Tegeler See in Berlin: Mit Aktivkohle zu sauberen Gewässern
Rückstände von Arzneimitteln bleiben bisher im Abwasser zurück. Ein Experiment in Tegel soll zeigen, ob dieses Problem lösbar ist.
Tegel hat einen neuen Tower. Er ist weder schön noch besonders hoch, aber nach allem, was man bisher weiß, sehr nützlich. Denn in ihm lagern 67 Tonnen pulvrige Aktivkohle, die Stoffe aus Wasser herausholen können, die dort nicht hineingehören. Aber sie sind nun mal drin. Denn der 21 Meter hohe Silo steht auf dem Gelände der Oberflächenwasser-Aufbereitungsanlage (OWA) am Tegeler Hafen, durch die das Wasser des Nordgrabens fließt, bevor es in den Tegeler See entlassen wird. Und der Nordgraben ist im Wesentlichen der Abfluss des Klärwerks Schönerlinde.
Die Klärwerke filtern neben grobem Schmutz vor allem Phosphorverbindungen und Stickstoff aus dem Abwasser, die sonst als Dünger wirken würden und die Algen wachsen ließen, bis die Gewässer im Sommer kippen. Weil Klärwerke aber nicht alles zurückhalten, wurde bis 1985 die OWA errichtet. Sie reinigt sowohl den Nordgraben als auch das Wasser des Tegeler Sees. Der entwickelte sich dadurch von einer überdüngten Brühe zu einem der klarsten Gewässer der Region.
Klärwerk lässt Stoffe durch
Doch während die offensichtlichen Probleme gelöst wurden, traten neue zutage: Im Abwasser werden immer mehr Spurenstoffe – vor allem Wirkstoffe aus Medikamenten – nachgewiesen. Das liegt zwar auch an der immer sensibleren Labortechnik, aber auch „die Verschreibehäufigkeit mancher Medikamente hat dramatisch zugenommen“, sagt Jörg Simon, Vorstandschef der Berliner Wasserbetriebe (BWB).
Hinzu kommen rezeptfreie Mittel wie beispielsweise Voltaren, das als Salbe nach dem Sport gegen Muskelkater hilft – aber beim Duschen das Schmerzmittel Diclofenac ins Abwasser entlässt. Im Klärwerk läuft es einfach durch, sodass es letztlich in den Gewässern landet. Und weil aus dem Uferfiltrat derselben Gewässer neues Trinkwasser gewonnen wird, könnte Berlin irgendwann ein Problem bekommen.
Kohle wird verbrannt
Deshalb der Aktivkohle-Silo. Die extrem feinporige Kohle – Dosierung: zehn Milligramm pro Liter Wasser, also weniger als eine Löffelspitze – soll Medikamentenrückstände binden, damit sie nicht mehr in den Tegeler See fließen. So wird erstmals in großem Stil erprobt, was sich im Labor als vielversprechend erwiesen hat. Die Kohle wird anschließend mitsamt den Arzneirückständen verbrannt.
Das zunächst bis Oktober befristete Experiment gehört zum 2011 gestarteten Großvorhaben „Askuris“, das Helmut Löwe vom Bundesforschungsministerium als „besondere Perle“ unter den einschlägigen Vorhaben bezeichnet. Das Ministerium fördert dieses Projekt. Zusammen mit weiterem Fördergeld und Drittmitteln haben die Wasserbetriebe nach eigener Auskunft von 2013 bis 2018 mit einer Eigeninvestition von knapp 7,3 Millionen Euro mehr als 115 Millionen Euro aktivieren können. Sie verteilen sich auf mehrere Dutzend Forschungsprojekte; die Kohlebehandlung ist mit gut vier Millionen Euro in dem Paket enthalten.
Problem liegt woanders
Als weitere Wunderwaffe gegen unerwünschte Reste im Wasser gilt die Nachbehandlung mit Ozon. Doch auch die erfordert großen Energieeinsatz, der den Klärwerksbetrieb wiederum teurer und ökologisch problematisch macht. Nach Auskunft von Löwe ist selbst in den Bundesministerien umstritten, wie viel Aufwand für die sogenannte vierte Reinigungsstufe getrieben werden soll.
Aus Sicht von BWB-Chef Simon muss das Problem weit vor den Klärwerken angegangen werden: beim Verschreibungsverhalten von Ärzten, bei der Aufklärung von Patienten – und bei der Entsorgung unbenutzter Medikamente, die allzu oft in der Toilette landen, statt von Apotheken zurückgenommen oder wenigstens mit dem Restmüll verbrannt zu werden. Zumal auch die beste Klärwerkstechnik nicht gegen jede Verschmutzung hilft.