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Die Straßenbahn kommt - wie hier in der Oranienburger Straße. Und es sollte noch mehr davon geben, findet Christian Tschepe.
© Doris Spiekermann-Klaas

Pro und Contra Tram-Ausbau: Mehr Straßenbahnen! Nein, mehr Busse!

Die Stadt wächst, und damit auch ihre Infrastruktur. Der Senat scheint gewillt, die Straßenbahn auszubauen. Ist das sinnvoll? Zwei Experten diskutieren Für und Wider.

Pro: Berlin muss sich auf den Ausbau der Straßenbahn konzentrieren

Berlin wächst: Mehr Einwohner, mehr Arbeitsplätze, mehr Touristen. Also auch mehr Verkehr. Berlin muss die Luftschadstoffe reduzieren. Berlin will etwas für den Klimaschutz tun. Berlin braucht also mehr Elektromobilität. Nein, nicht Pkw mit Elektroantrieb. Die nehmen ebenso viel Platz weg wie herkömmliche Autos. Zum Fahren. Zum Stehen.

Berlin braucht mehr elektrische Bahnen: S-Bahn, U-Bahn und Straßenbahn. Um das S-Bahn- und vor allem das U-Bahn-Netz auszubauen, wird aber sehr viel Zeit und sehr viel Geld benötigt. Von beidem hat Berlin zu wenig. Also muss sich Berlin auf den Straßenbahnausbau konzentrieren. Ein Kilometer Straßenbahn kostet 10 bis 20 Millionen Euro, ein Kilometer U-Bahn das Zehnfache.

Die Straßenbahn ist schnell und barrierefrei

Die Straßenbahnhaltestellen liegen ebenerdig, sind also schneller und bequemer zu erreichen als S- und U-Bahnhöfe. Wichtig vor allem für gehbehinderte Menschen, Menschen mit Gepäck, Rollator, Kinderwagen. Ein Zustieg ohne Aufzüge und Fahrtreppen spart außerdem Geld bei Bau und Betrieb.

Die Straßenbahn ist vor allem auf kurzen Fahrstrecken (und das sind die meisten in der Stadt) sehr schnell. Es sei denn, sie muss dauernd vor roten Ampeln warten. In anderen Städten funktioniert die „Grüne Welle" für die Straßenbahn. In Berlin nicht. Das liegt vor allem an der „Verkehrslenkung Berlin". Dieser Behörde fehlt es nicht an Personal, sondern an den richtigen Vorgaben. Die Politik muss festlegen: Bahnen und Busse haben Vorfahrt auf Berlins Straßen.

Schnellere Straßenbahnen sind nicht nur attraktiver , sondern auch preiswerter im Betrieb, denn die BVG könnte Millionen für Fahrzeuge und Fahrer sparen, weil sie mit den vorhandenen mehr Fahrgäste transportieren könnte.

Bei der Straßenbahn gibt es keine Zukunftsplanung

Die Straßenbahnstrecken von morgen müssen bereits heute geplant werden. Nicht nur dort, wo in den nächsten Jahren gebaut werden soll, sondern auch dort, wo die Straßenbahn vielleicht erst in 25 Jahren fährt. Berlins Verkehrsplaner haben seit über hundert Jahren immer für einen langen Zeitraum geplant, damit neue Strecken bei jeder anderen Baumaßnahme vorbeugend berücksichtigt werden konnten. An vielen Stellen der Stadt gibt es U-Bahnhöfe im Rohbau, weil dort irgendwann einmal Züge fahren sollen.

Bei der Straßenbahn gibt es bisher keine Zukunftsplanung. So ist die neue Rathausbrücke in Mitte nicht für die Straßenbahn nutzbar, obwohl die Trasse durch die Französische Straße zum Potsdamer Platz schon lange als Alternativ- oder Ergänzungsroute zur Leipziger Straße gilt.

Hier muss ein Umdenken in Politik und Behörden stattfinden. Um das anzustoßen, hat der Berliner Fahrgastverband IGEB eine Erweiterung des Straßenbahnnetzes um mindestens 100 Kilometer erarbeitet. Natürlich kann nicht alles sofort gebaut werden. Aber wo gebaut wird, muss die Straßenbahn sofort berücksichtigt werden.

Christfried Tschepe ist Vorsitzender des Fahrgastverbandes Igeb und leitet das Dezernat Stadtentwicklung in Fürstenwalde.

Contra: Busse sind die bessere Tram

Wenn die Straßenbahn mal einen Unfall hat, ist gleich der ganze Verkehr mehrere Stunden lang lahm gelegt - hier eine Szene aus der Edisonstraße in Schöneweide vom Mai.
Wenn die Straßenbahn mal einen Unfall hat, ist gleich der ganze Verkehr mehrere Stunden lang lahm gelegt - hier eine Szene aus der Edisonstraße in Schöneweide vom Mai.
© Thomas Schröder

Die Straßenbahn wurde vor der vorigen Jahrhundertwende eingeführt, weil auch die Hauptstraßen gepflastert und rumpelig waren und man nun dahingleiten konnte. Inzwischen sind die Straßen glatt und die Tram ist immer noch da. Sie wird allgemein gelobt wegen ihrer Umweltfreundlichkeit, weil sie elektrischen Strom benutzt.

Tatsächlich hat sie aber Nachteile, von denen niemand spricht: Der Zwang, Schienen zu legen und zu befahren, bedeutet immer einen Eingriff in andere Verkehrsarten – jedenfalls in innerstädtischen Bereichen. Die Schienen belegen Straßenraum. Wo immer die Tram fährt, wünscht sie eine Vorrangstellung. Die Oberleitungen verschandeln mit ihren Masten die Straßen und den Raum über den Straßen mit ganzen Draht-Netzen.

Die Haltestellen sind im Weg, die Schienen laut, der Fahrbahn ein Chaos

Die Tram braucht besondere Haltestellen, weil sie in der Mitte der Straße fährt. Straßenbahnen sind laut, quietschen in engen Kurven, fahren in den normalen Straßen relativ langsam, müssen großen Abstand halten, weil sie schlecht bremsen und verschwenden so zusätzlichen Straßenraum. Die Tram braucht eigene Signalanlagen, an denen der Autoverkehr oft massiv behindert wird. Durch Haltestellen, die zum Teil in der Mitte von Straßen großflächig betoniert sind, werden Straßenräume verkleinert und verunziert; besonders „schön“ in der Friedrichstraße an gleich drei Stellen.

Bei jedem Zwischenfall auf den Gleisen stoppt der Tram-Verkehr in beiden Richtungen für Stunden, da die Tram nicht ausweichen kann, besonders kritisch auf Tram-Kreuzungen. Wird die Oberleitung beschädigt, stoppt der Tram-Verkehr weiträumig, da der Strom abgeschaltet wird. Und immer gerät der Fahrplan durcheinander.

Soll die Streckenführung geändert oder Gleise repariert werden, sind monatelange Bauarbeiten nötig. Wenn die Tram ausfällt, gibt es „Schienenersatzverkehr“ – durch Busse. Von einem „Bus-Ersatzverkehr“ ist nichts bekannt. Und – Straßenbahnen töten; immer wieder gibt es Unfälle. Klar, man kann sagen, da müssen die Fußgänger eben besser aufpassen. Aber das ist zu einfach gedacht.

Selbst die Umwelt ist kein Argument mehr

Bleibt die angebliche Umweltfreundlichkeit. Nun testet aber die BVG neue Elektrobusse. In absehbarer Zeit werden alle Busse so fahren. Und dann ist auch der letzte angeblich große Vorteil der Tram dahin. Aber auch bis dahin steht all das andere dagegen, was die Tram im direkten Vergleich schlecht aussehen lässt: Ein Bus braucht eine Straße für alle, eine Tram braucht Schienen für sich allein. Trotz allem will der Senat die Leipziger Straße endgültig mit der Tram verstopfen, die Potsdamer Straße und Alt-Moabit ebenso.

Es gibt aber einen kleinen Vorteil: Ein Tram-Fahrer fährt mehr Fahrgäste als ein Bus-Fahrer. Aber das ist es auch. Es bleibt die Frage: Gibt es für eine eng bebaute Innenstadt ein besseres Verkehrsmittel als die Tram? Die Antwort ist einfach: Ja. Den Bus.

Hans-Henning Romberg war Flughafengeschäftsführer in Berlin und beschäftigt sich jetzt mit Verkehr allgemein.

Christfried Tschepe, Hans-Henning Romberg

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