Potsdams OB zur Aufnahme Geflüchteter: Mehr Freiwilligkeit statt starrer Vorgaben
Kommunen muss die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen ermöglicht werden. Das fordert Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert. Ein Gastkommentar.
Das Land Berlin hat eine Bundesratsinitiative angestoßen, die den Bundesländern einfacher als bisher nach Benehmensherstellung mit dem Bundesministerium des Innern die Aufnahme von Geflüchteten durch Landesaufnahmeprogramme ermöglichen soll. Der Bundesrat lehnte das ab. Auch das Land Brandenburg sprach sich dagegen aus.
Fast gleichzeitig verkündet die brandenburgische Landesregierung, jährlich mindestens 1.600 Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten anwerben zu wollen – um dem drohenden Fachkräftemangel aufgrund der dynamischen Entwicklung im Land und der wirtschaftlichen Ansiedlungserfolge wie Tesla, BASF und dem Start des Hauptstadtflughafen BER entgegenzuwirken.
Zunächst sieht das wie ein weiterer Beweis dafür aus, dass es der Metropolregion Berlin-Brandenburg noch immer schwerlich gelingt, mit einer Stimme zu sprechen. Doch es ist mehr als nur die unterschiedliche Sichtweise zweier Landesregierungen.
Es zieht sich durch die gesamte deutsche Politik. Und gerade jetzt offenbart die Brandkatastrophe im Lager Moria erneut, dass es seit 2015 mit Blick auf die europäische und deutsche Asyl- und Migrationspolitik gesellschaftliche und politische Fragen gibt, die unbeantwortet sind.
2015 sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel einen bemerkenswerten Satz: „Wenn wir uns jetzt noch entschuldigen müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Die Brandkatastrophe in Moria ist zweifelsfrei für alle, die auch noch ihr Letztes verloren haben, eine solche Notsituation.
Die Zustimmung der Gesellschaft bröckelt
Deswegen ist die Reaktion der Bundesregierung, trotz fehlender europäischer Einigung Menschen von der Insel Lesbos aufzunehmen, richtig. Gleichwohl bröckelt seit 2015 eben jener gesellschaftliche Konsens, den die Kanzlerin mit ihrem Satz zum Ausdruck bringen wollte.
Insbesondere in der Frage der Asyl- und Migrationspolitik ist es deshalb heute wichtiger denn je, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden.
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Ob dieser sich allein durch die Aushandlung einer Aufnahmezahl in einer Regierungskoalition auf Bundesebene erreichen lässt, bei dem weder der Modus noch Kriterien transparent sind, erscheint zumindest fraglich. Allzu leicht werden solche Zahlen zu politischen Spielbällen. Auch das lässt sich am Beispiel Moria verdeutlichen.
Im Lager lebten zuletzt 12.000 Geflüchtete. Einige Bundesländer und Kommunen hatten ihre Aufnahmebereitschaft signalisiert. Diese Bereitschaft lag in Summe weit über dem von der Bundesregierung nunmehr beschlossenen Aufnahmekontingent von 1553 Menschen.
Aufnahme von Geflüchteten als alleinige Aufgabe des Bundes
Im Bund und in Europa wird bei der Aufnahme von Flüchtlingen sehr viel über Obergrenzen und sehr wenig über den Modus der Verteilung vor Ort gesprochen. Aufnahme- und Integrationsmöglichkeiten werden nicht als zusammengehörende Aufgaben verstanden.
So kommt es, dass die Aufnahme von Geflüchteten noch immer als alleinige Aufgabe des Bundes definiert wird, obwohl Bund, Länder und Kommunen bei der Integration zusammenwirken müssen.
Die Reduktion auf die bundesstaatliche Ebene erfolgt, weil allzu gern Integrationsarbeit allein auf den finanziellen Aspekt reduziert wird.
Wenn beispielsweise Nikolaus Blome in einem Kommentar für den „Spiegel“ Städte, die eine eigene Flüchtlingsaufnahme anbieten, mit Zechprellern seiner Studienzeit vergleicht, weil diese Städte nicht die gesamten Kosten bezahlen, dann verkennen er und auch andere, die allein das Kostenargument vor sich hertragen, dass Integration mehr als nur die Zahlung von Transferleistungen ist.
Bund, Länder und Kommunen müssen zusammenarbeiten
Gelingende Integration ist vielschichtiger und braucht das Zusammenwirken aller staatlichen Ebenen – vom Bund über die Länder bis hin zu den Städten und Gemeinden, wo sich das gemeinsame Leben abspielt.
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Statt weiter über die staatlichen Ebenen hinweg in der Migrationspolitik und über Kompetenzen zu streiten, sollte eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden – so wie es sie auch zu anderen föderalen Themen bereits häufig gab – eine gemeinsame Lösung erarbeiten. Das wäre sicher mühsam, aber in jedem Fall besser, als in der derzeitigen Starre zu verharren.
Die bisherigen Mechanismen über Aufnahmeprogramme mit Verteilungsschlüsseln könnten zum Beispiel durch eine Freiwilligkeitsklausel erweitert werden.
Die Einbindung der freiwilligen Aufnahmeangebote vieler deutscher Kommunen auf der Grundlage von Beschlüssen der gewählten Kommunalvertretungen hätte auch eine höhere demokratische Legitimation der Aufnahme zur Folge als es die alleinige Festlegung von starren Verteilungsschlüsseln haben kann.
Moralischer Pragmatismus ist gefordert
Das System würde damit durch den Blick des in den Kommunen Leistbaren ergänzt und nicht allein an Bevölkerungszahlen festgemacht, wie dies die aktuellen Verteilungsschlüssel für die Flüchtlingsaufnahme tun.
Im Sinne eines moralischen Pragmatismus, der humanitäre Beweggründe mit dem Machbaren vor Ort kombiniert, könnte so ein Modell entstehen, welches es denen, die einmalig oder dauerhaft bereit sind mehr Menschen aufzunehmen, ermöglicht, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Ergänzende Freiwilligkeit statt starrer Vorgaben könnte den Weg in ein von Befürwortern und Skeptikern akzeptierteres System der Aufnahme Geflüchteter in Deutschland sein.
Wenn es gelänge, dieses System zu verbinden mit einer europäischen finanziellen Förderung oder Unterstützung der Städte und Kommunen für ihre Integrationsleistung, wäre auch auf der Suche nach einer gesamteuropäischen Lösung ein Vorschlag der Bundesrepublik im Raum.
Mike Schubert