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Demonstration gegen Israels Militäreinsatz am Dienstag in Berlin: Mit roter Farbe bemalte Kinder und Puppen sollen die getöteten Kinder im aktuellen Konflikt symbolisieren.
© dpa

Berlin: Reaktionen auf Antisemitismus: "Mit unserem Islamverständnis unvereinbar“

Nicht nur Berliner Juden sind schockiert über die antisemitischen Ausfälle auf Demonstrationen. Auch Muslime und Palästinensergruppen distanzieren sich.

Die Haltung des Zentralrats der Muslime in Deutschland, „allen antisemitischen und antimuslimischen Befangenheiten und Stereotypen mit Nachdruck und Entschiedenheit entgegen zu treten“, nehmen auch muslimische und palästinensische Vertreter in Berlin ein. So sagt beispielsweise Safter Çinar, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland: „Es ist ein demokratisches Recht, Israel zu kritisieren, aber diese Äußerungen sind nicht zu tolerieren.“ Der Aufruf zur Tötung von Juden in einer Neuköllner Moschee dürfe nicht hingenommen werden: „In einem Gotteshaus ist das noch schlimmer“, sagt er und empfiehlt, gegen das israelische Vorgehen in Gaza „friedlich und im Rahmen der Gesetze“ zu protestieren.

Auch Süleyman Kütük, stellvertretender Vorsitzender der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) in Berlin, sagt, solche Äußerungen seien mit dem Islamverständnis seines Verbandes „unvereinbar“. Sheikh Eşref Efendi vom Sufizentrum Rabbaniyya Berlin rief in einer Erklärung dazu auf, alle Menschen ungeachtet ihrer Nationalität oder Religion als Mitglieder der gleichen Familie zu betrachten. „In jeder Familie kann es zu Unstimmigkeiten und Streitigkeiten unter den Familienangehörigen kommen, da jedes Mitglied der Familie seine ihm eigene Meinung, seinen Lebensraum und Freiheitsanspruch hat.“ In einem solchen Fall sei es Aufgabe des Familienoberhauptes, also der Regierungen und der religiösen Anführer, „zwischen die Fronten zu gehen und für Ruhe und Frieden zu sorgen, indem er jedem sein Recht gibt und seinen Platz zeigt.“

Ereignisse in Berlin von denen in Gaza nicht zu trennen

Eine palästinensische Aktivistin aus Berlin stellt klar: „Uns geht es darum, gleiche Rechte für alle zu erreichen.“ Damit seien Beleidigungen gegen Juden ebenso unentschuldbar wie alle anderen diskriminierenden Äußerungen. Aber abgesehen davon, dass nicht klar sei, ob überhaupt Palästinenser die Beleidigungen riefen, sagt sie: „Wenn die deutsche Politik will, dass solche Äußerungen unterbleiben, muss sie die Sorgen der Menschen ansprechen.“ Schließlich empfänden die Protestierenden die Nachrichten aus Gaza als Fortsetzung von „systematischen Ungerechtigkeiten, die einfach nicht zur Sprache kommen“. Die lokalen Ereignisse in Berlin seien nicht von den internationalen in Gaza zu trennen.

Nabil Rachid, Vorsitzender der palästinensischen Gesellschaft für Menschenrechte, betont, der Protest seiner Gruppe richte sich „gegen Israel und den Zionismus, aber Beleidigungen gegen Juden sind nicht vertretbar“. Unter Zionismus versteht er die israelische Vertreibungs- und Expansionspolitik. Doch wer Juden beleidige, habe nicht verstanden, dass sich viele Juden mit den Palästinensern solidarisierten. Allerdings würden anti-israelische Demonstrationen häufig von anderen Gruppen wie beispielsweise Neonazis unterwandert; dagegen seien die Palästinenser machtlos.

Juden in Berlin: „Die Spannung ist zu spüren“

Albert Meyer ist immer noch fassungslos: „Ich werde als Judenschwein beschimpft, in meiner Heimatstadt! Das ist ein Schlag ins Gesicht.“ Natürlich sei auch ihm bewusst, was in Gaza passiert, sagt der Berliner Rechtsanwalt, dessen Eltern das Dritte Reich in der Illegalität überlebten. Aber die überwiegend von Arabern gerufenen Schmähparolen richteten sich nicht gegen Israel, sondern Juden allgemein würden als Kindermörder beschimpft. „Das hat eine neue Dimension bekommen.“

Gesicht zeigen: Auch Israelis und Sympathisanten demonstrieren in Berlin – so wie in der vergangenen Woche, als sie von Schöneberg nach Charlottenburg zogen.
Gesicht zeigen: Auch Israelis und Sympathisanten demonstrieren in Berlin – so wie in der vergangenen Woche, als sie von Schöneberg nach Charlottenburg zogen.
© imago/Future Image

Das sieht auch Lala Süsskind so, Vorsitzende des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus. „Ich habe noch nie schwarz gesehen, aber in letzter Zeit hat sich die Situation wirklich verschärft.“ Wie viele andere Juden in Berlin sieht auch sie jetzt die Politik am Zug. Die schlimmsten Äußerungen müssten verboten werden.

Wo bleibt der „Aufstand der Anständigen“?

Völlig unverständlich ist für Levi Salomon, dass die Bezeichnung „feiges Judenschwein“ keine Volksverhetzung darstellen soll. Der 55-Jährige dokumentiert schon seit zehn Jahren anti-israelische Kundgebungen in Berlin, und mittlerweile ist auch für ihn das Maß voll. „Der Hass, die Aggressivität und Gewaltbereitschaft in den Augen mancher Menschen bei diesen Demonstrationen sind neu.“ Er vermisst einen „Aufstand der Anständigen“ – schließlich sei das Problem auch für Deutschland „kreuzgefährlich“.

Eine Studentin aus Tel Aviv, die seit mehr als einem Jahr in Berlin lebt, berichtet, sie habe ohnehin schon kaum mit Deutschen sprechen können, ohne dass der Konflikt zur Sprache kam. „Aber in den letzten Tagen ist die Spannung förmlich zu spüren. Wenn ich erzähle, dass ich Israelin bin, wissen die Menschen nicht mehr, was sie sagen sollen.“ Einige Berliner Freunde, die sich für Palästina engagieren, habe sie seit Beginn des Gaza-Krieges nicht mehr getroffen. „Wir wissen, dass wir uns sonst nur streiten werden.“

Albert Meyer sieht den „Samen des Antisemitismus“ erneut aufblühen. Zwar begrüßt er, dass sich die CDU zu Wort gemeldet hat, doch der 67-Jährige fordert den ganzen Senat zum Handeln auf: „Dies ist meine Heimat, meine Familie lebt seit mehreren hundert Jahren in Berlin. Und hier werde ich beleidigt!“

Bodo Straub

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