Die innerstädtischen Coronagrenzen: Meiden Sie mich, ich bin aus Schöneberg!
Die Zerteilung Berlins in Risikogebiete macht Fehler nach, die Paris schon wieder hinter sich hat - und was das mit Bielefeld zu tun hat. Eine Kolumne.
Schöneberg ist Risikogebiet. Schöneberg? Ich habe das erst für einen schlechten Witz gehalten. Wahrscheinlich verwechseln sie uns mit Beirut oder Aleppo, habe ich gedacht. Wir Schöneberger fühlen uns doch in unserem Viertel wie in alten Plüschpantoffeln und leben glücklich zwischen dem friedlichen Bayerischen Platz und dem eingeschlafenen Flughafen Tempelhof vor uns hin.
Nun plötzlich fühlen wir uns wie die Aussätzigen, die man zu Beginn des letzten Jahrhunderts auf eine einsame Insel verbannte. Sie wurden mit dem Boot dorthin gebracht und durften die Insel nicht wieder verlassen. Lepra galt als Fluch, es gab damals kein Heilmittel gegen diese Krankheit. So wenig wie heute gegen das Coronavirus.
Wenn Sie aus Schöneberg kommen, dürfen Sie nicht mehr einfach die Fähre nach Sylt nehmen oder ohne einen negativen Test ein Hotelzimmer in Bielefeld buchen. Ich zermartere mir also den Kopf, bevor ich zu einer Lesung in den Zug nach Bielefeld steige.
Gelte ich als Geschäftsreisende? Dann finde ich wahrscheinlich ein Bett, vielleicht sogar eines mit einem bunten Schokoladenquadrat auf meinem Kopfkissen. Gelte ich als Touristin? Dann schlagen mir die Hoteliers die Tür vor der Nase zu. Wie die Jungfrau Maria werde ich von Tür zu Tür ziehen müssen und klopfen, bis mir vielleicht eine barmherzige Seele eine Matratze in einer Ecke überlässt und mir eine heiße Suppe anbietet.
Vielleicht ende ich auch im Stroh einer westfälischen Scheune. Wer, möchte ich Bielefeld antworten, würde um Himmels Willen auf die Idee kommen, in Bielefeld Urlaub zu machen? Ausgerechnet in Bielefeld, wenn man aus Schöneberg kommt?
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Und nun werden wir sogar mit diesen verantwortungslosen Parisern verglichen! Die allein schon so viele Infektionen verzeichnen wie ganz Deutschland. Vor einigen Wochen versuchte Paris, die zweite Welle einzudämmen, indem es das Tragen von Masken in bestimmten Zonen der Stadt vorschrieb. Betrat man eine rote Straße, zack, musste man schnell die Maske aus der Tasche ziehen, um sie nur ein paar Meter weiter beim Betreten einer grünen Zone wieder einzustecken.
(Die Texte von Pascale Hugues werden aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel)
Die Aufteilung des Stadtgebiets war eine so komplizierte Angelegenheit, dass die Pariser Stadtverwaltung sehr schnell die Maske überall und für alle zur Pflicht erklärte (mit Ausnahme von Joggern und Radfahrern). Es lebe die Gleichheit. Keine Benachteiligung von Stadtvierteln, keine Kirchturmpolitik, keine Rivalitäten wie hier in Berlin.
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Um vorbereitet zu sein, habe ich den Stadtplan von Berlin auf dem Küchentisch ausgebreitet und genau studiert. Im Slalom bewege ich mich durch die Stadt. Gehe keinen Kaffee mehr trinken in Oranienburger Straße und vermeide Unterhaltungen von mehr als einer Viertelstunde in der Simon-Dach-Straße. Ganz schön demütigend, das alles.
Ich meine, die Bewohner von Lichterfelde West behandeln uns stolze Schöneberger jetzt wie die letzten Loser, die Pankower weichen uns auf dem Bürgersteig aus, die Dahlemer, die sich schon immer für etwas besseres gehalten haben, schauen auf uns herab. und die Spandauer suchen das Weite, wenn sie uns nur aus der Ferne erblicken. Zum Glück halten die Kreuzberger und wir zusammen, und in Neukölln werden wir nach wie vor mit offenen Armen empfangen. Wirklich schade, dass die Mauer nicht mehr da ist, um Moabit vor Mitte zu schützen, Wedding vor dem Prenzlauer Berg und Bielefeld vor Schöneberg.