JVA Tegel: Nach 43 Jahren in die Freiheit entlassen
Am 10. Januar 1971 kam Werner B. in Haft. Heute wird der 66-Jährige aus der JVA Tegel entlassen. Nur einer sitzt noch länger als er – und will gar nicht raus.
Nach 43 Jahren, acht Monaten und 19 Tagen öffnen sich am heutigen Montag für Werner B. (Name geändert) die Pforten der Justizvollzugsanstalt Tegel. Am 10. Januar 1971 hatten sie sich hinter dem damals 22-Jährigen geschlossen. Nun ist Werner B. 66 Jahre alt und frei. Verurteilt wurde der Mann in Kiel wegen Mordes und schweren Raubes zu lebenslanger Haft. Zudem stellte das Gericht die „besondere Schwere der Schuld“ fest. Die Tat soll in Eckernförde geschehen sein, in Zeitungsarchiven findet sich nichts darüber. Am 2. Oktober 1991 ließ sich B. aus Schleswig-Holstein nach Berlin nach Tegel verlegen. Keine Besonderheit, Haftplätze können sogar getauscht werden. Ungewöhnlich ist nur die lange Haftzeit.
„Lebenslang“ bedeutet in Deutschland meist 17 bis 20 Jahre Haft, eine ältere Studie des Bundesjustizministeriums ermittelte einmal 19,9 Jahre als Durchschnitt. Bei besonderer Schwere der Schuld verlängert sich die Mindesthaftdauer auf 23 bis 25 Jahre. Zahlen für Berlin gibt es nicht. Nun saß B. deutlich länger, wieso? „Die Prognose war lange sehr düster“, heißt es bei der Justiz, Details nennt sie nicht. Nun bekommt B. eine Chance in der Freiheit. Und wird eine veränderte Welt vorfinden. 1971 fuhren in Deutschland noch Dampflokomotiven, Telefone waren grau und hatten Schnüre, das Internet war noch eine Zukunftsutopie. Nach der Entlassung bekommt B. Unterstützung durch Bewährungshelfer.
So lang seine Haftzeit auch war, einen gibt es noch, der Werner B. übertrifft. Peter J. sitzt seit dem 19. Februar 1969 in Tegel, ununterbrochen. Er ist der am längsten inhaftierte Berliner. Beim heute 79-Jährigen sind es nun 45 Jahre. Bei J. ist die Lage anders. Er könnte raus – aber er will nicht. Der Rest einer lebenslänglichen Strafe kann nur zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn der Verurteilte einwilligt. Und J. willigt nicht ein und wird vermutlich in Tegel sterben.
„Die haben uns schon vergessen“
So war es auch bei Adolf Elgert, über den der Tagesspiegel einige Male berichtet hat. Auch er war zu lebenslanger Haft verurteilt worden, 2011 war er nach 39 Jahren hinter Gittern gestorben. Stimme ein Gefangener der Entlassung nicht zu, müsse man von einer ungünstigen Sozialprognose ausgehen. „Und dann bleibt der drin“, kommentierte eine Justizsprecherin den Fall Elgert damals. Derartige Fälle seien sehr selten, da die Regelung nur bei lebenslang gelte. Im Jahr 2010 hatte der Grünen-Abgeordneten Dirk Behrendt die Justizverwaltung nach „Überlanger Strafhaft in Berlin“ gefragt. Die Antwort war peinlich falsch, niemand sitze länger als 35 Jahre, teilte die Justiz mit. „Die haben uns schon vergessen“, spotteten die fünf Männer, die damals um die 40 Jahre einsaßen. Wochen später korrigierte die Justiz ihre Angaben. Die Knastzeitung „Lichtblick“ druckte eine Karikatur: „Die Todgeweihten grüßen euch.“
Die lange Inhaftierung ist ein Aspekt, das hohe Alter vieler Gefangener ein anderer. Heinz B. ist 81 Jahre alt, dann folgt Peter J. mit fast 80. „Altersschwache gehören ins Heim, nicht in den Knast“, hat Dirk Behrendt mal im Rechtsausschuss gesagt. Der Abgeordnete kümmert sich seit Jahren um die Gefangenen. Man müsse überlegen, ob ein Maximalalter sinnvoll sei, sagt Behrendt. Doch weder Alter noch Krankheit sind ein Grund für eine Entlassung. Justizexperten entgegnen, dass Männer auch in hohem Alter noch straffällig werden können. So ist der Knastälteste Heinz B. im Jahr 2009 – im Alter von 75 Jahren – zu sieben Jahren und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Es war das siebte Urteil wegen sexuellen Missbrauchs von Jungen. B. sei für die Allgemeinheit gefährlich, befanden die Richter.
Auch der bekannte Busentführer Dieter Wurm ist 2003 zu Sicherungsverwahrung verurteilt worden – doch Wurm hat gute Chancen, diese nach Ende der Strafhaft im April 2016 nicht antreten zu müssen. Vor einigen Tagen beschloss die Vollzugsplankonferenz ihm Ausgang zu gewähren. Bewährt er sich, könnte ihm die Haft nach der Haft erspart bleiben. Der heute herzkranke 58-Jährige hat bereits 28 Jahre hinter Gittern verbracht.
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