Drillinge und Vierlinge: „Mehrlingsschwangerschaften sind riskant“
Früher waren Drillinge, gar Vierlinge sehr selten. Durch künstliche Befruchtung kommen sie jetzt häufiger vor. Ein Gespräch mit dem Vivantes-Experten Lars Hellmeyer über Gefahren, Geburten im Krankenhaus und den Kaiserschnitt.
Herr Hellmeyer, wie entstehen Zwillinge?
Ganz grob gesagt: Es gibt zum einen die eineiigen Zwillinge. Da ist eine Eizelle gesprungen und auch genau eine Eizelle befruchtet worden. Anschließend teilt sich diese. Wenn man zweieiige Zwillinge hat, springen zwei Eizellen auf einmal aus dem Follikel. Die werden von zwei unterschiedlichen Spermien befruchtet. Das können dann sogar Junge und Mädchen sein.
Haben eineiige Zwillinge tatsächlich diese ganz besondere Verbindung, von der man oft hört?
Ich kenne es aus Erfahrung, dass die eineiigen Zwillinge ein besonderes Verhältnis zueinander haben und sagen: Ich spüre, wenn es meiner Schwester oder meinem Bruder schlecht geht, auch über eine Distanz hinweg. Natürlich kann man sie im Aufwachsen unterschiedlich prägen, aber ihre Genetik ist im Prinzip die gleiche. Medizinisch kann man diese besondere Verbindung aber nicht nachweisen, das ist eine Gefühlssache.
Wie oft kommt es vor, dass eine Frau mit Zwillingen schwanger wird?
Da gibt es die sogenannte Hellinsche Regel. Die besagt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Zwillingsschwangerschaft 1 zu 85 ist, die Chance einer Drillingsschwangerschaft 1 zu 85 hoch zwei, bei Vierlingen ist es 1 zu 85 hoch drei und so fort - sprich sehr selten. Durch die künstliche Befruchtung ist die Zahl aber verfälscht.
Die wachsende Zahl der Mehrlingsgeburten ist also darauf zurückzuführen?
Das ist richtig, es gab eine Zeit lang sogar mal zu viele Drillinge. Da muss man sich immer vor Augen halten, dass es eine totale Risikoschwangerschaft ist, auch bei einer Zwillingsschwangerschaft hat man schon ein großes Risiko einer Frühgeburt. Wenn man Drillinge hat, beträgt außerdem die Wahrscheinlichkeit immerhin 20 Prozent, dass eines der Kinder behindert ist. Daher ist man nun etwas restriktiver und zurückhaltender. Wo man früher drei Eizellen in die Gebärmutter eingesetzt hat, setzt man heute eher zwei Eizellen ein oder sogar nur eine, damit nicht mal Zwillinge entstehen können. Und sowohl die Zahl der Zwillinge als auch die der Drillinge geht schon wieder ein bisschen zurück.
2009 brachte eine Frau in den USA sogar acht gesunde Kinder zur Welt...
Die Ärzte haben bei der künstlichen Befruchtung dieser Frau sehr viele Eizellen eingesetzt oder anders stimuliert, wie man es in Deutschland gar nicht darf. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem solchen Fall eines oder sogar mehrere Kinder behindert sind, ist riesig. Das ist eigentlich ein Kunstfehler vom Arzt, eine Situation, die es so nie in Deutschland geben dürfte. Die Kinder wogen alle ungefähr 600 Gramm, das sind also Kinder, die maximal gefährdet sind, Folgeschäden zu haben. Aus Sicht der Kinder ist es eine Katastrophe und egoistisch, dass eine Frau Achtlinge austrägt. In der Sterilitätstherapie – also einer Kinderwunschbehandlung – kann es vorkommen, dass Sie drei Eizellen zurücksetzen und sich eine per Zufall teilt. Dann haben Sie plötzlich Vierlinge. Und da kommt es vor, dass man in der Embryonalphase oder frühen Fetalphase einen Abbruch bei einem Kind vornimmt, um die Chancen der anderen zu erhöhen. Aber das ist Gott sei Dank selten.
Ab welchem Zeitpunkt kann man erkennen, dass man mit mehr als einem Kind schwanger ist?
Das kann man ganz früh sehen. Beim ersten Ultraschall kann man erkennen, dass man zwei Kinder kriegt. Wobei die Schwangerschaft ja bis zur zehnten Woche noch verloren gehen kann. Erst ab da erzählen ja die meisten Frauen, dass sie schwanger sind.
Müssen sich Frauen, die mit zwei Kindern schwanger sind, anders verhalten als andere Schwangere?
Man muss nicht für drei essen, die Kinder holen sich, was sie brauchen.
Treten besondere Beschwerden während der Zwillingsschwangerschaft auf?
Die Frauen haben häufiger ein starkes Schwangerschaftserbrechen, weil das Schwangerschaftshormon HCG stärker ausgeschüttet wird. An erster Stelle steht aber das Risiko einer Frühgeburt. Ansonsten ist nicht viel anders als bei anderen Schwangerschaften.
Warum kommen die Kinder denn früher?
Der Grund dafür ist schlichtweg die mechanische Belastung des Gebärmutterhalses. Man muss sich vorstellen, dass ja alles doppelt ist: Es gibt zwei Kinder, zwei Mutterkuchen und dann noch das Fruchtwasser beider Kinder. Dieses Gewicht kann gerade bei zarten Frauen sehr auf den Gebärmutterhals drücken und diesen auch zu früh öffnen.
Die Frau trägt also das doppelte Gewicht mit sich herum?
Meist sind die Zwillinge kleiner. Dadurch, dass zwei Kinder Platz finden müssen, sind beide nicht total riesig. Das durchschnittliche Gewicht bei Zwillingen liegt bei 2350 Gramm, bei Drillingen sind es nur 1680 Gramm. Das liegt aber auch daran, dass sie schon nach 36 Wochen geboren werden. Bei anderen Kindern liegt das Geburtsgewicht bei 3200 bis 3500 Gramm.
Anders als Einzelgeburten müssen Mehrlingsgeburten zwingend im Krankenhaus stattfinden. Weshalb?
Eine Zwillingsgeburt gilt als absolute Risikoschwangerschaft und muss deshalb in einer Klinik stattfinden. Es gibt viele Komplikationen, die eine Rolle spielen. Deshalb ist es so wichtig, am Anfang der Schwangerschaft festzustellen, ob jeder der Zwillinge seine eigene Plazenta hat oder ob sie sich einen Mutterkuchen oder sogar eine Fruchthöhle teilen. Davon hängt viel ab. Hat jeder Zwilling eine eigene Plazenta, ist die Prognose insgesamt günstiger. Teilen sie sich eine, wird ein Kind besser versorgt als das andere. Wenn man dann nichts unternimmt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder in der Gebärmutter absterben, relativ groß. Der Mutterkuchen ist also der entscheidende Punkt. Weil zweieiige Zwillinge jeweils ihre eigene Plazenta haben, sind ihre Chancen insgesamt besser. Auch eineiige Zwillinge können ihre eigene Plazenta haben, wenn sich die Eizelle ganz früh teilt – das ist aber der seltenere Fall. Teilt sie sich etwas später, haben die Kinder nur eine Plazenta, teilt sie sich noch später, dann haben sie sogar nur eine Fruchthöhle. Dann muss man die Kinder acht Wochen früher holen. Trennt sich die Eizelle noch später, hat man siamesische Zwillinge, die aneinandergewachsen sind.
Drei von zehn Frauen bringen ihr Kind heute per Kaiserschnitt zur Welt. Empfehlen Sie bei Zwillingen immer einen solchen Eingriff?
Nein, nicht generell. Es hängt davon ab, wie die Kinder liegen. Man kann normal entbinden, wenn das erste mit dem Kopf nach unten liegt und nicht viel kleiner ist als das zweite – nur dann. Bei Zwillingen liegt die Kaiserschnittrate aber höher.
Das Interview führte Hauke Hohensee. Lars Hellmeyer ist Chefarzt der Gynäkologie am Vivantes Klinikum im Friedrichshain mit dem Schwerpunkt Geburtshilfe. Dieses Interview und weitere interessante Artikel rund um Kinderwunsch, Schwangerschaft und Geburt finden Sie im Gesundheitsratgeber „Tagesspiegel Mutter & Kind 2018/2019“. Das Heft widmet sich unter anderem folgenden Themen: Künstliche Befruchtung, Mutter ab 35, Rückbildungsgymnastik, Geburtshäuser, Wochenbettdepression, schwul-lesbische Eltern und die ersten Beißerchen. Außerdem enthält es eine Kolumne von Harald Martenstein über späte Vaterschaft und eine Vergleichstabelle aller Geburtskliniken in Berlin und Brandenburg. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel-Shop, www.tagesspiegel. de/shop, Tel. 29021-520 sowie im Zeitschriftenhandel.