Eltern erzählen vom ersten Kind: „Ich habe plötzlich ein richtiges Zuhause“
Geschrei und Küsse, Glücksmomente und Depression - vier Berliner Eltern berichten von der aufregenden Anfangszeit zu dritt.
Das erste Kind verändert alles. Wir haben mit mehreren frischgebackenen Müttern und Vätern aus Berlin gesprochen, wie das Elternsein ihr Leben verändert hat. Was hat sie am meisten überrascht und auf welche Tipps hätten sie am besten verzichten können?
„Ich habe plötzlich ein richtiges Zuhause“
Was hat Sie früher an anderen Eltern genervt?
Wenn in meinem Bekanntenkreis jemand Mutter oder Vater geworden ist, hat sich bei denen plötzlich alles nur noch ums Thema Kind gedreht. Es gab kaum noch andere Gesprächsthemen. Was hat es gegessen? Wie hat es geschlafen? Welche Windeln? Lauter uninteressantes Zeug. Ich dachte dann immer, au weia, sind die aufs Kind fixiert und langweilig geworden.
Und wie haben Sie sich seit der Geburt Ihrer Tochter verändert?
Jetzt verstehe ich, wie wichtig alle diese Dinge plötzlich sind, weil sie ziemlich viel Platz in meinem Leben einnehmen. Geht es meiner Tochter gut? Schläft sie gut? Dann bekomme auch ich ein bisschen mehr von dem dringend notwendigen Schlaf. Wenn mein Kind schreit, ertappe ich mich dabei, wie ich alles versuche, dass es aufhört. Nicht nur des Kindes wegen. Schreiende Babys machen einen total fertig. Vor allem, wenn es die eigenen sind, man nicht einfach die Tür zumachen oder die Straßenseite wechseln kann.
Gibt es Dinge, die Sie grundsätzlich umstellen mussten?
Seit der Geburt hat sich unser Tagesablauf sehr verändert. Alles dauert dreimal so lange. Mal eben anziehen und beim Bäcker Brötchen holen geht nicht mehr. Es kann jetzt schon mal eine halbe Stunde dauern, bevor man überhaupt aus dem Haus kommt, weil tausend Dinge dazwischenkommen: Windeln wechseln , ein umgekipptes Glas, ein nasses Kind, das man schnell noch umziehen muss. Gleichzeitig lerne ich, effektiver mit meiner Zeit umzugehen, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen, um mir ein bisschen Zeit freizuschaufeln. Meine ganz persönlichen Momente wie Sport oder am Motorrad rumbasteln, Hobbys, Freunde oder Ausgehen, kommen total zu kurz. Ich war in den letzten 14 Monaten nicht mehr im Kino, obwohl ich da gerne hingehe.
Wofür lohnt sich das alles?
Ich habe plötzlich ein richtiges Zuhause bekommen. Das ist ein tolles Gefühl. Egal, wo ich bin und was ich grad tue, wenn ich zu meiner kleinen Familie komme, weiß ich, dass ich angekommen bin. Das ist mein kleiner Mikrokosmos, mein Mittelpunkt, der mir Kraft und Antrieb gibt und sehr viel Wärme. Das fühlt sich verdammt gut an.
Wie selbstverständlich ist es, in Ihrem Bekanntenkreis Kinder zu bekommen?
Mit Berlin als Stadt hat man es als Eltern recht gut getroffen. Der Lebensunterhalt ist günstig, und weil eh alle Kinder kriegen, gibt’s auch im Job jede Menge Verständnis und Akzeptanz. Ich möchte nicht wissen, wie das in Städten wie New York oder London ist, wo man zwei Gehälter alleine für die Miete braucht, und das in einer Gegend, in der man nicht möchte, dass Kinder dort aufwachsen? Ich habe auch Freunde, die keine Kinder haben wollen, weil ihnen das zu zeitintensiv und energieraubend ist. Sicherlich gibt es auch Menschen, die auf Nachwuchs verzichten, weil sie die zukünftige Entwicklung der Lebensqualität unseres Planeten eher pessimistisch betrachten. Ich jedenfalls möchte meiner Tochter helfen, ein wertvoller Mensch für unsere Erde zu sein.
Jochen M. (45) arbeitet freiberuflich als Fotograf. Er wohnt mit seiner Freundin und seiner 14 Monate alten Tochter Laila in Mitte. Früher fand er andere Eltern langweilig. Jetzt ertappt er sich selbst dabei, dass er kaum über etwas anderes spricht.
"Auf Schlafratgeber kann man verzichten"
Was waren hilfreiche Tipps vor der Geburt?
Meine Mutter hat schon immer gerne gesagt: Elternsein ist der einzige Beruf, für den es keine Ausbildung gibt. Da hilft nur learning by doing. So habe ich gelernt, mich auf mein Kind einzulassen und nicht zu viel auf Ratgeber oder Blogs zu geben. Gold wert war außerdem, dass ich mich rechtzeitig um eine Beleghebamme gekümmert habe, denn die sind in Berlin - wie Geburtsvorbereitungskurse - immer schon sehr früh ausgebucht.
Auf welche Ratschläge hätten Sie verzichten können?
Auf alle Ratgeber zum Thema Schlaf! Da muss man durch. Mal schläft man mehr, mal weniger. Daran herumdoktern funktioniert nicht, sondern frustriert nur. Übrigens: Und, schläft es denn schon durch? oder dergleichen sind nicht nur lästige, sondern auch langweilige Fragen.
Was hat nicht so gut funktioniert?
Ich hatte für die ersten sieben Monate nach der Geburt eine postnatale Depression, die mich mit Panikattacken, Schlaflosigkeit und Selbstzweifeln nahezu ans Haus gefesselt und handlungsunfähig gemacht hat. Davor hatte mich niemand gewarnt oder im Vorfeld über das Risiko aufgeklärt. Zum Glück hat meine Hebamme dies sehr früh und feinfühlig erkannt. Gemeinsam mit meiner Gynäkologin haben wir herausgefunden, was zu tun ist, wie mir zu helfen ist. Bei der kleinteiligen medizinischen Versorgung in der Schwangerschaft finde ich es im Nachhinein erstaunlich, dass diese ernstzunehmende Krankheit selten bis nie angesprochen wird. Meines Wissens nach gibt es keine routinemäßigen Screenings für Depressionen oder andere psychische Belastungen bei werdenden Müttern. Dabei sind Postnatale Depressionen keineswegs selten. Dabei könnte auch hier Vorsorge vieles abfedern. Auf der Internetseite www.schatten-und-licht.de fand ich hilfreiche Informationen.
Welche schönen Orte hast du als Mutter entdeckt?
Die Weberwiese bei uns in Friedrichshain. An heißen Sommertagen spenden Bäume Schatten und ein recht großes, flaches Becken mit hoch sprudelnder Fontaine kühlt die Luft und lädt zum Planschen ein. Von März bis Oktober baut dort außerdem jeden Donnerstagnachmittag der Verein Spielwagen seine selbst entworfenen und -gebauten Spielgeräte auf.
Jenny Westphal (34) wohnt mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn Kiran (10 Monate) in einer Wohnung in Friedrichshain. Sie hat einen Bachelor in Geschichte und Islamwissenschaften und genießt derzeit ihre Elternzeit.
"Im zweiten Jahr wurde es leichter"
Ihr Sohn ist zwei Jahre alt. Welches Jahr war schwieriger, das erste oder zweite?
Das erste Jahr. Zunächst weil wir uns in der Elternrolle erst zurechtfinden mussten und wir privat noch sehr in einem Caféprojekt eingespannt waren. Außerdem mussten wir noch viel mehr erraten, welche Bedürfnisse unser Sohn gerade gestillt haben wollte. Im zweiten Lebensjahr konnte unser Sohn schon viel mehr kommunizieren. So war es leichter.
Was waren die glücklichsten Momente?
Die Geburt, das erste Lächeln, ebenso das erste Kennenlernen von Enkel und Großeltern. Und die glücklichen Momente füllen sich immer weiter auf, zum Beispiel an ganz normalen Spielenachmittagen zu dritt. Oder wenn mein Sohn uns von ganz alleine mit einem Küsschen beschenkt.
In Berlin gibt es den Trend zum Einzelkind. Fiel Ihnen die Entscheidung für ein zweites Kind leicht?
Die Entscheidung fiel uns nicht so leicht. Das lag zum einen am Alter meines Mannes und zum anderen an der Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Da ich in Teilzeit gearbeitet habe, wird das Elterngeld deutlich geringer ausfallen. Tatsächlich haben wir uns die Frage gestellt, was wir unseren Kindern später finanziell ermöglichen können.
Woran könnte es liegen, dass viele Eltern sich dagegen entscheiden?
Ich denke, das viele Familien bereits im Alltag mit einem Kind merken, wie schwierig es sein kann, Familie und Beruf zu kombinieren. Die Krankheitstage, die fehlende Möglichkeit länger auf Arbeit zu bleiben ebenso wie die finanziellen Einschnitte. Oft kann ein Elternteil nur in Teilzeit arbeiten. Ich persönlich arbeite im Schichtsystem, da fiel es mir besonders schwer, meinen Sohn auch einmal einen Tag oder länger nicht zu sehen. Für uns stellt sich jetzt auch die Frage, wie lange die kommende Elternzeit finanziell möglich ist.
Was könnte sich in Deutschland ändern, damit mehr Leute sich für Kinder entscheiden?
Berufstätige Eltern sollten nicht als Nachteil für die Wirtschaftlichkeit eines Betriebes angesehen werden. Familienfreundliche Arbeitszeiten sind, wie in meinem Fall durch den Schichtdienst, auch nicht immer möglich. Ich fände es gut, wenn die Großeltern oder andere nahestehende Personen die Möglichkeit hätten bei Bedarf einzuspringen und dies mit ihrem Betrieb klären könnten. Außerdem hätte ich gerne in der Elternzeit geringfügig gearbeitet, da dies allerdings auf das Elterngeld angerechnet wird, habe ich mich dagegen entschieden. Und die Eingewöhnungszeit im Kindergarten erst einen Monat vor dem erneuten Berufseinstieg habe ich gerade im Winter durch Krankheiten als sehr knapp erlebt. Schlussendlich spielen natürlich finanzielle Überlegungen eine Rolle. Denn auch wenn das Kind im Kindergarten theoretisch bis zum frühen Abend betreut werden kann, wo bleibt dann die Familienzeit?
Corinna M. (32) wohnt mit ihrem Mann und ihrem zweijährigen Sohn in Lichtenrade. Nach fast einjähriger Elternzeit arbeitet sie in Teilzeit als Sprachtherapeutin. Jetzt ist sie wieder schwanger und erwartet in Kürze ihr zweites Kind.
"Wenn sich beide bemühen, klappt es schon"
Was ist ein guter Tag für Sie und Ihren Sohn?
Wenn wir als Familie einen Tag verbringen, einen Ausflug machen, zum Beispiel in den Britzer Garten.
Und was bringt Sie zum Verzweifeln?
Wenn wir gerade auf dem Spielplatz sind und nach Hause fahren wollen, weil es dunkel wird. Anton aber lieber noch spielen möchte, dann lässt er sich immer wieder etwas Neues einfallen, um zu Ende zu spielen. Wenn wir ihn dann mitnehmen, fängt er an zu weinen und ist wütend oder läuft zurück.
Es gibt das Vorurteil, dass Kinder die Beziehung der Eltern kaputtmachen. Ist da etwas Wahres dran?
Ja, die romantischen Abende sind weniger geworden. Es ist wichtig, dass man das Kind auch mal zu den Verwandten oder Freunden gibt, um einen gemeinsamen schönen Abend zu verbringen.
Treffen Sie noch Freunde, die keine Kinder haben?
Natürlich. Man ist nicht mehr so spontan wie früher, dennoch bekommt man es hin. Wir haben einen Familienkalender, dort trägt jeder seine Verabredungen oder Termine ein. Natürlich müssen wir uns immer sehr genau absprechen und organisieren. Das ist nicht mehr so einfach wie früher ohne Kind, wenn aber beide sich bemühen, kriegt man das schon hin.
Können Sie sich ein zweites Kind vorstellen?
Wir möchten auf jeden Fall ein zweites Kind. Ich finde es ist leichter, wenn Geschwister gemeinsam aufwachsen, gemeinsam spielen und voneinander lernen. Die Wohnung ist groß genug, aber wir möchten irgendwann gern ein eigenes Haus haben.
Michael F. (30) wohnt mit seiner Frau und seinem zweijährigen Sohn in Tempelhof. Er arbeitet als Elektrotechniker. An den Gedanken, dass er noch viel Zeit auf Spielplätzen verbringen wird, hat er sich schnell gewöhnt.
Die Interviews führte Saara von Alten.