Die Autonomen und der 1. Mai in Berlin: Ein bisschen Spaß muss sein
Die revolutionäre 1.-Mai-Demo in Berlin war in diesem Jahr ganz gut besucht. 19.000 machten mit, darunter viele Event-Touristen. Denn die Demo ist auch eine Spaßveranstaltung geworden. Und die Autonomen haben Nachwuchssorgen.
So ist also auch der revolutionäre 1. Mai zum Event geworden. Sogar der Protestforscher Dieter Rucht muss es zugeben: Mehr „Partygänger und Schaulustige“ als früher seien an diesem Tag der Arbeit wohl Teil des Protestzuges gewesen. Und es seien mehr Menschen auf die Straßen gegangen, weil es in den vergangenen Jahren weniger Gewalt um die Demonstration herum gegeben habe.
Niemand weiß, wie viele der 19 000 Demonstranten, die am Donnerstag in Berlin in der revolutionären 1.-Mai-Demo mitgelaufen waren, mit vollem Herzen und ganzem Hirn die Revolution wollen und die „vollständige Überwindung kapitalistischer Verhältnisse“. So war es in einem Grundsatzpapier der „Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin“ von 2007 zu lesen, und es spricht viel für die These, dass die Gruppe der Kapitalismusüberwinder bei der Demo eher in der Minderheit war. Vor allem das, was aufrechte Antifa-Aktivisten vor kurzem erst über ihre Bewegung sagten.
Die Antifa sei zur „Marke“ geworden, die Bewegung habe sich eingerichtet „in ihren linken Quartieren“, sagte erst Mitte April ein Aktivist im Interview mit der „taz“. Ein weiterer Linksaktivist sagte, man habe ein „Nachwuchsproblem“ – und ein Problem mit dem eigenen Selbstverständnis.
Eigentlich seltsam. Motive zur Erfindung kapitalismuskritischer Parolen gäbe es genug, in Deutschland wie in Europa: In Zeiten überwältigender parlamentarischer Mehrheiten hat eine außerparlamentarische Opposition ihre Daseinsberechtigung von ganz allein – aber nur die Rest-FDP will in Deutschland noch APO sein. Kaum zu glauben, dass sich Antifas und Autonome wegen der Rente mit 63 zu plötzlicher Begeisterung für den Sozialstaat hinreißen lassen. Und auch für die narkotisierte Krise der Europäischen Union gilt ja, dass deren Folgekosten hierzulande noch nicht berechnet worden sind, während die sozialen Verwerfungen in den Südstaaten neue Kosten erzeugen, die noch nicht mal zu erahnen sind, vom menschlichen Leid arbeitsloser Griechen oder hoffnungsloser junger Spanier ganz zu schweigen.
Stramme Antikapitalisten und Anhänger eines einfachen Weltbildes müssten also aus der Gründung neuer Untergruppen gar nicht mehr herauskommen. Stattdessen wirkten sie an diesem 1. Mai daran mit, ein an der Grenze zur Karikatur entlangschrammendes Ritual abermals zu inszenieren, mit schwarzem Block und bösen Sprüchen, Poststalinisten und -marxisten mittendrin – und Touristen drum herum, die Christian Ströbele suchen, um sich mit ihm fotografieren zu lassen. Der Erste Mai als Spaßveranstaltung.
Und so wird die Kreuzberger revolutionäre 1.-Mai-Demo zu einer Art Volkslauf zwischen „Karl und Rosa“ im Januar und dem Christopher Street Day, wie immer er dann heißt. Politischer Protest und Straße passen hier nur noch zusammen, wenn der Amüsierfaktor stimmt und der Feieraspekt nicht zu kurz kommt. Protest, der es ernst meint, ist in Kreuzberg am 1. Mai nicht mehr zu finden. Eher auf dem Taksim-Platz in Istanbul.