Tim Renner stieß Diskussion in Berlin an: Müssen Karten für Oper und Theater so günstig sein?
Kulturstaatssekretär Tim Renner wundert sich über die Ticketpreise an subventionierten Bühnen. Das lässt er sich nun mal ganz genau erklären. Und schon gibt es Kritik.
Natürlich war er am Sonnabend unter den Premierengästen von Barrie Koskys Neuinszenierung der Offenbach-Operette „Die schöne Helena“ an der Komischen Oper, ebenso wie er sich am Abend zuvor bei der Saisoneröffnung im Konzerthaus am Gendarmenmarkt unters Publikum gemischt hatte. Tim Renner nimmt sein Amt als Berliner Kulturstaatssekretär ernst, er setzt sich aktiv auch mit jenen Genres auseinander, die ihm von seiner Sozialisation sowie aus seinen früheren Jobs in der Pop-Industrie eher fernliegen. Der 49-jährige Politik-Quereinsteiger will verstehen, wie die Hochkulturleute ticken – und ihnen dann die richtigen Fragen stellen.
Zum Beispiel, warum die Preise für die hauptstädtischen Bühnen und Orchester im Vergleich zu anderen Metropolen wie Hamburg, Frankfurt oder München so niedrig sind. Müsste er seine Tickets selber kaufen, so wären für die Premiere an der Komischen Oper zwischen 20 und 85 Euro fällig gewesen, für den Auftritt des Konzerthausorchesters zwischen 28 und 60 Euro. In Frankfurt schießen die Preise bei Musiktheaterpremieren bis zu 165 Euro in die Höhe, am Münchner Nationaltheater bis 243 Euro.
Müssen wir so billig sein?, hat Tim Renner in dieser Woche seine Verwaltung gefragt und am Sonntag in der „FAZ“ nachgelegt: „Ich bin überrascht, wie günstig manches ist.“ Schließlich wachse doch die hiesige Wirtschaft seit 2002 ununterbrochen. Und schließlich bevölkern ja nicht nur prekär lebende Berliner Bildungsbürger das Parkett und die Ränge, sondern eben auch jede Menge Touristen. Elf Millionen Gäste von außerhalb kommen pro Jahr in die Stadt, und für viele von ihnen ist die blühende Kulturlandschaft ein auslösendes Argument für die Wahl des Reiseziels.
Vergünstigungen für sozial Schwache bleiben
Laut einer Studie, die die Tourismus- und Kongressgesellschaft „Visit Berlin“ in Auftrag gegeben hat, nennt der Durchschnittstourist als Grund für den Berlinaufenthalt an oberster Stelle den Besuch von Sehenswürdigkeiten (81 Prozent), die interessante Geschichte Berlins (79 Prozent), Atmosphäre und Flair der Stadt (76 Prozent) sowie das Kunst- und Kulturangebot (74 Prozent). Für die von fern Zugereisten ist Berlin erst recht ein Paradies: In Ländern wie Großbritannien oder den USA, wo kaum Staatsgelder für die Kultur fließen, ist das Preisniveau noch viel höher als in München.
Günter Kolodziej, der Sprecher der Senatskulturverwaltung, sagte am Sonntag dem Tagesspiegel, sein Haus habe auf Tim Renners Vorschlag hin gerade erst angefangen, Zahlen zu sammeln. Eine solide Datenbasis soll dabei erarbeitet werden, die es ermöglicht, das Berliner Preisgefüge objektiv mit dem anderer Städte vergleichen zu können. Das allerdings werde einige Zeit in Anspruch nehmen.
Bei der vom Kulturstaatssekretär aufgeworfenen Frage, betont Kolodziej, gehe es vor allem um die oberen Preissegmente. „Die bestehenden Vergünstigungen für sozial Schwache stehen nicht zur Disposition. Denn wir wollen weiterhin allen Bevölkerungsschichten den Zugang ermöglichen.“
Was ist die Kultur wert?
Wenn die vergleichende Analyse dann vorliege, werde Tim Renner die Ergebnisse mit den Beteiligten sowohl aus dem politischen Raum wie auch in den Häusern besprechen, so Kolodziej. „Geplant ist eine Art Workshop.“ Zudem sei die Analyse auch nur als „Orientierungshilfe“ für die Geschäftsführer der Staatstheater und Sinfonieorchester gedacht. Diese müssten anschließend entscheiden, welche Ticketpreise sie künftig für vertretbar halten. „Wir werden seitens des Senats nicht in die Preisgestaltung eingreifen.“
Sabine Bangert, die kulturpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, hält Renners Vorstoß für wenig zielführend: „Dieser Ansatz ist einerseits populistisch und andererseits deutlich zu kurz gesprungen“, erklärte sie am Sonntag auf Anfrage. „Statt sich auf die Preise zu fokussieren, sollte die Politik vielmehr über die Aufgaben der Häuser diskutieren.“ Genau darum aber drücke sich der Senat seit Jahren, so Bangert: „Was wir viel dringender brauchen, ist ein langfristiger Kulturentwicklungsplan mit nachvollziehbaren Förderkriterien. Der die wichtigen Fragen beantwortet, die da heißen: Wohin wollen wir denn in Zukunft? Was ist die Kultur uns wert?“
15 Prozent des Berliner Bruttosozialprodukts erwirtschaften derzeit die Kultur, die Kreativindustrie sowie die davon profitierenden Bereiche des Tourismus. Das ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. So betrachtet sind Subventionen immer auch Investitionen in die Zukunft. Darum stellt Renner die Renditefrage: Lässt sich über die Spitzeneintrittspreise pro investiertem Kultur-Euro für Berlin nicht noch mehr herausholen?
Auf eine Diskussion, ob den Künstlern in Berlin angemessene oder zu hohe Gagen bezahlt würden, will sich Tim Renner übrigens nicht einlassen. Wenn es darum geht, die begehrten Weltklassestars zu bekommen, gelten für die Intendanten die Regeln des globalen Markts.
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