Urban-Art in Berlin: Nackenstarre garantiert: Beim ersten Mural Fest wird die Stadt bunt
Beim „Berlin Mural Fest“ werden ab Samstag viele Fassaden in der ganzen Stadt bemalt – in der Tradition von Ben Wagin und The Haus.
Mit dem Weltbaum fing alles an. Der Künstler und Baumpate Ben Wagin ließ ihn 1975 wachsen: Nicht auf einer Grünfläche, sondern an einer Brandwand in der Bachstraße. Und schuf damit eines der ersten Berliner Wandgemälde an einer Brandwand der Nachkriegszeit.
Bemalte Fassaden gibt es in Berlin zwar schon deutlich länger, doch der Weltbaum war allein aufgrund seiner Größe einzigartig. Er inspirierte unzählige Künstler, selbst Bilder an die Berliner Wände zu bringen, international „Murals“ genannt.
Doch so wie Stadtbäume Neubauten weichen müssen, frisst die wachsende Stadt nun auch den Weltbaum. Ein Bürohaus wächst bereits an der Fassade empor und wird das Wandbild bald gänzlich verdecken.
Das wollen „Die Dixons“ nicht hinnehmen – und pflanzen den Baum einfach um. Die Dixons, das sind Kimo, Bolle und Jörn. Die drei schauen auf eine lange Urban-Art-Geschichte zurück: Einst malten sie als Crew illegale Graffiti an Berliner Wände, vor etwa sieben Jahren professionalisierten sie sich. Seitdem malen sie Aufträge, Wandbilder aller Größen überall auf der Welt.
Wohnungen statt Kunst
Vor einem Jahr schrieben sie mit „The Haus“ Stadtgeschichte. 165 Künstler bemalten, beklebten und besprayten über Monate hinweg die leer stehenden Räume einer ehemaligen Bank. Zwei Monate war die „größte temporäre Urban-Art-Galerie der Welt“ offen, dann war Schluss, das Haus wurde abgerissen. Hier entstehen nun Wohnungen.
„Als wir The Haus planten, war uns gar nicht bewusst, dass das so durch die Decke gehen würde“, sagt Kimo heute. Die Nachwehen seien sehr positiv, aber auch eine Belastung: „Die Erwartungen der Leute sind für ein Nachfolgeprojekt natürlich riesig.“
Dieses Nachfolgeprojekt, das wird jetzt das „Berlin Mural Fest“: 30 Brandwände werden den ganzen Mai über von 50 Künstlern aus Berlin und der Welt bemalt, dazu kommen einige ebenerdige Flächen. „Wir wollen die urbane Kunst nach The Haus nun dorthin bringen, wo sie hingehört: auf die Straße und an die Wände unserer Stadt“, sagt Kimo und verspricht: Nackenstarre garantiert.
Den Anfang macht am 5. Mai der neue Weltbaum, der an einer Wand in der Lehrter Straße in Moabit als Gemeinschaftsprojekt mehrerer Künstler entsteht. „Wir wollen zeigen, dass wir nicht damit einverstanden sind, dass das Bild zugebaut wird“, sagt Kimo, „und gleichzeitig unseren Respekt vor Ben Wagin und seiner Leistung demonstrieren.“
In den kommenden Tagen gestalten die Künstler dann Wände in verschiedenen Ecken Berlins. Eine App soll den Weg von Mural zu Mural leiten, Hintergründe zu den Motiven und den Künstlern bieten.
Die Idee zum Urban-Art-Festival ist dabei schon viel älter als „The Haus“. „Wir haben jahrelang auf Festivals überall auf der Welt Murals gemalt“, sagt Kimo. „Und dabei haben wir vor allem gelernt, wie man ein Urban-Art-Festival nicht organisieren sollte“, ergänzt Bolle.
Bei einigen Festivals fehlten Farbdosen, bei anderen waren keine Gerüste und kein Essen organisiert. „Man kauft seinen eigenen Flug, muss sich um seine Übernachtung kümmern und teilweise sogar selbst die Wand organisieren – aber man wurde ja eingeladen“, erzählt Kimo.
Andererseits: „Dadurch, dass wir immer alles selbst organisieren mussten, haben wir auch die wildesten Geschichten erlebt“, sagt Bolle. Und die Idee, ein Festival nach Berlin zu bringen, ließ sie nicht mehr los. Nun wollen sie vor allem auch gute Gastgeber für die Künstler sein.
Der logistische Aufwand ist immens: 3500 Quadratmeter Gerüste, etwa 15 Hebebühnen, Verträge mit 30 Hausverwaltungen und -eigentümern, Genehmigungen, Reisepläne, Unterkünfte, Material, Lunchpakete: „Und dann ist im besten Fall die Stadt bunt“, sagt Kimo.
Das Ergebnis soll Berlin ein neues Gesicht geben, für internationale Aufmerksamkeit sorgen – und eine neue Tradition begründen. „Wir werden jetzt nicht jedes Jahr ein Mural-Fest veranstalten, aber denken schon langfristig in Editionen“, sagt Kimo.
"Teil der kulturellen Identität Berlins"
Unterstützt werden die Dixons dabei von der Senatsverwaltung für Kultur, die das Weltbaum-Projekt und eine anschließende Ausstellung über die Geschichte der Berliner Graffitikultur finanziell fördert. „Die Urban Art kann mittlerweile als Teil der kulturellen Identität Berlins betrachtet werden“, erklärt Kultursenator Klaus Lederer (Linke).
Das wichtige, oft auch soziale Engagement legal arbeitender Künstler wolle er nach Möglichkeit unterstützen. Dazu berief die Senatsverwaltung für Kultur im Sommer 2016 einen „Runden Tisch Urban Art“ ein, der die Berliner Urban-Art-Szene möglichst breit und gleichberechtigt abbilden soll. An dem daraus entstandenen eigenständigen Arbeitskreis wirken auch die Dixons mit.
„Berlin wäre nicht Berlin, wenn Graffiti und Urban-Art nicht wären“, sagt Kimo. Seit den 1970ern wird Straßenkunst für Stadtmarketing verwendet: Allein der Weltbaum taucht auf unzähligen Plakaten auf. Andere Wandbilder und Graffiti zieren Reiseführer über die Hauptstadt.
„Die Bilder werden benutzt, aber nicht geschützt“, beklagen die Dixons, und wollen sich so auch für die Beständigkeit der Wandbilder einsetzen. Parallel steigt die Anerkennung urbaner Kunst: Neben „The Haus“ eröffnete im vergangenen Jahr auch das „Urban Nation Museum for Contemporary Urban Art“ in Schöneberg, eine Ausstellung mit Werken des britischen Graffitikünstlers Banksy lockte monatelang Berliner und Touristen ins Bikini Berlin.
Nach der Clubwelle kommt die Urban-Art-Klatsche
Auch in der Wand- und Auftragsmalerei sei der Wandel erkennbar, erklären die Dixons: „Aus der Dienstleistung wird wieder eine Kunst, die Aufträge sind heute viel freier als vor ein paar Jahren“, sagt Kimo. „Jetzt kommt nach der Clubwelle die Urban-Art-Klatsche“, ergänzt er. „Was die Loveparade für den Elektro war, wollen wir mit dem Festival für die Urban-Art-Szene Berlins werden.“
Dabei würde sich die Kunst nicht neu erfinden, hochwertige Graffiti und Urban Art sind bereits seit Jahrzehnten in der Stadt sichtbar. Was allerdings neu sei, sei die Zusammenarbeit mit der Politik. Neben „The Haus“ wurde auch das „Urban Nation Museum“ finanziell vom Senat unterstützt.
Das Mural-Fest sticht jedoch heraus: „Mit über 30 Wandbildern über den breiten Stadtraum verteilt, werden Bürgerinnen und Bürger frei zugänglich und möglichst barrierefrei öffentlich mit Kunst und deren Produktion zusammengebracht“, sagt Kultursenator Lederer.
Kritik an ihren Projekten begegnen die Dixons mit Teamplay: „Wir wünschen uns mehr Respekt innerhalb der Szene, es ist doch egal, ob jemand in einer Galerie arbeitet oder illegal“, sagt Kimo. Das Wichtigste sei die Leidenschaft hinter dem, was man tue.
Genau dieser Teamgeist steht auch beim Mural-Fest im Vordergrund: „Das Tolle ist, dass wir in dem Projekt alle zusammenarbeiten und nicht jeder für sich alleine“, sagt Kimo. So ist das Festival auch eine Art Schritt zurück zum Ursprung: Zurück zum ersten Mural Berlins, aber auch zur Loyalität innerhalb der illegalen Graffitigangs. „Wir wollen den alten Crew-Gedanken aufrechterhalten, das Füreinander-einstehen“, erklärt Kimo. „Nur jetzt halt in der Erwachsenenversion.“
Das Mural-Fest beginnt am 5. Mai um 18 Uhr mit der Präsentation des neuen Weltbaums in der Lehrter Straße. Am Pfingstwochenende vom 19. bis 21. Mai endet das Festival mit Partys und Veranstaltungen. Mehr Informationen zu Künstlern und Standorten der Wandbilder gibt es online auf www.berlinmuralfest.de.