Nach dem Diebstahl der Goldmünze: Museumsdirektor: "Wir haben noch viel wertvollere Kunst"
Der Chef des Berliner Münzkabinetts Bernhard Weisser spricht über die Sicherheit im Bodemuseum, einen vergleichbaren Diebstahl vor 300 Jahren und über Münzen als erste Massenmedien.
Herr Weisser, haben Sie am Tag nach dem Einbruch mehr Neugierige, die die Stätte des Verbrechens besichtigen wollen?
Bisher nicht. Ein paar Besucher sind sicher wegen der Berichterstattung gekommen. Wir freuen uns über jeden, der das Haus auf diese Weise kennenlernt, auch wenn der Anlass denkbar traurig ist.
Ist das Museum wieder zugänglich?
Ja. Im Prinzip sind wir sehr gut gesichert mit drei Sicherungssystemen, die ineinander greifen: erstens die baulich-technische Sicherung mit Außenhautsicherung und Panzerglasvitrinen, zweitens die Alarmsicherung durch Alarmsysteme und Kameras und drittens die Sicherung durch Personen. Wir sind dankbar, dass beim Diebstahl niemand verletzt wurde.
Welche Konsequenzen ziehen Sie: Wollen Sie weniger zeigen zur Sicherheit?
Bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gibt es eine Abteilung, die sich Sicherheitsfragen widmet und genau schaut, wie die aktuellen Entwicklungen sind. Nicht nur die Aufsichten sind erschüttert, auch für uns als wissenschaftliche Mitarbeiter ist das so etwas wie die größte Katastrophe, die passieren kann. Die Bezeichnung Kustos als wissenschaftliche Mitarbeiter kommt von dem lateinischen Wort Wärter und Wächter. Unsere Kernaufgabe besteht darin, Objekte, die uns vor Hunderten von Jahren als Einrichtung anvertraut wurden, nächsten Generationen unbeschadet weiterzugeben. Wir versuchen den Spagat, den Besuchern die Objekte möglichst nahe zu bringen und gleichzeitig zu verhindern, dass sie gestohlen werden.
Vor diesem Dilemma steht jedes Museum.
Vor dem Dilemma stehen Sie selbst, wenn Sie ihre Wohnung schützen. Sie möchten einerseits durch die Tür gehen und Fenster öffnen können. Andererseits wollen Sie nicht, dass ungebetene Gäste durch diese Öffnungen eindringen. Man kann immer weiter aufrüsten. Und wir werden das sicherlich tun, wollen aber trotzdem ein offenes Haus bleiben.
Nach einem Einbruch zuhause schläft man nicht mehr gut. Haben Sie nun lauter Angriffspunkte im Münzkabinett vor Ihrem geistigen Auge? Oder bleiben Sie kühl?
Das ist sowieso zu unserer zweiten Natur geworden: uns darüber klar zu werden, dass unsere Objekte besonders begehrt sind. Im Bodemuseum gibt es noch viel wertvollere, interessantere Kunstgegenstände in der Skulpturensammlung: einen Donatello oder einen Riemenschneider. Aber Münzen und Medaillen, überhaupt das Gold üben eine besondere Faszination auf Menschen aus aufgrund des materiellen Wertes. Die Kunst wird häufig nicht wegen ihres materiellen Wertes hoch angesehen. Bei Münzen und Medaillen ist das anders, da sie Gegenstand eines kulturellen Gebrauches sind. Sie stehen uns nahe, selbst Münzen, die im 7. Jahrhundert geprägt wurden, weil wir heute mit Euro-Münzen genauso wie damals bezahlen. Im 7. Jahrhundert wurden die gleichen Handelsgeschäfte gemacht.
Wieso übernimmt das Land Berlin eigentlich die Verwahrkosten für die Goldhaufen von auswärtigen Spekulanten? Selbst Dagobert Duck muss seinen Geldspeicher ja selber bezahlen und kriegt ihn nicht von Entenhausen gesponsert.
schreibt NutzerIn geruempelsynchronisierer
Die Problematik der Münze besteht auch in der Zugreifbarkeit. Trotz der Kleinheit besitzt sie großen Wert. Das lockt Diebe.
Wir achten von vorneherein darauf, dass die kleinen Objekte besonders gut geschützt sind. Gerade bei der „Big Maple Leaf“ dachten wir – wenn etwas wegkommt, dann wird es diese Münze als allerletzte sein. Das war ein großer Irrtum.
Diebstähle gehören seit jeher zur Numismatik. Gab es in Berlin noch andere?
Der letzte spektakuläre und überhaupt einzig vergleichbare Münzdiebstahl in den Museen Berlins liegt fast 300 Jahre zurück. 1718 hatte sich der Hofkastellan Valentin Runck mit dem Hofkleinschmied Daniel Steif zusammengetan und die Sammlung im Schloss von Friedrich Wilhelm I. und auch seinen Schlagschatz in großem Umfang beraubt. Einer meiner Vorvorgänger ist den beiden durch eine Münze, die sie im Handel angeboten hatten, auf die Schliche gekommen. Die beiden wurden öffentlich gevierteilt.
Die Aussicht, dass sie Ihre Münze wiederbekommen, ist gering, da die Diebe eher am Materialwert interessiert sein dürften. Ärgert Sie es eigentlich, dass Münzen auf ihren Wert reduziert werden und die Kulturwissenschaft zu kurz kommt?
Wir bedauern, dass bei Ausstellungen die Frage nach den Versicherungswerten fast immer als erstes gestellt wird und das Inhaltliche erst danach kommt. Zugleich sind bei Münzen Fragen nach dem Wert ganz natürlich: wie viel das Objekt wert ist, wie viel wert es zum Zeitpunkt der Herstellung war, was man dafür damals bekommen hat. Münzen sind nicht nur Zahlungsmittel, sondern auch Träger von Text- und Bildbotschaften und so etwas wie das erste Massenmedium sowohl in der Antike als auch im Mittelalter. Vor dem Buchdruck kenne ich keine anderen seriellen Objekte, die ähnlich klar in ihrer abgekürzten Bild- und Textbotschaft waren. Als Massenprodukte besteht bei ihnen im Gegensatz zur Skulptur eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sich wenigstens ein Exemplar erhalten hat von den vielen tausend Münzen, die aus einem Stempel geprägt wurden.
Was halten Sie vom Diebstahl als Ausstellungsthema? Das könnte für Sie eine Aufarbeitung dieses Problemfalls sein und ein Thema, das viele Menschen interessiert.
Das stimmt. Schaut man sich Münzen und Medaillen als Objekte mit eigenen Geschichten an, dann stellt sich neben der Frage nach der Herstellung, des ersten Umlaufes, der Verbergung, der Tresorierung und der Auffindung des Schatzes auch die nach dem Diebstahl. Es gibt eine Fülle von Geschichten: dass Münzen gestohlen wurden, dass Blut an ihnen klebt, weil Menschen um ihrer Willen ermordet wurden. Auch das gehört zu ihrer Geschichte dazu.
Bernhard Weisser, 52, ist Direktor des Münzkabinetts bei den Staatlichen Museen Berlin. Der Numismatiker trägt den Ehrenpreis der Gesellschaft für Internationale Geldgeschichte.