Bundestagsabgeordnete aus Marzahn-Hellersdorf: Mit Petra Pau zwischen Platte und Fuchsbau
Seit 1998 sitzt die Linkenpolitikerin Petra Pau für Marzahn-Hellersdorf im Bundestag. Ein Spaziergang durch ihren kontrastreichen Bezirk.
Nur wenige hundert Meter, dann hat die Politikerin Petra Pau das erste Klischee über ihren Heimatbezirk entkräftet. Marzahn-Hellersdorf – nur Platte, Beton, Asphalt und Tristesse? Das Wuhletal mit seinen Bäumen, Sträuchern, dem Wasser, dem Schilf das immer noch Spätherbstfarben trägt, es atmet Frische und Stille. Das hier ist kein Park, schon gar keine Grünanlage, das ist Natur in der Großstadt – auch wenn man nach weiteren vielen hundert Metern die Hochhäuser von Hellersdorf sieht und eine zu ihnen führende großkalibrige Fernwärmeleitung.
Das hier ist nicht Land, sondern Großstadt – und gerade deshalb findet Petra Pau das Wuhletal „richtig schön“. Der sich hindurchschlängelnde Weg sei an Sonntagen ohne Termin ihre „bevorzugte Walkingstrecke“, sagt Pau. Manchmal sehe sie dabei Rehe, Reiher, Füchse. Bis nach Köpenick geht sie, „wenn’s richtig gut läuft“ – 13 Kilometer hin, 13 zurück, „Naherholung, wie man sie sich vorstellt“, sagt sie und weicht einem Jogger aus.
Sie kennt hier viele - und wurde mehrfach angefeindet
Petra Pau, direkt gewählte Bundestagsabgeordnete der Linkspartei und stellvertretende Bundestagspräsidentin, wohnt nicht bloß in Marzahn-Hellersdorf, weil dort ihr Wahlkreis liegt und sie inzwischen so bekannt dort ist, dass sie beim Spaziergang durch den Bezirk alle paar Meter jemanden grüßt. Petra Pau ist bekennende Bewohnerin dieses kantigen Bezirks an der Berliner Ostgrenze, der auf Westmenschen stets wirkt wie der Baunorm gewordene Sozialismus mit implantierten Großeinkaufsmärkten für Lebensmittel, Möbel, Elektronik. Die Frage, was sie besonders schätze an Marzahn-Hellersdorf, irritiert sie kurz. Dann sagt sie: „Die Menschen – so, wie sie einem begegnen. Ich bin hier zuhause.“ Sie erlebte hier aber auch Schlimmes: Wurde bedroht, etwa für ihren Einsatz für eine Flüchtlingsunterkunft im Bezirk. Zwei Jahre ist es her, da skandierte ein Mob vor ihrem Wohnsitz rassistische Parolen.
Geboren ist Petra Pau 1963 in Lichtenberg, aufgewachsen in der Gegend um den Nöldnerplatz. Ihre Ausbildung zur Lehrerin machte sie zu DDR-Zeiten in Sachsen-Anhalt. Dann zurück nach Berlin, Prenzlauer Berg, eine Kohleheizungswohnung, wenig später eine Neubauwohnung in Hellersdorf. Die Mauer fiel und Pau fragte sich, ob sie „hineinverwaltet“ werden wolle in diese gemeinsame Bundesrepublik oder ob sie sich engagieren wolle. So wurde sie Stadtverordnete der damals noch PDS heißenden Linken. Im „Ausschuss für Straßenumbenennung“ habe sie gemeinsam mit einem CDU-Stadtverordneten verhindern können, dass alle Straßen in Hellersdorf zum Beispiel einfach nummeriert wurden, um nie wieder Umbenennungsprobleme zu haben. Die Straßen wurden dann nach Menschen benannt, die von den Nazis verfolgt worden waren und an die nun endlich erinnert werden sollte.
"Petra Pau und ausgerechnet ein Bibel-Wort"
In der damals heftig umstrittenen PDS ging es für Petra Pau schnell in Richtung mehr Engagement: bald war sie Landesvorsitzende, dann auch Berliner Abgeordnete, 1998 gewann sie ihr erstes Bundestagsmandat, das sie seit 2002 als Direktkandidatin immer wieder holte, immer in Marzahn-Hellersdorf. Mag sein, dass früher die Gleichung galt: DDR-Plattenbauten ist gleich Ressentiment gegen die Bundesrepublik ist gleich Sympathien für die PDS. Petra Pau ist – man kann es kaum anders formulieren – aufrechte Antifaschistin, sie ist links, aber vor allem macht sie, was erfolgreiche Abgeordnete aller Parteien machen: Sie kümmert sich.
Sie versucht Leuten zu helfen und die Einrichtungen zu unterstützen, die soziale Funktionen haben. „,Einer trage des anderen Last’ ist mein Motto“, schrieb sie 2015 in ihrem Erinnerungsbuch „Gottlose Type“. Und weiter: „Die Reaktionen darauf sind höchst unterschiedlich. ,Petra Pau von der Linken und ausgerechnet ein Bibel-Wort‘, höre ich gelegentlich im Westen. ,So hieß doch ein klasse DDR-Film‘, erinnern sich zuweilen Leute im Osten. So oder so, jedes Mal geht es um Miteinander, um Füreinander, um Solidarität. Deshalb!“
Der einst junge Bezirk altert rasant
Womöglich war es auch so, dass in Marzahn-Hellersdorf relativ viele Menschen auf ein bisschen Lebenshilfe angewiesen waren. In den neunziger Jahren lag der Altersdurchschnitt bei Mitte zwanzig, es gab viele Alleinerziehende, die auf Hilfe angewiesen waren, erzählt Pau. Und es entstand die „Arche“, wo Kinder aus sozial schwachen Familien essen, Hausaufgaben machen und ihre Freizeit verbringen konnten. Geht man heute mit Pau durch ihren Bezirk, verweist sie im Vorübergehen auf ein Stadtteilzentrum. Die gebe es in jedem Kiez, sagt sie. Hier können sich die Leute Rat in Familienfragen holen oder in Sachen Rente oder Pflege.
Marzahn-Hellersdorf war mal besonders jung im Berliner Vergleich – inzwischen liegt der Altersdurchschnitt laut Demographiebericht des Bezirks fast ein Jahr über dem stadtweiten Durchschnitt, ein Trend, der sich wohl noch verschärfen wird. Aber es gebe eben auch den Zuzug junger Familien, erzählt Petra Pau. Zufrieden zeigt sie auf den großen Wasserspielplatz am Altlandsberger Platz. Dann geht es weiter zur Entkräftung des zweiten Klischees. Das besagt, Marzahn-Hellersdorf sei auf dem Reißbrett brachialer Stadtplaner entstanden. Brachial sind ganz gewiss die Verkehrsachsen, der Blumberger Damm, die Allee der Kosmonauten, die Landsberger Allee, die den Großbezirk mit seinen rund 257 000 Einwohnern durchschneiden.
Ein historisches Dörfchen mitten im Bezirk
Doch ein paar Meter abseits der Landsberger Allee steht nicht bloß eine Windmühle, die noch immer vor allem zu Lehrzwecken betrieben wird. Daneben liegt der Marzahner Dorfanger mitsamt Dorfkrug, einer alten Kirche, eingeschossigen Häusern, dem Bezirksmuseum, einem Kulturgut, einer Betreuungseinrichtung für Menschen mit seelischen Problemen, einem Atelierhaus: Alt-Marzahn.
Dazu gehört die Fleischerei Genz. Petra Pau bestellt einen Kaffee und ein Brötchen mit Hack. Hier mache sie „gern Pause“, sagt sie. Und auch hier wird sie freundlich begrüßt.
Werner van Bebber