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Ausgesetzt und abgegeben. Pflegerin Caroline Kind kümmert sich in der Tiersammelstelle in Lichtenberg um die Neuzugänge.
© Kitty Kleist-Heinrich

Ausgesetzte Tiere in Berlin: Nach Weihnachten kommt der Katzenjammer

Hunderte ausgesetzte Tiere muss das Tierheim jährlich aufnehmen. Nach Weihnachten ist der Andrang besonders groß, weil viele Beschenkte lieber doch keinen Vierbeiner wollen.

Ein Kater mit grau getigertem Fell schreit markerschütternd aus einem der Tierheimkäfige. Energisch dreht er sich in seiner Box, die etwa so groß ist wie ein Umzugskarton, und drückt seine Nase durch die Gitterstäbe. Weil er nicht gechippt, sein Zuhause also unbekannt ist, wartet er nun im Tierheim und schreit kläglich, wann immer jemand den Raum betritt. In seiner kleinen Zelle hat er ein eigenes Katzenklo, einen Fressnapf und etwas Spielzeug.

Weil nicht klar ist, wo der Kater herkommt, suchen Mitarbeiter der Amtlichen Tiersammelstelle im Lichtenberger Hausvaterweg 39 mit einem Facebook-Aufruf nach dem Besitzer. Es ist eine Mini-Behörde im Tierheim und ein Warteraum, in dem sich die Zukunft von aufgefundenen Hunden, Katzen, Kleintieren, Vögeln und Reptilien entscheidet. Rund 1800 Tiere werden jedes Jahr hierher gebracht, darunter etwa 900 Katzen.

Sie gehören zu den Sorgenkindern der Tierschützer. Denn mehrere 10 000 bis 100 000 Katzen leben nach ihren Schätzungen auf Berlins Straßen. Das Tierheim versucht, so viele wie möglich zu kastrieren, denn unkastrierte Katzen vermehren sich rasant.

Seit vier Tagen wartet der laute, namenlose Kater. Später wird sich zeigen, dass sein Besitzer den lebhaften Kater nicht abholt. In dem nüchternen Raum mit den Katzenkäfigen riecht es streng nach Tierfutter und ein wenig auch nach Katzenklo. Fünf weitere Tiere sind gerade hier untergebracht. Statistisch wird nur jede dritte Katze abgeholt. 615 Fundkatzen übergaben die Pfleger nach der fünftägigen Wartefrist in diesem Jahr schon ans Tierheim. Dort werden sie gechippt, geimpft, kastriert und im besten Fall vermittelt.

Nicht in Weihnachtsstimmung

Bis zu mehreren Dutzend Tiere bringen Tierfänger, Polizisten und Privatleute täglich hierher. „Vor Kurzem hatte jemand eine Katze im Jutesack einfach ins Gebüsch gelegt. Die wurde dann von der Polizei in einer Transportbox hergebracht“, erzählt Pflegerin Caroline Kind. An Heiligabend vor einem Jahr fanden Polizisten im Treptower Park einen Hund. Jemand hatte ihn einfach an einen Baum gebunden und zurückgelassen.

Hunde werden häufiger wieder aus der Tiersammelstelle abgeholt als Katzen. Mit Facebook ist die Sucharbeit zwar leichter geworden, doch längst nicht alle Tiere gehen versehentlich verloren. „In den Herbstferien war die Tiersammelstelle voll mit Katzen“, sagt Pflegerin Kerstin Stahlberg. Mehr als dreißig Tiere tummelten sich in den zwei Räumen.

Sobald die Schulferien beginnen, steigen die Fallzahlen. Manche setzen ihr Haustier vor dem Skiurlaub lieber vor die Tür, als in einer Tierpension sechs bis zwölf Euro pro Tag zu bezahlen. „Tendenziell sind es immer die großen Ferien, aber auch in den kürzeren Ferien zeigt sich das Phänomen“, sagt Kerstin Stahlberg. „Wir erwarten, dass es dieses Weihnachten auch so sein wird.“ Nach den Feiertagen zeige sich, welches flauschige Weihnachtsgeschenk nicht so gut beim Beschenkten ankam wie erhofft. Darum vermitteln Tierheime in der Adventszeit keine Tiere mehr. Zu hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie kurze Zeit später wieder im Heim auftauchen.

Im brandenburgischen Glindow kann Harry Kindt, Leiter der Katzenstation, viele traurige Geschichten erzählen.
Im brandenburgischen Glindow kann Harry Kindt, Leiter der Katzenstation, viele traurige Geschichten erzählen.
© Kitty Kleist-Heinrich

Tierschützer für Kastrationspflicht

In Glindow, gleich westlich von Potsdam gelegen, tritt Harry Kindt aus seinem Behandlungsraum an die frische Luft. Der 73-Jährige leitet den Berliner Katzenschutzverein und kümmert sich hier um ein kleines Tierheim für Katzen samt Babystation. Hauptgeldgeber ist der Tierschutzverein Aktion Tier.

Kindt glaubt, dass es eine simple Lösung gibt, um Katzenleid zu verhindern: „Die Tiere draußen sind fast alle kastriert“, holt er aus. „Aber solange die Haushalte und Bauernhöfe mit Freigängern ihre Tiere nicht kastrieren lassen, werden weiterhin Katzen und ihre Jungen ausgesetzt.“ Um das zu verhindern, fordern Tierschützer eine Kastrationspflicht. Doch die ist umstritten: Kritiker warnen vor Inzucht und staatlicher Bevormundung. Laut dem Deutschen Tierschutzbund haben über 560 Städte und Gemeinden eine solche Verordnung. Berlin ist nicht darunter.

In Kindts Babystation sind in geräumigen Abteilen sechs Katzenmütter mit 36 Jungen untergebracht. Im Hauptgebäude nebenan wohnen 54 Katzen. „Wir sind ein Durchgangslager“, sagt er. Kindt versucht, die Tiere aufzupäppeln und zu vermitteln. Manche bleiben nur ein Jahr, andere bis zu ihrem Tod. Rund 130 Tiere hat Kindt in diesem Jahr schon vermittelt, davon rund 100 Katzenbabys.

Jeder nennt sich "Finder"

Man muss wohl ein Katzennarr sein, um so wie er und seine Frau zu Hause noch zehn weitere Katzen zu pflegen. Kater Felix hat dort sein Zuhause gefunden: „Den haben Unbekannte mit Säure übergossen.“ Kindt verzieht das Gesicht. „Die halbe Gesichtshälfte, das Fell und die Hinterpfoten waren verätzt, die Pfoten und Zähne mussten teilweise amputiert werden.“ Wegen der fortlaufenden Medikamentenkosten habe niemand den Kater haben wollen. „Ist er bei mir geblieben, was soll’s.“

Und wenn der unerwünschte Wurf da ist, kann es einigen Besitzern gar nicht schnell genug gehen. Denn Katzenjunge kosten viel Arbeit und Geld. „Hier im Ort wurden gerade ausgesetzte Tiere gefunden, da waren noch Nabelschnur und Nachgeburt dran, die waren nicht älter als zwei Tage“, so Kindt. „Ich dachte: Mensch Kinder, ihr wisst doch, wo wir sind. Gebt die Tiere wenigstens hier ab und sagt, ihr hättet die gefunden.“ Die meisten Finder würden ohnehin lügen, meint er misstrauisch. „Trotzdem nehmen wir denen die Tiere ab, wir können die ja nicht sterben lassen.“

Kindts poltrige Stimme wird wieder sanft. Gelegentlich werden Katzen über den Zaun auf das Grundstück der Station geworfen, erzählt er. Zuletzt ein unbeschrifteter Karton, darin eine Katze und ihre fünf Jungen. „Zugeschnürt, noch nicht mal ein Loch darin, damit sie Luft kriegen.“ Harry Kindt hat die kleine Familie gepflegt und vermittelt.

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