Sicherheit in Berlin: Mehr Polizeibeamte sollen auf die Straße
Polizeipräsident Kandt kürzt seinen eigenen Bereich drastisch zusammen und baut die Polizei um. Zusammen mit kürzeren Genehmigungswegen sollen so 100 Stellen frei werden für Einsätze in der Stadt.
Görlitzer Park, Obama-Besuch, Rechten-Umzug durch Buch – die Zahl der Großeinsätze der Polizei ist in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen. Allein schon die Zahl der angemeldeten Versammlungen, die meist Polizeipräsenz erfordern, wird von knapp 3000 im Jahr 2009 auf etwa 5000 in diesem wachsen. Die Mehrarbeit stellt die von den Sparwellen in Berlins Öffentlichem Dienst ausgedünnten Reihen der Ordnungshüter auf eine harte Probe. Nun reagiert Polizeipräsident Klaus Kandt mit einer umfassenden internen Reform.
„Wir wollen mehr Blau auf den Straßen“, fasst Kandt das erhoffte Ergebnis der geplanten Polizeireform zusammen, die in einem gut 200 Seiten umfassenden Abschlussbericht festgehalten wird. Einfach ausgedrückt: Doppelte Arbeit soll wegfallen – und so mehr Zeit für Streifen im Kiez oder die Bekämpfung von Diebstahl und Kriminalität bleiben. 100 Stellen sollen frei werden und die „Basisdienststellen“ stärken. Effizienter soll die Polizei werden; dass die geplante Reform dazu geeignet ist, hätten sogar Unternehmensberater von PwC bestätigt. Rückhalt hat das Konzept dem Vernehmen nach auch bei Innensenator Frank Henkel (CDU).
Der Stab des Polizeipräsidenten wird drastisch gekürzt
Geplant ist Folgendes: Der Stab des Präsidenten wird drastisch gekürzt. Fast 105 Stellen verliert er an die neu geplante „Direktion Einsatz“. Diese wird aus der „Direktion zentrale Aufgaben“ hervorgehen, ein eigenes Gebäude an der Gallwitzallee in Lankwitz erhalten und um die „Einsatzhundertschaften“ der sechs lokalen Direktionen verstärkt. Ihre erste Bewährungsprobe erhält die neue zentrale Einsatzdirektion bei den fast aus Tradition krawalligen Demos zum 1. Mai – in zwei Jahren.
Werden damit nicht die Direktionsfürsten entmachtet? Polizeipräsident Kandt spricht von gar „nicht so großen Auswirkungen“. Die Direktionen leiteten weiterhin die Verbrechensbekämpfung; die Kriminalreferate blieben. Die Hundertschaften der Direktionen würden schon heute nur zu zwei Prozent ihrer Einsätze von örtlichen Direktionen angefordert und auch dazu müssten diese bei den Schichtverantwortlichen im Polizeipräsidium beantragen. So gesehen werden diesen also keine frei verfügbaren Kräfte entzogen.
Ein Blumenstrauß für einen Zeugen muss langwierig beantragt werden
Von „Transparenz“ und „Offenheit“ spricht der Polizeipräsident viel und stellt die Reform fast wie eine polizeiinterne Graswurzelbewegung dar: Am Anfang habe eine Befragung der Beamten gestanden – über deren Sorgen, Nöte und Wünsche, auf die die Reform nun reagiere. Ein Beispiel: Der Antrag zum Erwerb eines Blumenstraußes für den Zeugen, der die Überführung des Straftäters ermöglichte, läuft über unnötig viele Abteilungen, bis er genehmigt ist. Sogar auf dem Schreibtisch des Präsidenten landeten viele Vorgänge, die ihn an der Arbeit an den wichtigen „strategischen Themen“ hindert.
Schiebt Kandt aber so nicht auch Verantwortung ab, die wie im Fall der Mai-Demos politische Sprengkraft haben und auch seinen Job gefährden können? „Nein, ich bin nach wie vor verantwortlich für alle Einsätze in der Stadt und gebe keine Verantwortung aus der Hand“, sagt er. Die Reform solle vielmehr den Organisationsaufwand mindern bei der Steuerung von Einsätzen und der Einteilung der Kräfte, um deren „extreme Einsatzbelastung“ zu verringern. Hamburg habe eine solche Einsatzdirektion bereits und sei „sehr zufrieden damit“.
Wichtig bei der Reform ist außerdem: Die Landespolizeischule wird ein eigenständiges Amt. Deren Bedeutung wächst wegen des bevorstehenden Generationswechsels. Aufgelöst wird die „Zentrale Serviceeinheit“ – deren Bereiche werden der jeweiligen Behördenleitung angebunden. Die Bereiche Gefangenenwesen und Zentraler Objektschutz werden ein eigenes Amt bilden, losgelöst von der Direktion zentrale Aufgaben, die zur Einsatzdirektion ausgebaut wird.
Und wie geht es nun weiter? Die Kosten des Umbaus, noch seien sie nicht zu beziffern, sollen im Haushalt 2016/17 eingestellt werden. Auch „politisch diskutieren“ werde man das im Abgeordnetenhaus. Die Polizeigewerkschaft sei informiert. Die GdP kommentierte den Abschlussbericht auf Anfrage nicht, da dieser ihr nicht vorliege. Aus Polizeikreisen ist zu hören, dass 100 Stellen mehr auf den Straßen zu wenig seien gemessen an der Zahl von über 16.000 Polizisten. Die Beamten sollen über eine Million Überstunden angehäuft haben. Seit der Ära Glietsch befinde sich die Polizei in einer „Dauerreform“, echte Entlastung sei nur durch mehr Personal zu erreichen.
Ralf Schönball