Gentrifizierung: Mieterverein beklagt Modernisierungs-Abzocke
Nur selten nutzten Sanierungen den Bewohnern. Das belegt nach Ansicht des Mietervereins eine aktuelle Studie.
Wolfgang Hoth ist wütend. Der 80-jährige Rentner aus der Lützowstraße in Tiergarten muss seine Wohnung bis Ende des Jahres räumen. Sie soll modernisiert werden, mindestens acht Monate lang. Fenster, Fassaden, Hauseingang, fast alles soll erneuert werden.
Wie Hoth geht es tausenden Mietern in Berlin, einige können während der Bauarbeiten bleiben, andere müssen die Wohnung räumen. Viele kehren nie wieder in ihren Kiez zurück, denn die Miete nach der Sanierung ist zu hoch. In Hoths Fall soll sie fast verdoppelt werden: von 545 auf 988 Euro. Für 75 Quadratmeter.
Einer am Dienstag vorgestellten Kurzstudie des Berliner Mietervereins zufolge ist Wolfgang Hoths Geschichte kein Einzelfall. Die Auswertung der Mieten von 200 Befragten, allesamt Mitglieder des Vereins, habe gezeigt, dass die Miete nach einer Modernisierung immens steige. Um annähernd 2,50 Euro pro Quadratmeter im Zeitraum zwischen 2013 und 2016. Damit sei die durchschnittliche Nettokaltmiete, gemittelt auf alle Bezirke auf 7,14 Euro pro Quadratmeter gestiegen.
Mieter flüchten vor Modernisierung
„Derartige Erhöhungen lassen Mieter das Weite suchen“, sagt Vereinsgeschäftsführer Reiner Wild. Er ist gleichzeitig Autor der Studie. 20 bis 30 Prozent aller Mieter zögen bereits nach der Ankündigung einer Modernisierung aus. Wild glaubt, bereits die absehbare Belastung durch die Bauarbeiten schrecke ab.
Mit der Studie will er nun belegen, dass sich durch teure Sanierungen zudem kaum Vorteile für die Mieter ergeben. Gerade bei der Wärmeisolierung werde gemogelt. „Mieter erkennen den Mehrwert der Modernisierungen oft nicht mehr“, sagt er. Wild meint damit nicht sinnvolle Maßnahmen wie Aufzüge oder Balkone, sondern vor allem die Wärmedämmung. Erneuerungen zugunsten der Wärmeisolation oder neue Heizanlagen würden sich nur selten in geringeren Heizkosten nach der Erneuerung wiederspiegeln.
Durch Stückelung der Erneuerungen und deren Verteilung auf einen langen Zeitraum würden Mieter außerdem zusätzlich belastet. Immer wieder könne die zulässige Modernisierungsumlage in Höhe von elf Prozent der Gesamtkosten dann auf die Miete aufgeschlagen werden. Eigentlich soll sie die Mieter nur an den Umbaukosten beteiligen, ohne sie übermäßig zu belasten.
Fragt man David Eberhard vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), sei das derzeit auch nicht der Fall. „Die von uns vertretenen Genossenschaften schöpfen die zulässige Umlage von elf Prozent in der Regel nicht voll aus“, sagt Eberhard. Doch Genossenschaften – per Gesetz gemeinschaftlich organisiert – machen in der Studie des Mietervereins nur einen winzigen Teil aus. Fast 70 Prozent der Erneuerungsvorhaben kämen von privaten Unternehmen.
70 Prozent der Erneuerungsvorhaben kommen von privaten Unternehmen
So auch im Fall von Wolfgang Hoth. Dessen Wohnung gehört einem großen Investment-Unternehmen. Das will den Senior für den Zeitraum der Bauarbeiten umsiedeln. Er soll in eine Umsetzwohnung im gleichen Haus ziehen. Derartige Wohnungen seien für die verbliebenen Mieter wohl nicht ausreichend verfügbar gewesen. „Manche Mieter wurden auch gefragt, ob sie nicht bei Verwandten einziehen könnten“, berichtet Hoth. Der Investor wollte sich dazu bis Redaktionsschluss nicht äußern.
Manche Mieter wehren sich auch erfolgreich
Andernorts zeigen gemeinsame Aktionen Erfolg. Die „Mieterinitiative Gontermannstraße“ in Tempelhof konnte mithilfe des Bezirksamtes eine Modernisierung vorerst verhindern. Der Grund: Die Wohnanlage liegt in einem städtebaulichen Erhaltungsgebiet, Änderungen bedürfen der Genehmigung.
Wolfgang Hoths Fall scheint unter den Betroffenen damit ein besonders schwerer zu sein, nicht nur in Bezug auf die Mieterhöhung. 190 Euro pro Monat mehr seien nach einer Modernisierung normal. Bei Hoth dürfte dieser Durchschnitt deutlich übertroffen werden. Eine Initiative gibt es für ihn auch nicht, viele seiner Nachbarn sind bereits ausgezogen.
Felix Kessler