlin“ erscheint zweisprachig mit 7500 Exemplaren und Annoncen für Bildungszentren, israelischen Kampfsport, Deutschkurs für Senioren und Fitness-Training für den Rücken, vieles im Familienzentrum in der Oranienburger Straße. Und Gottesdienste in einem Dutzend Synagogen mit verschiedenen Ritualen: reform-egalitär, konservativ-egalitär, orthodox-sefardisch und konservativ-liberal, wie er in der größten Gemeinde im Berliner Osten, in der Rykestraße, praktiziert wird. Auf dem November-Titel vom Gemeindeblatt lächelt Dagmar Manzel – sie tritt bei den jüdischen Kulturtagen in dieser Woche mit ihrer Band auf, „Menschenskind“ heißt das Programm.

Für den strahlenden Kuppelbau in der Oranienburger Straße ist der 9. November ein markantes Datum. Vor 80 Jahren, 1938, als der Nazi-Mob in seiner „Reichskristallnacht“ mit den Juden-Pogromen begann, entging der Sakralbau nur durch das beherzte Eingreifen eines Polizei-Reviervorstehers der Zerstörung. Der Feuilletonist Heinz Knobloch hat ein spannendes Buch darüber geschrieben, und auch Hermann Simon beschäftigt sich in den „Jüdischen Miniaturen“ mit dem Fall.

Vor der Zerstörung gerettet

„Fest steht: In der Nacht vom 9. zum 10. November erlitt auch die Neue Synagoge Schäden. Von SA-Leuten war in dem Raum, der unmittelbar vor dem Eingang zur Hauptsynagoge lag, Feuer gelegt worden. Dieses Feuer wurde gelöscht. Oberleutnant Wilhelm Krützfeld, der dem Polizeirevier 16 am Hackeschen Markt vorstand, haben wir die Rettung zu verdanken. Er hatte auf seinem Revier ein Klima geschaffen, das es ermöglichte, dass die Synagoge in dieser Nacht vor einer Brandstiftung größeren Ausmaßes bewahrt wurde“.

Am 30. März 1940 vereint der letzte Gottesdienst die wenigen, noch nicht deportierten Juden, im Gebet in der Synagoge. Im November 1943 wird das Haus durch Fliegerbomben schwer beschädigt. „In ein danach entstandene Foto wurden um das Jahr 1948 Flammen hineinretuschiert. Das bekannte Bild ist eine Manipulation und somit falsch“, sagt Hermann Simon: Das Foto kann schon allein deshalb nicht vom November 1938 stammen, weil auf ihm die östliche kleine Kuppel fehlt. Die ist aber erst Opfer des Bombardements der Alliierten fünf Jahre später, 1943, geworden …

Die Flammen wurden nachträglich reinretuschiert.
Die Flammen wurden nachträglich reinretuschiert.
© picture alliance / IMAGNO/Votava

Wiederaufbau in den 80er Jahren

Zeitsprung zum 10. November 1988. An einem freundlichen Herbsttag wird die Oranienburger Straße plötzlich gesperrt. Die schwarzen, kantigen Volvos der regierenden Oberschicht der DDR fahren vor, großer Bahnhof vor dem Torso der Synagoge, jüdische Repräsentanten aus dem In- und Ausland begrüßen Erich Honecker, der seinem Genossen Oberbürgermeister Krack die Festrede überlässt. Der erinnert an die progressiven Einflüsse Berliner Juden auf das geistige Stadtleben: „Ärzte, Wissenschaftler, Kaufleute, Verleger, Künstler, Publizisten und Komponisten jüdischer Abstammung haben sich mit ihrem Schaffen für immer in die Berliner Chronik eingeschrieben“.

Es wird eine Marmortafel enthüllt: „50 Jahre nach der Schändung dieser Synagoge und 45 Jahre nach ihrer Zerstörung wird dieses Haus nach unserem Willen mit Unterstützung vieler Freunde in unserem Lande und aller Welt neu erstehen. Jüdische Gemeinde Berlin“. Deutsches demokratisches Pathos: „Begleitet von lang anhaltendem Beifall und unter herzlicher Zustimmung der anwesenden jüdischen Repräsentanten gaben sich Erich Honecker und Dr. Peter Kirchner die Hand“. (Am nächsten Tag legten übrigens Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble und Eberhard Diepgen auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee einen Kranz nieder).

Geräuschlose Intervention

Der Bau konnte beginnen, 600 Gramm Blattgold auf die drei Zinkkuppeln aufgetragen, ein Museum und eine Ausstellungshalle gebaut werden. Der Ost-Berliner Zeitungsleser war ein wenig verwundert. Er hatte lange nichts über jüdisches Leben in der DDR erfahren, Herr Arafat mit seinen PLO-Kopftüchern war für die DDR der Held des Nahen Ostens, so lange, bis sich der Wind plötzlich drehte: Die Zeitungen nahmen plötzlich von „unseren jüdischen Mitbürgern“ Notiz. Einflussreiche jüdische Politiker (Klaus Gysi) und Schriftsteller (Stefan Heym, Stefan Hermlin) intervenierten hier und da geräuschlos. Hermann Simon sagt, dass vor 30 Jahren jeder der handelnden Akteure andere Motive mit unterschiedlichen Interessen hatte.

Dem Oberbürgermeister Krack ging es um den Stadtraum – die Ruine in der Oranienburger Straße war keine Zierde des Zentrums. Staatssekretär Klaus Gysi, Weltbürger statt verbohrter Parteifunktionär, erkannte die politische Dimension: ein neuer Kurs im Nahen Osten und der Wunsch Honeckers, in die USA zu reisen. „Es war eine aufregende Zeit, in der ich versucht habe, das Schiff zu steuern“, sagt der 69-jährige Direktor der Stiftung Neue Synagoge. Hermann Simon erzählt, dass es Pläne gab, quer durch die Synagoge wie auch über den Jüdischen Friedhof Tangenten zu bauen. Im politischen Tauwetter schmolz das Eis mancher Dogmen, „es begann die Zuwanderung einer internationalen Beterschaft“, sagt Hermann Simon.

Moral kostet nichts

Außenminister Oskar Fischer schrieb in einem Brief vom 18. August 1988 an Kurt Löffler, den Staatssekretär für Kirchenfragen: „In letzter Zeit mehren sich schriftliche Anfragen ausländischer jüdischer Bürger an die DDR nach Möglichkeiten einer sogenannten Wiedergutmachung. Es wurde entschieden, alle derartigen Schreiben durch die Botschaften der DDR zu beantworten“. Anlage: Ein Formbrief. Inhalt: Die DDR ist ein antifaschistischer Staat, in dem Rassismus, Antisemitismus und Faschismus mit ihren Wurzeln ausgerottet worden sind. Die DDR hat ihre Pflichten zur Wiedergutmachung in vollem Umfang erfüllt und damit alle zusammenhängenden Ansprüche abgegolten“. Nun ja. „Die DDR war doch arm wie eine Kirchenmaus“, sagt Hermann Simon. Moral kostet nichts.

Übrigens ist die Neue Synagoge das einzige Gebäude in Deutschland, bei dem der letzte DDR-Staatschef den symbolischen Grundstein legte und schließlich der Bundeskanzler des vereinten Deutschlands, Helmut Kohl, am 7. Mai 1995 die Eröffnung zelebrierte – nach sieben aufgeregten Jahren.

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