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Prozess-Auftakt: Torben P. (18) ist nach der Attacke auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße des versuchten Totschlags angeklagt. Ein Spross aus „gutem Haus“, Juristensohn, ein Oberschüler, der Arzt werden will oder Anwalt.
© dpa
Update

Prozessauftakt im Fall Torben P.: "Meine Tat ist eine Schweinerei"

Beim Prozessauftakt gesteht der 18-jährige Torben P. seinen Gewaltausbruch im U-Bahnhof Friedrichstraße. An vieles will er sich aber nicht erinnern können. Richter Uwe Nötzel steht vor einer schwierigen Entscheidung.

Der Schläger kommt erst wieder zu sich, als er im Schwitzkasten steckt. Sein Ohrstecker ist abgerissen, drückt ihm in den Hals. Er hat jetzt Angst, sagt er. „Gib ihm Bomben.“ Das ist das Signal an den Freund, auf den Helfer loszugehen, einen Touristen aus Bayern, der nicht mitansehen will, wie Torben P., Schüler, 18 Jahre alt, seinem Opfer auf den Schädel trat. „Ich dachte, man wollte uns fertig machen“, sagt P. „Wir liefen um unser Leben.“ In seiner Vorstellung sei der andere der Angreifer gewesen, er der Angegriffene.

Auch so kann einer reden, der wegen versuchten Totschlags angeklagt ist, weil er einem Wehrlosen viermal auf den Kopf trat. In seiner Vorstellung: eine Verwechslung. Die Bilder seiner Tat am 23. April auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße sprechen eine andere Sprache. Sie erreichten eine Millionenauflage und sind ein Dauerbrenner im Netz, lösten eine Debatte über Jugendgewalt aus und Kritik an einer zu laschen Justiz. Jetzt sitzt der fast zwei Meter große Mann in gebügeltem Hemd auf der Anklagebank des Schwurgerichtssaals im Moabiter Kriminalgericht, neben ihm sein gleichaltriger Kumpel Nico A., mitangeklagt wegen Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung.

Torben blickt auf seinen Zettel. Er redet mehr als eine halbe Stunde. „Meine Tat ist eine Schweinerei und auch durch Alkohol nicht zu entschuldigen“, sagt er. „Ich kann verstehen, dass viele Menschen über mich entsetzt und schockiert sind. Und schäme mich sehr.“ Dass sein Opfer, der 30 Jahre alte Installateur Markus P., von seiner Reue nichts wissen will, könne er verstehen. „Worte sind billig. Ich kann nur Verantwortung für meine Tat übernehmen“. In allen Details schildert er den Abend vor der Tat, wie Nico und er betrunken Leute anmachen und schließlich in den Bahnhof gelangen. Und den Vormittag, wie ihn sein Vater schlafen schickt, obwohl er ihm von seinen Tritten erzählt. Dann, wie sie sich bei einer Freundin treffen, die Polizeinachrichten im Internet lesen, erschrocken das Fahndungsvideo sehen. Manchmal schluckt er und stockt. Nur etwas fehlt, ist verschwunden, war nie da, jedenfalls nicht in seinem Bewusstsein: die Sekunden der Tat. „Vielleicht meinte ich, mich verteidigen zu müssen“.

Torben P. liest eine halbstündige Erklärung vor. Lesen Sie weiter auf Seite zwei.

Die Bilder, die Torben P. im Gedächtnis fehlen, haben dafür Überwachungskameras aufgezeichnet. Jetzt flimmern sie durch den Gerichtssaal. Für die Staatsanwaltschaft belegen sie den Tötungswillen. Die Angeklagten hätten zunächst eine „verbale Auseinandersetzung“ provoziert, sagt Staatsanwältin Katrin Faust. Es hätten sich „gegenseitige Handgreiflichkeiten entwickelt“, dann hätte er seinem Opfer mit einer 1,5-Liter-Hartplastikflasche ins Gesicht geschlagen. Dem Reglosen versetzte er Tritte, „wobei diese jeweils weit ausholend und von oben herab geführt wurden“. Ein „äußerst brutales und rücksichtsloses Vorgehen“, bei dem der Angeklagte den Tod seines Opfers in Kauf genommen habe.

Torben P. erzählt von zu Hause, seinen Eltern, die beide schwer erkrankt und Frührentner seien. „Meine Kindheit kann man als normal bezeichnen, aber auch als ungewöhnlich“. Der Junge mit Gymnasialempfehlung errang Erfolge im Kanu, ging auf ein Sportinternat, wo er mit Abstand der Jüngste gewesen sei. Er wollte wieder weg, seine Eltern ließen es erst zu, sagt er, als er sich mit einem Messer selbst verletzte. Dann sackten die Noten ab, wieder ein Schulwechsel, doch Torben P. sagt, er sei schnell besser geworden. Jetzt, nach der Tat, müsse er wieder auf eine andere Schule, er zöge mit den Eltern fort, man werde bedroht. „Die Polizei nimmt das ernst.“

Die Bilder haben Macht. Sie haben die Öffentlichkeit beeindruckt und empört. Jetzt werden sie auch über Torbens Zukunft entscheiden. Drei Kameras fangen die Szenen ein, die Rangelei, schließlich den Gewaltausbruch. Der Täter scheint sie in seinem Rausch nicht zu bemerken. Kein Blick verrät, dass er sich darüber Gedanken macht, beobachtet, später womöglich erkannt zu werden. Nur mit seinem Tänzeln, wie das eines Boxers oder Kampfsportlers nach dem K.o.-Schlag, deutet er an, dass er sich als Protagonist sieht, dass ein Film abläuft, mag es auch nur der im eigenen alkoholisierten Schädel sein. In diesen Sekunden präpotenter Siegesfreude scheint es, als fühle sich der junge Mann von Kraft und seltener Großartigkeit durchströmt. Eine furchterregende Szene.

Es gibt aber auch andere Szenen. Vier wortlose graue Gestalten auf einer Wartebank, eine Zeugin und der später Geschädigte außen, Torben und Nico innen. Man merkt, es wird gleich Streit geben, Markus P. stellt sich hin, dann springt der Angeklagte auf und stellt die Ellbogen aus. Man beruhigt sich wieder, dann Geschubse und der Schlag mit der Flasche. „Eine Überreaktion“, sagt Torben P., aber er könne sich nur noch an seine Angst erinnern, sein Herzrasen. „Nur aus den Videos weiß ich, dass ich zugetreten habe.“

Lesen Sie auf Seite drei, warum die Entscheidung im Fall Troben P. für Richter Uwe Nötzel schwierig wird.

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger wirft den Ermittlern vor, die Vorgeschichte sei verheimlicht worden, der Geschädigte sei mitursächlich für die spätere Eskalation. Deutlicher wird der Anwalt von Nico A., Thorsten Bieber. Nico hatte sich zuerst zu Markus P. gebeugt. „Mein Mandant hat sich um einen hilflosen Betrunkenen kümmern wollen. Und der war so besoffen, dass er es nicht mal merkt. Dann steht der auf und macht eine Armbewegung. Das war der erste körperliche Angriff.“

Eine andere Interpretation bietet Elke Zipperer, die Anwältin des Geschädigten, der nun als Nebenkläger auftritt. Sie spricht von einem „Distanzbruch“ durch den Angeklagten, der Markus P. erst herausgefordert habe. P. selbst kann sich nur an wenig erinnern. Er habe ein Dartturnier gewonnen und als Preis gab es Pfefferminzlikör, aber betrunken sei er nicht gewesen, sagt er. Im Krankenhaus habe er im Fernsehen die Bilder gesehen, die anderen Patienten hätten ihm sagen müssen: „Das bist du.“ Zwei Tage später konnte er entlassen werden, trotz schweren Schädel-Hirn-Traumas und einer Nasenbeinfraktur. Ein Zahn musste ihm gezogen werden. Was fühlt er, wenn er den Angeklagten sieht? „Ich zittere und bin nervös.“

Zwei Ärzte treten am Nachmittag auf, sie schätzen die Situation unmittelbar nach der Tat als potenziell lebensbedrohlich ein, weil Markus P. in ein tiefes Koma gefallen sei. Vorsorglich sei er deshalb intubiert und beatmet worden. Die Verletzungen selbst seien jedoch noch nicht lebensbedrohlich gewesen. Man nahm dem Bewusstlosen auch Blut ab, er kam auf rund zwei Promille. Ein kräftiger Rausch.

Es deutet sich keine leichte Aufgabe an für Richter Uwe Nötzel, der in Moabit als abgewogener, fairer, zuweilen auch harter Richter bekannt ist. Man sagt ihm nach, er sei niemand, der sich von der öffentlichen Meinung leicht beeindrucken ließe, ein Vorzug angesichts des bundesweit beachteten Verfahrens. Am ersten Prozesstag machen seine Fragen deutlich, dass er Torben P. seine Geschichte vom Gedächtnisverlust nicht ohne weiteres abkaufen wird. Er will wissen, was im Kopf des Heranwachsenden vorging, als er auf sein Opfer eintrat, und er schien den Eindruck zu haben, als könne Torben es sagen, wenn er nur wolle. Das Gericht muss sich ein Bild davon machen, nur dann kann es entscheiden, ob es ein Tötungsversuch war oder „nur“ eine Körperverletzung. Am Donnerstag wird der Prozess fortgesetzt.

Jost Müller-Neuhof

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