Coronavirus in Berlin: Menschen in Quarantäne fühlen sich im Stich gelassen
Alles im Griff, sagt die Gesundheitssenatorin. Doch die Menschen in Quarantäne empfinden das Gegenteil. Es gibt kaum Auskunft, Coronavirus-Tests brauchen lange.
Manchmal bekommt sie Lust auf frische Gurken. Sie schreibt das dann auf ihre Wunschliste für ihre Freunde. Ihr Balkon liegt in der Hochparterre, dort holt sie dann ab, was die Freunde ihr vorbeibringen. Wenn sie Essen im Internet bestellt, schreibt sie dazu: „Tut mir leid, ich bin in Quarantäne. Trinkgeld gibt es später.“ Die Lieferung legen die Boten vor die Tür. Es ist Tag vier der 14-tägigen Quarantäne, amtlich verordnet.
Seit Montag muss die Ende 20-jährige Frau zu Hause bleiben. Sie hatte kurzen Kontakt zu einem Mann, der mit dem Coronavirus infiziert ist, und will ihren Namen nicht öffentlich genannt wissen.
Es war der erste Berliner Fall, der am späten Sonntagabend bekannt wurde. Am Montag gab Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) eine Pressekonferenz: Alle 60 Kontaktpersonen seien identifiziert, zu Hause isoliert, die Testergebnisse würden bereits am Dienstag vorliegen.
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Die Frau ist eine von 60. Nur: Zum Zeitpunkt der Pressekonferenz hatte sie zwar ihr Arbeitgeber informiert, dass sie zu Hause bleiben solle. Vom Gesundheitsamt hörte sie aber erst am Abend.
Der Test auf das Coronavirus wurde bei ihr erst am Donnerstag gemacht: Rachenabstrich. Ein Mann im Ganzkörperschutzanzug. An der Schwelle zur Wohnungstür. „Es ärgert einen total, wenn die Gesundheitssenatorin öffentlich verkündet, dass alle Kontaktpersonen getestet wurden und man selbst sitzt zu Hause und hat kaum Informationen“, sagt die Frau dem Tagesspiegel.
Sie wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, was das bedeutet: Quarantäne. Darf sie die Post holen? Überhaupt vor die Tür gehen? Oder auf ihren Balkon? Das wurde ihr erst nach Tagen mitgeteilt. Die behördlichen Auflagen hat sie noch immer nicht bekommen. Aus dem zuständigen Gesundheitsamt hieße es nur: Wir kommen nicht hinterher.
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Eigentlich gehe es ihr gut, sagt sie, sie lese viel, habe keine typischen Krankheitssymptome, ansonsten helfe der Kontakt zu Freunden. „Das größte Problem ist die Unsicherheit“, sagt sie.
Die Erstinformationen seien „sehr unpräzise“ gewesen. „Ganz schlimm ist, dass jeder Bezirk anders mit Verdachtsfällen umgeht.“
Eine ihr bekannte Person habe einen ganz anderen Test gemacht als sie. In anderen Bezirken hätten Menschen aus der Quarantäne sogar das Haus verlassen müssen für den Test, andere seien lange vor ihr getestet worden. „Warum gibt es kein einheitliches Vorgehen?“, fragt sie.
Behörden scheinen schon jetzt überfordert
Fälle wie diese mehren sich, die Behörden scheinen schon jetzt überfordert damit, womöglich Betroffene zu informieren und zeitnah zu testen. Auch der „Spiegel“-Journalist Juan Moreno schrieb am Donnerstag über seine Probleme, in Berlin einen Coronavirustest zu machen.
Er war zuvor im Krisengebiet in Mailand gewesen. Dort war auch Starbariton Michael Volle. Ein Kollege an der Mailänder Scala, mit dem Volle in den vergangenen Tagen geprobt hatte, hat sich mit dem Coronavirus infiziert.
Er und seine Frau, die bekannte Sopranistin Gabriela Scherer, sind deshalb seit Mittwoch in Quarantäne, haben ihre kommenden Auftritte abgesagt.
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Sie wohnen in Kleinmachnow gleich hinter der Berliner Stadtgrenze, sitzen seit zwei Tagen mit ihren beiden Kindern zu Hause. Beide Kinder hatten sich zuvor in der Schule stark erkältet, dort geht das Influenzavirus um.
Quarantäne und testen lassen. Nur wo?
Seit zwei Tagen versuchen sie über die Beratungshotline des Berliner Senats Informationen darüber zu bekommen, wie sie sich verhalten sollen. Fehlanzeige. „Ich habe dort 20 Mal angerufen, es war immer besetzt“, sagt Gabriela Scherer.
Es dauert, bis sie herausfinden, wer in Brandenburg für sie zuständig ist. Das zuständige Gesundheitsamt habe sofort geraten: Quarantäne und testen lassen. Nur wo?
Scherer erzählt, man habe sie zum Hausarzt schicken wollen. Dort wies man sie ab. „Uns wurde gesagt, wenn sie wirklich infiziert sind, müssen sie die Praxis schließen“, sagt Scherer. Man habe sie an die zentrale Anlaufstelle im Berliner Virchow-Klinikum verwiesen.
„Wir hätten sieben Stunden warten müssen“
Volle, Scherer und die beiden Kinder sind deshalb am Mittwoch mit dem Auto nach Mitte gefahren, verließen – gezwungenermaßen – die behördlich verordnete Quarantäne. Gleich am Mittwochmorgen war das, draußen warteten schon Menschen.
Angekommen am provisorischen Zeltlager der Charité zogen sie Nummern: 27 bis 31. „Ich dachte noch, das geht ja schnell“, erzählt Scherer.
Der Ansturm auf die Stelle ist allerdings so groß, dass noch immer die Nummern des Vortages abgearbeitet worden. Nummer 900 von 1000 war dran – dann werde von vor angefangen. „Wir hätten sieben Stunden warten müssen“, sagt sie.
„Es gibt auch viele gute Momente“
Sieben Stunden, in denen sie mit dutzenden Menschen auf engem Raum saßen, ihre Kinder krank. „Da ist uns bewusst geworden, wie wenig Berlin vorbereitet ist“, sagt Scherer.
Viele hätten ihnen Hilfe angeboten, das Gesundheitsamt, das für sie zuständig ist, ruft einmal am Tag durch und erkundigt sich nach ihrem Befinden. „Es gibt auch viele gute Momente.“
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Doch das Durcheinander bereitet ihr Sorgen, besonders wegen der Kinder. „Bei uns in der Schule haben viele Influenza und jetzt mischt sich das mit dem Coronavirus“, fürchtet sie. Sie ist deshalb dafür, die Schulen im Land für zwei Wochen zu schließen, so hat es Italien am Mittwoch beschlossen.
Am Donnerstag wurde bekannt, dass sich eine Berliner Schülerin bei ihrem Lehrer mit dem Virus angesteckt hat. Das Mädchen war Teil einer Reisegruppe der Friedrichshainer Emanuel-Lasker-Schule mit 74 Schülern ins südtiroler Ahrntal. Nachdem bei einem der Lehrer eine Erkrankung mit dem Coronavirus festgestellt wurde, blieb die Schule geschlossen. Bis Freitagmorgen waren 15 Fälle in Berlin bekannt geworden.