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Soll jetzt die Affäre erklären: Innensenator Henkel.
© dpa

Neue Spitzelaffäre in Berlin: Militanter Ex-Neonazi soll Berliner V-Mann sein

Berlin hat eine neue Spitzelaffäre: Ein militanter Neonazi aus Thüringen ist offenbar ein V-Mann des Berliner LKAs. Die Abgeordneten fordern jetzt von CDU-Innensenator Henkel Aufklärung – der schimpft stattdessen auf die Opposition.

Berlin hat einen neuen V-Mann- Skandal, jedenfalls aus Sicht der drei Oppositionsparteien Grüne, Linke und Piraten. Am Montag wurde im Berliner Abgeordnetenhaus publik, dass der ehemalige militante Neonazi Nick Greger aus Thüringen offensichtlich eine „VP“ (Vertrauensperson) des Berliner Landeskriminalamts (LKA) ist. Die Thüringer Linkspartei machte zudem öffentlich, dass zwei Beamte des Berliner Landeskriminalamts nach Thüringen gereist waren, um Greger zum Schweigen über den Brandenburger V-Mann „Piatto“ im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages aufzufordern. Dies soll Greger in einem am 4. Dezember bei Youtube veröffentlichten Video selbst mitgeteilt haben.

"Wenn alles stimmt, ist es ein Skandal"

Greger war im Jahr 2000 in Berlin verurteilt worden, weil er zusammen mit Carsten S. alias „Piatto“ einen Sprengstoffanschlag auf politische Gegner vorbereitet hatte. Piatto war im direkten Umfeld des Neonazi-Terrortrios Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) tätig und lieferte Hinweise zum Untertauchen des NSU, die von den Behörden bekanntlich nicht in ihrer Tragweite erkannt worden waren. Greger wäre als LKA-Spitzel dichter am NSU dran gewesen als die „VP 562“, über die im vergangenen Jahr monatelang gestritten worden war. Die „VP 562“ hatte im Jahr 2002 Informationen über die Terrorgruppe geliefert, die das LKA aber nicht weitergab. In dem Video soll Greger behaupten, die LKA-Beamten hätten ihm versichert, Akten mit Verweisen auf Piatto oder ihn selbst „so gut es ging“ geschwärzt zu haben. „Wenn das alles stimmt, ist es ein Skandal“, sagte die grüne Abgeordnete Clara Herrmann.

In Erklärungsnot. Polizeipräsident Klaus Kandt (links) und Innensenator Frank Henkel – hier auf einem Archivfoto – provozierten am Montag scharfe Kritik der Opposition.
In Erklärungsnot. Polizeipräsident Klaus Kandt (links) und Innensenator Frank Henkel – hier auf einem Archivfoto – provozierten am Montag scharfe Kritik der Opposition.
© Imago / Stefan Zeitz

Details über V-Mann Greger machen die Runde, zusammengefasst von der thüringischem Linkspartei. In ihrem Dossier heißt es, dass Greger im Jahr 2000 in Berlin verurteilt worden war, weil er zusammen mit dem aus dem NSU-Untersuchungsausschuss bekannten V-Mann Carsten S., alias „Piatto“, einen Sprengstoffanschlag auf politische Gegner vorbereitet hatte. 2003 flüchtete Greger nach Südafrika, kehrte 2005 nach Deutschland zurück und stieg mit dem Aussteigerprojekt „Exit“ nach eigenen Angaben aus der Szene aus. Danach soll er sich in einem Tempelritterorden engagiert und den militärischen Kampf gegen vermeintliche Islamisten propagiert haben, heißt es in dem Dossier weiter. Sogar beim norwegischen Attentäter Anders Breivik habe er für seinen islamfeindlichen Orden geworben. Stoff für einen ganzen Roman. Die Thüringer Linkspartei hat der Landesregierung jetzt eine detaillierte Anfrage gestellt, welche Erkenntnisse in Thüringen über den ehemaligen Berliner und dessen Arbeit als V-Mann vorlägen.

„Charakterloser Oppositionspolitiker“

So weit ist die Berliner Politik noch nicht. Die neuen Erkenntnisse über Greger führten am Montag jedoch zu einer lautstarken Debatte im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Selbst Innensenator Frank Henkel (CDU) wurde laut („charakterloser Oppositionspolitiker“), Henkel und der grüne Innenexperte Benedikt Lux schrien sich längere Zeit an.

Die Opposition wirft dem Innensenator vor allem vor, nicht von sich aus Öffentlichkeit und Abgeordnete über den Thüringer Fall informiert zu haben – trotz mehrerer Versprechen, an die vor allem Udo Wolf von der Linkspartei erinnerte. Dabei soll die Polizei das Video schon seit Dezember kennen. Dies bestätigte Polizeipräsident Klaus Kandt nach der Sitzung dem Tagesspiegel. Er selbst kenne das Video erst seit Freitag, also dem Tag der Veröffentlichung durch die Thüringer Linkspartei. Dem Vernehmen nach habe Staatsschutz-Chef Oliver Stepien das Video schon im Dezember gesehen. Unklar blieb, ob die Polizei den Innensenator darüber informiert hatte.

Kandt bestätigte den Abgeordneten, dass LKA-Beamte in Thüringen bei der V-Person waren. Was dort besprochen worden sei, wisse er nicht. Weitere Angaben zu dem Fall wollten Henkel und Kandt nicht machen.

„Wir kennen die Dinge, dürfen nur nicht darüber reden“

„Was für eine Sitzung“, twitterte die Abgeordnete Herrmann nach dem Innenausschuss. Es war auf jeden Fall die lauteste Sitzung seit Jahren. Die Stichworte NSU und V-Mann erregen die Parlamentarier – die gleichen Stichworte, die im vergangenen Jahr die endlosen Diskussionen um den Berliner V-Mann 562 bestimmten.

„Katastrophe dieser Innensenator“

Und Polizei und Innensenator schweigen nun zu den Vorwürfen, berufen sich auf den weitgehenden Vertrauensschutz den ein V-Mann genießt. Fakten dürfen sie nicht nennen, beteuern Polizeipräsident Kandt und Henkel. Bekanntlich wird V-Leuten zugesichert, nie ihre Identität preiszugeben, weil nur so Kriminelle oder Extremisten zur Zusammenarbeit geworben werden können. Kandt zeigte sich aber zuversichtlich, dass „noch diese Woche“ die Zusage durch die Staatsanwaltschaft aufgehoben werde. Sie versprechen, dass die Abgeordneten am Donnerstag im sogenannten Geheimschutzraum die Akten einsehen dürfen. Die Opposition legt das als Mauern, Versagen oder Desinteresse aus.

Polizeipräsident Kandt sagte dem Tagesspiegel nach der Sitzung „Wir kennen die Dinge, dürfen nur nicht darüber reden.“ Nach seiner Einschätzung hat der Fall eine „geringe Dimension“ als der Streit um den V-Mann 562 vor einem Jahr. Es müsse auch nicht jedes Wort in dem Video stimmen, meinte der Polizeipräsident. Dem Senator riss in der vierstündigen Sitzung einfach der Geduldsfaden. „Sie wollen das einfach nicht verstehen“, schreit Henkel die Opposition an. Es folgt ein kurzes Tohuwabohu. Henkel ist kaum zu verstehen als er dann sagt: „Ihre Politik hier auf den Rücken dieser armen Mordopfer ist widerlich und erbärmlich.“ Nun wird das Geheul noch lauter. „Puls auf 180“ twittert der Pirat Christopher Lauer. Und Lux schreibt: „Katastrophe dieser Innensenator“.

Jörn Hasselmann

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