Flughafen Berlin-Brandenburg: Nach Pilotenwarnungen will die Politik BER-Flugrouten prüfen lassen
Berlins Verkehrspolitiker haben die Behörden aufgefordert, jetzt die "Hoffmannkurve" wegen Sicherheitswarnungen des deutschen Pilotenverbandes zu überprüfen. Die Vereinigung Cockpit hatte von den Flugrouten erst durch Tagesspiegel-Recherchen erfahren - und ist alarmiert werden der "Stuntkurve".
Die Verkehrsexperten im Berliner Abgeordnetenhaus haben die Flugaufsichtsbehörden jetzt aufgefordert, die „Hoffmannkurven“ am Hauptstadtflughafen BER generell infrage zu stellen und sicherheitstechnisch zu überprüfen. Die Politik reagierte damit auf Berichte des Tagesspiegels, nach denen der Verband der Verkehrspiloten erhebliche Sicherheitsbedenken gegenüber dem von Piloten „Stuntkurve“ genannten Manöver geäußert hatte. Wenn die Flugkapitäne mit voll besetzten Maschinen Sekunden nach dem Start auf nur 182 Meter Höhe eine lange 145-Grad-Kurve einlenken müssten, „reduziert dies die Sicherheit ohne Not“, warnte Cockpit-Sprecher Jörg Handwerg.
Der Bürgermeister von Königs Wusterhausen, Lutz Franzke (SPD), sagte, in der Fluglärmkommission habe die Flugsicherung die „Hoffmannkurve“ als Vorschlag vorgelegt. „Eine flugtechnische Abwägung ist nicht gemacht worden“, sagte Franzke, Mitglied der Kommission. Die Kurve sei lediglich per Flugsimulation theoretisch getestet und zur Lärmbelastung geprüft worden. „Die Route klang erst einmal frappierend einfach. In der Tiefe ist das nach meiner Wahrnehmung aber noch nie beraten worden“.
Der Ärger um den Flughafen BER nimmt kein Ende: Der Verband der Verkehrspiloten in Deutschland hatte von der neuen Flugroute „Hoffmannkurve“ erst infolge der Tagesspiegel-Anfrage erfahren. Bislang waren die Piloten angesichts des Verlaufs der Flugrouten-Lärmdebatte um den BER nicht von einer so radikalen "Stuntkurve" als Lösung ausgegangen. Man sei nie in die Fachdebatte eingebunden gewesen. Später vorgetragene Bedenken würden die Argumente deshalb aber nicht in ihrer Bedeutung mindern, hieß es bei Cockpit. Die neuen Abflugrouten würden nämlich Passagiere und Crew unnötig in Gefahr bringen. „Es ist schlecht, wenn wir in sehr niedriger Höhe Kurven fliegen müssen. Das erhöht das Sicherheitsrisiko. Man braucht erheblich mehr Aufmerksamkeit als bei konventionellen Starts, die erst einmal ein Stück geradeaus verlaufen“, sagte der Sprecher der Vereinigung Cockpit, Jörg Handwerg, dem Tagesspiegel. "Lärmschutz darf beim Fliegen nicht vor Sicherheit stehen."
Der Pilotenverband will die beschlossenen Hoffmannkurven nach Osten und die vorgeschlagene nach Westen nun kritisch diskutieren. Außerdem soll geprüft werden, ob die zuständigen Behörden vor dem Beschluss eine Risikoanalyse durchgeführt haben. Man habe erst durch die Recherche des Tagesspiegels von der Flugroute erfahren.
Die Flugsicherungsbehörde wies die Bedenken indes zurück. Die Kurve sei "anspruchsvoll" zu fliegen, aber technisch problemlos machbar. Sie entspreche außerdem den Gesetzesvorgaben. Der Pilotenverband dagegen kritisierte, die Flugroutendebatte sei eine "politische" und sie fände "unter großem gesellschaftlichem Druck" statt. Der Verband sei - anders als beim Flughafen Frankfurt - nicht eingebunden gewesen. "Da werden unsere Argumente nicht gern gehört. Man will leider lieber rasch Ruhe haben."
Entsprechend der neuen Route sollen die Piloten künftig bei Starts von der Südbahn des BER in Richtung Osten bereits Sekunden nach dem Start eine lang gezogene Rechtskurve über 145 Grad einleiten. Dafür müssten sie noch über der Startbahn auf 600 Fuß steigen - das ist mit rund 180 Metern etwa die halbe Höhe des Fernsehturms. Nach wenigen Kilometern müssten sie dann eine Linkskurve fliegen.
Warum das ein Problem ist, erklärt der Pilotensprecher: „Kurven sind einfach fehleranfälliger, deswegen fliegt man sie aus gutem Grund meist erst ab 1000 Fuß Höhe." Das Flugverfahren in geringer Höhe sei nicht sinnvoll, "weil es mentale Kapazitäten bindet und die Komplexität deutlich erhöht, wenn mal ein unerwünschtes Ereignis eintritt, wie Vogelschlag, Triebwerks- oder Hydraulikprobleme oder andere schwere Fehler. Wir haben allein in Deutschland im Jahr 1000 Vogelschläge.“ Auch bei Triebswerksausfällen bräuchten Piloten ein größtmögliches Sicherheitspolster. Deswegen wollten Piloten nach dem Start erst einmal möglichst schnell im Geradeausflug Höhe machen.
Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung wies Sicherheitsbedenken zurück. Man habe die Kurve im Flugsimulator unter anderem auch unter widrigen Wetterbedingungen getestet und alles mit Chefpiloten diskutiert. Sie entspreche sie den Vorschriften der International Civil Aviation Organization (ICAO). Man rede über Wahrscheinlichkeiten im hohen Millionenbereich.
Der Pilotenverband entgegnet darauf, dass die Kurve aber „nicht an der zulässigen Minimumhöhe", die ICAO vorgibt, eingeleitet werden sollte. Die von ICAO vorgegebene Höhe von 600 Fuß sei nur deshalb so niedrig, „um Starts an Flughäfen zu ermöglichen, bei denen es geografisch nicht anders geht“.
Der Pilotenverband hofft darauf, stärker in die Diskussion der Flugrouten einbezogen zu werden. "Wir werden die Ostkurve jetzt kritisch diskutieren und auch bei der Debatte um die Westkurve darauf drängen, dass Lärmschutz zwar berücksichtigt wird, aber Sicherheit an erster Stelle steht. Beim Fliegen geht es allein um die Sicherheit der Menschen an Bord, und die wird in diesem Falle ohne Not reduziert.“
Die Hoffmannkurve am BER geht zurück auf die Initiative des Privatpiloten Marcel Hoffmann aus Eichwalde, der der Fluglärmkommission das schnelle Abkurven zum Schutz der vom Lärm betroffenen Gemeinden vorgeschlagen hatte. Hoffmann sagte dem Tagesspiegel, er habe die Routen in Absprache mit Verkehrspiloten, mit Fluglotsen und Kartenexperten entwickelt. „Und ich gehe davon aus, dass die Behörden erst recht besonders genau prüfen, wenn jemand von außen einen Vorschlag äußert.“
Der Pilotenverband hält indes an seiner Kritik fest. "Fliegen ist so sicher, eben nicht nur weil wir strenge Bestimmungen haben, sondern vor allem, weil man darüber hinaus versucht hat, Sicherheitspolster zu schaffen. Da ist es kontraproduktiv, diese jetzt mit genau der Argumentation abzubauen, dass das Fliegen ja statistisch gesehen so sicher sei. Die Anschnallpflicht wird ja auch nicht abgeschafft, nur weil Autofahren sicherer geworden ist. Stellen Sie sich vor, es platzt Ihnen ein Autoreifen - der platzt nun aber – in der Kurve." So verhalte sich das mit Risiken der Hoffmannkurve.
Das komplette Interview mit dem Cockpit-Sprecher Jörg Handwerg lesen Sie hier.
Annette Kögel, Alexander Fröhlich