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Ungleich verteilt. Psychologen fehlen vor allem am Stadtrand, in der Berliner City aber gibt es viele Praxen.
© dpa

Ärztliche Versorgung in Berlin: Neue Praxen nur noch in die drei ärmsten Kieze

Senator Mario Czaja (CDU) ändert die Regeln für Ärzte. Vor allem neue Gynäkologen und Psychologen dürften sich bald nur noch in den drei sozial schwächsten Kiezen niederlassen.

Neun Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl verschärft Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) erneut die Regeln für niedergelassene Ärzte. Sein Ziel ist seit Amtsantritt eine andere Verteilung der Praxen in der Stadt. Berlin ist pro Kopf zwar besser versorgt als die meisten Bundesländern, doch die Ärzte sind – trotz kürzlich erfolgter Verbesserungen – immer noch ungleich über die Kieze verteilt. Künftig sollen neue Praxen nur in den drei Bezirken eröffnen, die mit Medizinern der jeweiligen Fachrichtung am schlechtesten versorgt sind. „Wir greifen wieder in die Eigentumsrechte von Ärzten ein“, sagte Czaja am Mittwoch. „Allerdings haben uns die Gerichte in unseren bisherigen Bemühungen dazu Recht gegeben.“

Derzeit profitieren wohl Neukölln, Treptow-Köpenick und Reinickendorf

Die neue Regelung bedeutet konkret Folgendes: In Berlin arbeiten bislang zwar ausreichend viele, im Vergleich mit anderen Disziplinen aber dennoch wenig Frauenärzte. Zudem wächst die Stadt, bald werden mehr Gynäkologen gebraucht. Sollte demnächst eine Frauenarztpraxis eröffnet werden, ginge dies nur noch in Neukölln, Treptow-Köpenick oder Reinickendorf – denn diese Bezirke brauchen Gynäkologen am dringendsten. Dies soll zumindest so lange gelten, wie in diesen Stadtteilen pro Kopf weniger Frauenärzte tätig sind als in den anderen Bezirken. Ähnliche Vorgaben dürften absehbar für Psychologen, Hautärzte und Urologen wirksam werden.
Nicht allen Ärzten, die sich schließlich als Freiberufler auf die traditionelle Niederlassungsfreiheit berufen, dürfte das gefallen. Senator Czaja aber hat mit derlei Maßnahmen bundesweit am meisten Erfahrung. Er hatte schon 2013 – als Christdemokrat zur Überraschung vieler Ärzte – das damals neue Versorgungsstrukturgesetz des Bundes genutzt, um die Ärzte in Berlin umverteilen.

Ohne die Kassenärztliche Vereinigung läuft nix

Seit 2013 dürfen Praxen nur noch in einen Bezirk umziehen, der schlechter versorgt ist. Das bedeutete in vielen Fällen, dass Ärzte von Charlottenburg nach Lichtenberg, aber nicht nach Zehlendorf umsiedeln konnten. Nun also will Czaja darüberhinaus jene drei Bezirke besonders stärken, die am wenigsten Praxen haben. Damals ließ der Senator erstmals für jeden Bezirk errechnen, wie viele Ärzte fehlen, wenn man Alter, Einkommen und Vorerkrankungen der Anwohner berücksichtigt. Dann sprach er mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Die öffentlich-rechtliche Institution ist bei Verhandlungen mit niedergelassenen Medizinern unverzichtbar. Der KV müssen alle 9000 in Berlin niedergelassenen Mediziner angehören, sie verteilt die nötigen Zulassungen und darf die Zunft fast autonom regieren. Die Kassenärzte stimmten den Vorschlägen des Senators schließlich zu.

Neukölln hat mehr Psychotherapeuten

Am Mittwoch zog Czaja dann auch Bilanz: Seit 2013 seien 158 Praxen in Bezirke verlegt worden, die unterdurchschnittlich versorgt waren. Aus Charlottenburg-Wilmersdorf seien beispielsweise 19 Psychotherapeuten in schlechter versorgte Bezirke umgezogen. Stadtweit verließen sogar 49 Therapeuten wohlhabendere Kieze zugunsten ärmerer Viertel. So wollten jahrelang kaum Psychologen in Neukölln praktizieren, nun hat der Bezirk sechs Praxen mehr – auch wenn es immer noch Bedarf gibt.
Weil Ärzte hierzulande Zwänge in der Berufsausübung stärker fürchten als in vielen anderen Ländern, hatte Czaja hart zu verhandeln. Am Mittwoch aber sprach auch KV-Vize-Chef Uwe Kraffel mit Blick auf die Neuregelung von einer „brauchbaren Lösung“ – immerhin: Noch in Czajas ersten Amtsjahren hatten sich Senator und Ärztevertreter wegen verschiedener Auffassungen in mehreren Fragen gestritten. Weil die Kassenärzte zur alten und zur neuen Verteilregel kaum hätten gezwungen werden können, gelten die Einigungen als Erfolg. Senator Czaja wiederholte am Mittwoch, die KV arbeite „frei von Weisungen“.
Einige Ärzte hatten nach 2013 geklagt, bislang sahen die Richter jedoch die Versorgung der Bevölkerung als hohes Gut an, sich in bestimmten Kiezen niederlassen zu müssen, gilt demnach als zumutbar. Statistisch gesehen gibt es in Berlin insgesamt ausreichend Ärzte. Doch im Einzelfall nützt das kaum, beispielsweise wenn Familien in Hellersdorf oder Neukölln einen Kinder- und Jugendtherapeuten suchen oder Senioren im Südosten wochenlang auf einen Termin beim Orthopäden warten.

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