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Neuanfang mit Mitte 30. Nach der Geburt ihrer Tochter gründete Patricia Taterra den ökologischen Babyladen „Hug & Grow“ in der Kirchstraße in Moabit.
© Mike Wolff

Elternsein in Berlin: Nach der Geburt in die Selbstständigkeit

Wer Kinder bekommt, stellt manchmal Grundsätzliches infrage. Für manche Eltern ist dies der Beginn für eine neue berufliche Zukunft.

Kinder verändern das Leben. Für viele mag sich dieser Satz wie eine Drohung anhören: schlaflose Nächte, durchgetaktete Tage und Gespräche über Möhrenbrei. Für manche bedeutet die Geburt aber auch, neue Möglichkeiten und Lebensweisen zu entdecken und etwas Neues zu beginnen.

So war es bei Patricia Taterra. Als ihre Tochter fünf Monate alt war, fiel ihr die Decke auf den Kopf. Auf einem Spaziergang mit dem Kinderwagen entdeckte sie einen leer stehenden Laden in der Kirchstraße in Moabit und wusste sofort: „Der ist es, hier werde ich ökologische Kindersachen verkaufen“. Noch bevor sie ein richtiges Konzept oder einen Businessplan hatte, unterschrieb sie den Mietvertrag für 160 Quadratmeter. Das mit „dem Ökologischen“ begleitet Patricia Taterra schon länger. Ihre Mutter hatte in den achtziger Jahren einen Bioladen im Saarland und nahm ihre Tochter mit auf Friedensdemos. Vor ihrer Schwangerschaft hatte sie in London an einem Konzept für einen ökologischen Modeladen gearbeitet. Dieses Wissen nutzte sie nun während ihrer Elternzeit, um Kindermode zu testen. „Bei uns gingen jeden Tag Pakete rein und raus, mein Mann nannte das mein privates Import-Export-Unternehmen.“ Mit Waren zu handeln hat ihr schon immer Spaß gemacht, weshalb sie Betriebswirtschaft studierte. Für den schwedischen Modekonzern Hennes & Mauritz kontrollierte sie später Textilfabriken in Indien.

Ihre Bankberaterin riet ihr von Moabit ab

Aber dass sie Geschäfte mit Kindermode, Windeln und Babytragen machen würde, darauf kam sie erst, als sie sich als junge Mutter in Foren über das Stillen und Tragen austauschte. „Das ist eine ganz bestimmte Art der Elternschaft, Mütter, die ihre Kinder nicht nur drei Wochen stillen und sie lange mit sich herumtragen“. Stoffwindeln und gute Tragen – die waren schwierig zu bekommen in Berlin, erst recht in Moabit. Ihre Bankberaterin riet ihr, sich lieber einen Laden in Prenzlauer Berg zu suchen. Aber Patricia Taterra blieb stur – der Laden musste da sein, wo sie lebte. Also legte sie los: Ihre Mutter zog nach Berlin und half ihr im Geschäft und mit den Kindern, 2013 bekam sie ihre zweite Tochter. Inzwischen gibt es Hug & Grow sieben Jahre – vor gut einem Jahr hat die 41-Jährige noch einen Laden dazugemietet, für Schuhe und für den Onlinehandel. Ihr Mann arbeitet inzwischen selbstständig, um mehr Zeit für die Kinder zu haben, die Familie ist beiden wichtig. Deshalb macht Taterra auch längst nicht mehr alles alleine, aktuell hat sie fünf Angestellte – alles Mütter. Das ist wichtig für eine gute Beratung aber auch eine Herausforderung: Im vergangenen Jahr gingen fünf von ihnen in Elternzeit. Langsam stößt der Laden an seine Grenzen. Gerade am Wochenende ist es oft so voll, dass sie kaum mit dem Beraten hinterherkommen. Der logische Schritt wäre jetzt mehr Läden zu eröffnen. Patricia Taterra seufzt, die Zeit mit der Familie ist ihr so wichtig, dass sie und ihr Mann sich bewusst dagegen entschieden haben: „Wir bleiben ein Familienbetrieb.“

„Wir wissen, wie es ist, wenn das Kind krank ist“

So etwas in der Art ist auch der Himbeer-Verlag. Hier arbeiten fast ausschließlich Mütter. Ihre gemeinsame Geschäftsidee kam Anja Ihlenfeld und Claudia Steigleder vor acht Jahren auf dem Spielplatz. „Lass uns ein Magazin für Leute mit Kindern in der Großstadt machen – solche wie wir“, erinnert sich Claudia Steigleder. So etwas gab es nicht in Berlin. Also haben sie sich vormittags getroffen und ein Magazin entwickelt. Und sich so ihren eigenen Arbeitsplatz geschaffen. An ihren alten wollte und konnte Steigleder als Grafikerin nicht zurück: „Mit Kind in einer Werbeagentur zu arbeiten – das wäre schon von den Arbeitszeiten unmöglich gewesen.“ Das erste Heft ließen sie 5000 Mal drucken, heute hat das Himbeer-Magazin eine Auflage von 20 000 Stück und die inzwischen drei Inhaberinnen haben vier Festangestellte, alles Mütter. „Wir wissen, wie es ist, wenn das Kind krank ist“, sagt Anja Ihlenfeld, die sich um die Redaktion kümmert.

Dabei geht es ihnen nicht darum, weniger zu arbeiten, sondern vor allem anders. Mit flexiblen Arbeitszeiten und ohne einen Chef im Nacken, der einem diktiert, wann man etwas zu tun hat. „Wir wollten unsere Kinder aus dem Kindergarten abholen“, so Steigleder. Auch wenn das Heft längst eine Institution ist, und fast in jedem Geschäft für Kindersachen ausliegt, hat es lange gedauert, bis es sich auch wirtschaftlich etabliert hatte. Die Themen sind mit ihren eigenen Kindern gewachsen – das jüngste von Anja Ihlenfeld ist jetzt sechs Jahre alt, die von Claudia Steigleder sind im Teenageralter. Das Himbeer-Magazin kommt ohne Erziehungstipps aus und richtet sich – auch wenn die Redaktion in Prenzlauer Berg liegt – nicht nur an Eltern aus diesem Bezirk. „Wir sind immer topinformiert, wir haben alles selbst gelesen und ausprobiert. Wir sind unsere eigene Zielgruppe“. Als solche wissen sie: Kinder haben ist schön aber auch anstrengend.

Gelassenheit und Achtsamkeit - etwas, das vielen Eltern fehlt

Zunehmend belastend fand auch Thorsten Geiger seine Lebenssituation. Als freiberuflicher Grafikdesigner musste er flexibel, schnell und jederzeit abrufbereit sein – verbunden mit einer immer unsicheren Auftragslage. Die Geburt seines Sohnes 2002 machte ihm die Entscheidung leichter. Er entdeckte einfach neue Bedürfnisse des Zusammenseins und das, was für ihn vorher so wichtig war, geriet aus dem Fokus. Für seine neue Rolle als Vater brauchte er Gelassenheit. „Die Pflanzen, die auf dem Weg zum Spielplatz wachsen, sind oft spannender als das Ziel.“ Dabei halfen ihm Kurse in Achtsamkeit, die er besuchte. Heute bringt er andern Eltern bei, wie man gelassener erziehen kann. Dabei geht es ihm vor allem um drei Dinge, spirituelles Interesse, Stressbewältigung und die Kommunikation mit Kindern. Eine neue berufliche Perspektive fand er ausgerechnet in der Kita seines Sohnes, dort ließ er sich berufsbegleitend zum Erzieher ausbilden. Seit 2007 arbeitet er nun in einem Kindergarten. Dass er in seinem früheren Leben in der Medienbranche arbeitete, merkt man ihm an: Er ist neugierig, probiert viel mit den Kindern aus, besucht Museen und Theater.

Seine eigenen Lebensumstände hat Thorsten Geiger wegen seines Kindes komplett verändert, aber er würde sich wünschen, dass es mehr Beschäftigungsverhältnisse gäbe, die es den Eltern erlauben, gelassener und entspannter zu sein. „Damit sie die schönen Momente überhaupt bemerken“. Genauso wie Patricia Taterra, Anja Ihlenfeld und Claudia Steigleder findet er, dass sich der Neuanfang gelohnt hat.

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